Nach der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg soll sich auch der Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtags mit dem Fall befassen. SPD und FDP haben gemeinsam eine Sondersitzung beantragt. Hintergrund: Der Tatverdächtige (33) hatte nach seiner Ankunft in Deutschland jahrelang in NRW gelebt - und war dort laut Sicherheitskreisen mehrfach straffällig geworden.
Das Verbrechen hatte am Mittwochabend einen Großeinsatz von Polizei und Rettungskräften ausgelöst und weit über Schleswig-Holstein hinaus für Entsetzen gesorgt. Die Hintergründe sind noch unklar.
Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sprach von einer schrecklichen und sinnlosen Tat. Landesinnenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) äußerte sich am Donnerstagnachmittag zum Stand der Ermittlungen.
Noch sei "vieles unklar", erklärte Sütterlin-Waack bei der Pressekonferenz in Kiel. Auch zu den Opfern der Attacke werde sie aktuell keine weiteren Informationen bekanntgeben, weil noch nicht alle Angehörigen erreicht werden konnten. Während am Mittwoch noch von sieben Verletzten die Rede war, sprach Sütterlin-Wack bei der Pressekonferenz von fünf. Zwei von ihnen erlitten demnach lebensgefährliche Verletzungen. Drei Menschen seien noch im Krankenhaus, zwei davon wurden operiert, sagte Sütterlin-Waack. Zwei Verletzte seien bereits wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden.
Mutmaßlicher Täter wurde leicht verletzt
Der mutmaßliche Täter habe bei der Festnahme keinen Widerstand geleistet. Nach Angaben der Polizeidirektion Itzehoe ist er 33 Jahre alt. Zuletzt hatte der staatenlose Palästinenser keinen festen Wohnsitz. Er soll noch am Donnerstag dem Haftrichter vorgeführt werden. Der Mann wurde demnach leicht verletzt - allerdings nicht bei der Festnahme, sondern schon im Zug.
Derzeit keine Hinweise auf terroristischen Hintergrund
Ermittlern zufolge gibt es zurzeit keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund. Ganz ausschließen könne man eine solche Motivation aber nicht. Noch lägen keine Erkenntnisse aus der Vernehmung des mutmaßlichen Täters vor.
Der Mann ist nach Angaben der Ministerin Ende 2014 erstmals nach Deutschland eingereist. Ihm sei 2017 ein sogenannter subsidiärer Schutz gewährt worden. Im November 2021 sei ein Verfahren auf Rücknahme des Schutzes eingeleitet worden. Wie dieses ausging, blieb zunächst unklar. Der 33-Jährige war noch kurz vor der Tat am Mittwoch in der Kieler Ausländerbehörde. Er habe eine Aufenthaltskarte beantragt, sagte Sütterlin-Waack. Von dort sei er zum Einwohnermeldeamt geschickt worden. Die Mitarbeiter hätten sein Verhalten als "unauffällig" beschrieben.
Todesopfer sind 17 und 19 Jahre alt
Bei den beiden Todesopfern handelt es sich nach Angaben der Polizei um eine 17-Jährige und einen 19 Jahre alten Mann. Beide stammten demnach aus Schleswig-Holstein und waren miteinander bekannt.
Der mutmaßliche Täter ist ein staatenloser Palästinenser. Als staatenlos gilt, wer unter nationalen Gesetzen keine Staatsbürgerschaft eines Landes besitzt. Der subsidiäre Schutz greift nach Angaben des BAMF, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. Letzteres muss von den Betroffenen nachgewiesen werden.
Tatverdächtiger auch in NRW polizeilich bekannt
Nach Informationen der Behörden hatte der Mann bereits drei Vorstrafen - auch wegen Gewaltdelikten. Sütterlin-Waack sagte, er sei wenige Tage vor der Tat aus der U-Haft entlassen worden, weil er seine erwartete Haftzeit bereits verbüßt hatte. Laut Staatsanwaltschaft galt der 33-Jährige nicht als "Intensivtäter".
Der mutmaßliche Täter von Brokstedt ist auch der Polizei in NRW bekannt: Er war mehrere Jahre im nordrhein-westfälischen Euskirchen gemeldet und wurde mehrfach straffällig. Drei Mal wurde er vom Amtsgericht Euskirchen wegen Ladendiebstahls, gefährlicher Körperverletzung und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. So steht es im Bundeszentralregister.
Anwalt: Tatverdächtiger hat ein Drogenproblem
Der Bonner Anwalt Björn Seelbach ist Verteidiger des Tatverdächtigen. Gegenüber dem WDR zeichnete Seelbach das Bild eines "jungenhaften" und "fröhlichen" Menschen, der vor allem durch Bagatelldelikte aufgefallen sei. Allerdings habe sein Mandant im Lauf der Jahre ein Drogenproblem entwickelt, das ihn immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt gebracht habe.
Seelbach kritisierte die Entscheidung des Hamburger Landgerichts, seinen Mandanten völlig unvorbereitet aus der U-Haft zu entlassen. Inwieweit und ob die überraschende Entlassung aus der Haft mit der Tat in Zusammenhang stehe - dazu könne er noch nichts sagen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) drückt Mitgefühl aus
"Für mich steht fest, dass sich die entsetzliche Tat gegen jede Menschlichkeit richtet", so Innenministerin Sütterlin-Waack. Sie sei "in Gedanken bei den Familien und Angehörigen der Opfer". Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigte sich im Kurznachrichtendienst Twitter ebenfalls erschüttert.
Mann ging mit Messer auf Reisende los - Fahrgäste verhinderten offenbar Schlimmeres
Die Tat ereignete sich nach Angaben der Bundespolizei kurz vor 15 Uhr vor der Ankunft des Zuges im Bahnhof Brokstedt im Kreis Steinburg. Der Bahnhof wurde für die polizeilichen Maßnahmen gesperrt. Brokstedt ist eine kleine Gemeinde an der Bahnlinie zwischen Elmshorn und Neumünster.
Zum Zeitpunkt der Attacke waren rund 120 Menschen in dem Zug, wie eine Sprecherin der Polizei in Itzehoe sagte. "Das muss ein sehr großes Chaos gewesen sein." Die Ermittler befragten Dutzende Zeugen aus dem Zug, in einem Gasthof in der Nähe des kleinen Bahnhofs der Gemeinde im Kreis Steinburg. Offenbar konnten mutige Fahrgäste Schlimmeres verhindern, sie überwältigten den Angreifer und hielten ihn fest.