WDR.de: Der Täter von Münster hat offenbar vor seiner Tat Briefe an sein Umfeld geschickt, in denen laut Polizei "vage Hinweise auf suizidale Gedanken" geäußert wurden. Wie reagiert man in einem solchen Fall?
Barbara Schneider: Man sollte den Absender auf jeden Fall ansprechen. Viele Menschen haben Scheu und fürchten, sie könnten etwas falsch machen oder die Lage noch verschlimmern. Das ist aber nicht der Fall. Miteinander reden hilft immer, und oft sind diejenigen dankbar, wenn man ihre Lage und ihre Gefühle anerkennt und ernst nimmt. Als nächsten Schritt sollte man sich dann an eine Einrichtung wie etwa eine Klinik oder einen sozialpsychiatrischen Dienst wenden, damit derjenige professionelle Hilfe erhält.
Prof. Dr. Barbara Schneider arbeitet als Chefärztin im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie an der LVR-Klinik in Köln. Sie ist Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention sowie des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland.
WDR.de: Was mache ich, wenn diese Hilfe nicht angenommen wird? Wenn mein Gegenüber sich sträubt oder ich ihn nicht erreiche?
Schneider: Wenn man befürchtet, dass sich jemand umbringen will, kann man auch immer die Polizei einschalten. Die versucht dann, denjenigen zu überzeugen, sich Hilfe zu holen. Und wenn das nicht funktioniert, hat die Polizei in NRW auch die Möglichkeit, suizidale Personen gegen ihren Willen in die Psychiatrie einweisen zu lassen.
WDR.de: Der Täter von Münster hat laut Polizei nichts geschrieben, was auf die Gefährdung anderer Personen hingewiesen hätte. Dennoch ist aus dem Suizid ein erweiterter Suizid geworden.
Schneider: Ich würde hier nicht von einem erweiterten Suizid sprechen. Bei diesem tötet man Personen, die einem nahestehen – meist Verwandte wie Ehepartner oder Kinder. Der Fall in Münster sieht für mich dagegen nach Amok aus.
WDR.de: Gibt es einen typischen Amoktäter? Wie denkt dieser?
Schneider: Erwachsene Amoktäter sind in der Regel psychisch erkrankte Männer, die ein Gefühl großer Ablehnung in sich tragen. Mit ihren Taten wollen sie es den in ihren Augen Schuldigen heimzahlen. Das kann mal eine bestimmte Personengruppe sein, mal eine ganze Gesellschaft. Es ist allerdings etwas ungewöhnlich, dass der Täter von Münster schon 49 Jahre alt war. Normalerweise sind Amoktäter jünger.
WDR.de: Sie beschäftigen sich mit Prävention. Wie kann man solche Taten verhindern?
Schneider: Ganz verhindern lässt sich so etwas leider nie. Wenn es Anzeichen im Vorfeld gibt, sollte man diese ernst nehmen, mit dem Betroffenen darüber reden und ihm nach Möglichkeit Hilfe zukommen zu lassen. Manchmal gibt es allerdings keine Anzeichen.
Das Interview führte Ingo Neumayer.
Haben Sie Suizidgedanken? Hier gibt es Hilfe
Wer sich mit Suizidgedanken trägt, empfindet seine persönliche Lebenssituation als ausweglos. Doch es gibt eine Fülle an Angeboten zur Hilfe und Selbsthilfe, auch anonym.
Telefonseelsorge
Die Telefonseelsorge ist unter den Rufnummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 sowie 116 123 rund um die Uhr erreichbar. Sie berät kostenfrei und in jeder Hinsicht anonym. Der Anruf hier findet sich weder auf Ihrer Telefonrechnung noch im Einzelverbindungsnachweis wieder.
Menschen muslimischen Glaubens können sich an das muslimische Seelsorgetelefon wenden. Es ist ebenfalls kostenfrei und anonym 24 Stunden am Tag unter der Rufnummer 030/44 35 09 821 zu erreichen.
Chat der Telefonseelsorge
Die Telefonseelsorge bietet Betroffenen auch die Möglichkeit an, sich Hilfe per Chat zu holen. Dazu meldet man sich auf deren Webseite an.
E-Mail-Beratung der Telefonseelsorge
Menschen mit Suizidgedanken können sich auch an die E-Mail-Beratung der Telefonseelsorge wenden. Der E-Mail-Verkehr läuft über die Webseite der Telefonseelsorge und ist deshalb nicht in Ihren digitalen Postfächern zu finden.
Anlaufstellen für Opfer von häuslicher Gewalt
Das Hilfetelefon ist anonym, kostenfrei und rund um die Uhr unter 08000 116 016 erreichbar.
Der Weiße Ring bietet ebenfalls einen anonymen Telefondienst unter 116 006 sowie eine Online-Beratung.
Überblick auf Hilfsangebote
Darüber hinaus hat die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention (DGS) zahlreiche Informationen zu Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und sozialpsychiatrischen Diensten aufgelistet, an die sich Suizidgefährdete und Angehörige wenden können, um Hilfe zu erhalten. Entsprechende Informationen finden Sie unter nachfolgendem Link.