Gisele Pelicot schaut ernst an der Kamera vorbei.

Urteil im Pelicot-Prozess: Ex-Ehemann wegen schwerer Vergewaltigung schuldig gesprochen

Stand: 19.12.2024, 11:18 Uhr

Der Hauptangeklagte im Missbrauchsprozess in Avignon ist wegen schwerer Vergewaltigung zu 20 Jahren Haft verurteilt worden.

Ein französisches Gericht hat den Hauptangeklagten im Prozess um die Vergewaltigungen von Gisèle Pelicot in allen Anklagepunkten für schuldig befunden und zur Höchststrafe 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil gegen Pelicots 72 Jahre alten Ex-Mann Dominique könnte bedeuten, dass dieser den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringt.

Dominique Pelicot hat zugegeben, seine damalige Frau jahrelang mit Drogen betäubt zu haben, damit er und Fremde, die er online angeworben hatte, sie missbrauchen konnten, während er die Übergriffe filmte. Neben ihm stehen in Avignon 50 weitere Männer vor Gericht. Die meisten von ihnen wurden wegen schwerer Vergewaltigung schuldig gesprochen, zwei wegen sexueller Übergriffe und einer wegen versuchter Vergewaltigung.

"Die Scham muss die Seite wechseln"

Gisele Pelicot ist von Kameras und Miktophonen umzingelt und lächelt

Großes Mesieninteresse am Prozess

Vor allem wegen ihres Muts vor Gericht ist Pelicot für viele in Frankreich zu einer feministischen Heldin geworden. Pelicot hatte sich für einen öffentlichen Prozess eingesetzt. Sie wollte anderen Frauen Mut machen und dass der Prozess der Gesellschaft einen Nutzen bringt. Eine messbare Folge des Pelicot-Prozesses, wäre eine Gesetzesänderung. Viele fordern, dass es eine ausdrückliche Einwilligung zu Sexhandlungen qua Gesetz geben müsste. In Spanien gibt es diese "Nur ja heißt ja"-Lösung schon.

Dass Gisèle Pelicot den Opfern von Vergewaltigungen ein Gesicht geben wollte, hat ihr viele Sympathien beschert. Wenn sie morgens das Gerichtsgebäude betrat, wurde sie regelmäßig mit Applaus empfangen. 

Große Hoffnung in neues Gewalthilfegesetz

Auch für Aysel Sirmasaç vom Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen NRW e.V. ist die Verurteilung der Täter in Avignon eine Genugtuung.

"Gewalt gegen Frauen ist kein privates, sondern ein gesellschaftliches Problem" Aysel Sirmasaç vom Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen NRW e.V.

Die Wahrnehmung, dass Männer über Frauenkörper verfügen könnten, dürfe nicht akzeptiert werden. Ihre Hoffnung sei es auch, dass durch diesen öffentlich wirksamen Prozess und "der Tapferkeit von Frau Pelicot" künftig Opfer sexualisierter Gewalt mehr Unterstützung bekommen. "Viele Strafanzeigen laufen ins Leere, weil die Beweislast bei den Frauen liegt. Wir brauchen auch mehr Beratungsstellen und sie müssen besser abgesichert werden." Helfen könne da vor allem das Gewalthilfegesetz, das am Freitag in der Bundesratssitzung vorgelegt werde. "Ich hoffe, die Bundesländer stimmen zu."

Täter oft nahestehende Personen

Der Fall zeigt auch, dass Missbrauch vor allem durch nahestehende Personen droht und nicht durch Fremde. Das betonen auch Experten in Deutschland immer wieder.

 "Gewalt innerhalb von Beziehungen ist die viel größere Gefahr" Lena Löwen von der Frauenberatungsstelle Düsseldorf

Das werde aber in der Öffentlichkeit oft anders gesehen, sagte zum Beispiel Lena Löwen von der Frauenberatungsstelle Düsseldorf im Gespräch mit dem WDR.

Weißer Ring hofft auf Lerneffekte

Auch die Opferschutzorganisation Weißer Ring hofft auf Lerneffekte des Avignon-Prozesses. „Niemand muss sich schämen, Opfer einer Straftat geworden zu sein. Für Taten sind Täter verantwortlich, niemals die Opfer“, betont Geschäftsführerin Bianca Biwer. "Ich wünsche mir sehr, dass diese Erkenntnis endlich auch in Deutschland die letzten Zweifler erreicht, die immer noch meinen, die Kleidung eines Vergewaltigungsopfers oder der Trennungswunsch eines Femizidopfers hätten etwas mit dem Verbrechen zu tun."

Pelicot ist kein Einzelfall

Wie ernst und aktuell die Sorge ist, dass auch weitere Frauen unter der Gabe von Betäubungsmitteln missbraucht werden könnten, zeigt das erschütternde Ergebnis einer Recherche, die gestern bekannt wurde.

Das Rechercheteam des funk-Reportageformats STRG_F hat über ein Jahr lang Chatgruppen auf dem Messenger-Dienst Telegram beobachtet, Chatverläufe, Fotos und Videos dokumentiert. In Dutzenden Telegram-Gruppen tauschen Nutzer Anleitungen aus, wie man Menschen für sexuelle Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen unbemerkt betäuben kann.

In den Chats bieten sie ihre Partnerinnen anderen Nutzern zur Vergewaltigung an. Teilweise erfolgen die mutmaßlichen Vergewaltigungen in Echtzeit vor Online-Publikum. 

Unsere Quellen:

  • Nachrichtenagenturen dpa und AFP
  • Dachverband der autonomen Frauenberatungsstellen NRW e.V.
  • Frauenberatungsstelle Düsseldorf
  • Recherche des funk-Reportageformats STRG_F