Streit um Bürgergeld für Geflüchtete aus der Ukraine
Aktuelle Stunde . 17.06.2024. 39:16 Min.. UT. Verfügbar bis 17.06.2026. WDR. Von Sebastian Galle.
Geflüchtete: So unterschiedlich viel Geld bekommen Ukrainer in EU-Ländern
Stand: 20.06.2024, 06:00 Uhr
FDP und Teile der CDU fordern, dass ukrainischen Flüchtlingen das Bürgergeld gestrichen wird. 1,1 Millionen Ukrainer leben in Deutschland - so viele wie sonst nirgends in der EU. Ein Grund könnte die gute Versorgung sein.
Von Nina Magoley
Wenn sich am Donnerstag die Ministerpräsidenten und -präsidentinnen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin treffen, wird es vor allem um Migrationspolitik gehen. Bereits im Vorfeld hatten mehrere Länderchefs der CDU aber auch Teile der FDP-Bundestagsfraktion gefordert, die Zahlung von Bürgergeld an Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu beenden. Die Bundesregierung weist das allerdings bislang zurück.
Wie viele geflüchtete Ukrainer und Ukrainerinnen gerade in Deutschland leben, welche Leitungen sie bekommen und welche Vorteile das für sie hat. Ein Überblick.
Wie viele Ukrainer leben aktuell in Deutschland?
Im EU-Vergleich hat Deutschland mit Abstand die meisten ukrainischen Flüchtlinge aufgenommen: Laut UNHCR leben von den insgesamt knapp sechs Millionen innerhalb Europas geflüchteten Ukrainern derzeit mehr als 1,1 Millionen in Deutschland. Gefolgt von Polen (knapp 960.000) und Tschechien (knapp 350.000). In Spanien beispielsweise sind es derzeit nur rund 202.000, in den Niederlanden 114.000, in Frankreich rund 67.500.
Auf 1.000 Einwohner kommen so laut Eurostat rechnerisch in Deutschland fast 15 ukrainische Kriegsflüchtlinge. In Polen sind es knapp 26, in Tschechien 34, in den Niederlanden 8, in Spanien 4.
Wie sind Ukrainer in Deutschland versorgt?
Seit Juni 2022 haben Geflüchtete aus der Ukraine Anspruch auf Bürgergeld. Damit sind Ukrainer besser gestellt als andere Flüchtlinge in Deutschland, die Geld nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen. Mit dem Bürgergeld erhalten aus der Ukraine Geflüchtete monatlich mehr Geld, mehr Zuschläge für Alleinerziehende und Schwangere. Außerdem bekommen sie eine Krankenversicherungskarte und haben damit Anspruch auch auf Vorsorgeuntersuchungen. Und sie dürfen sofort arbeiten.
Nur ein Viertel hat einen Job
Dennoch: Seit 2022 sind 1,1 Millionen Ukrainer nach Deutschland geflohen, nach Angaben der Bundesregierung sind 730.000 davon im erwerbsfähigen Alter. Im Februar 2024 waren unter den ukrainischen Kriegsflüchtlingen demnach nur 21 Prozent berufstätig.
Insgesamt leben etwa 1,3 Millionen Ukrainer in Deutschland, von denen laut aktueller Statistik der Bundesagentur für Arbeit nur rund ein Viertel (Stand November 2023) gerade eine Arbeit hat - in NRW sind laut aktueller Statistik der Bundesagentur für Arbeit 23 Prozent der hier lebenden Ukrainer in Arbeit.
Dabei stehen die Chancen, in Deutschland Arbeit zu finden, für ukrainische Geflüchtete theoretisch ganz gut: Laut einer aktuellen Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sehen acht von zehn Jobcentern deutschlandweit mittelfristig gute Beschäftigungsperspektiven, die Hälfte auch kurzfristig. 72 Prozent verfügten über Hochschulabschlüsse oder vergleichbare Abschlüsse.
Bereit sein für andere Arbeit
Allerdings müssten viele wohl auch bereit sein, andere Jobs auszuüben, als sie es in ihrer ukrainischen Heimat getan haben, so die Studie. Eine Hürde könnte dabei laut der Studie aber die Sprache bleiben: Viele Arbeitgeber erwarteten auch bei einfachen Tätigkeiten gute Deutschkenntnisse.
Beschäftigungsquoten in anderen Ländern höher
Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass ukrainische Flüchtlinge in anderen Ländern offenbar besser in den Arbeitsmarkt kommen als in Deutschland. Demnach stiegen zwischen September 2022 und September 2023 in nahezu allen anderen EU-Ländern die Beschäftigungsquoten. Während sie in mittel- und osteuropäischen Ländern rund 66 Prozent erreichten, fiel der Wert in Deutschland in diesem Zeitraum mit 25 Prozent deutlich geringer aus.
Welche Leistungen erhalten Ukrainer mit dem Bürgergeld?
Ukrainer, die in Deutschland Schutz suchen, erhalten bislang grundsätzlich eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis, die aktuell bis zum 4. März 2025 gilt. Sie erhalten Bürgergeld in Höhe von 563 Euro pro Person für Alleinstehende, 506 Euro für Partner. Volljährige Kinder, die bei ihren Eltern wohnen, bekommen monatlich 451 Euro, auch für kleinere Kinder gibt es Geld. Zusätzlich bezahlt der Staat die Kosten für Unterkunft, Heizung und Warmwasser, "soweit diese angemessen sind".
Hinzu kommen diverse "Mehrbedarfe" - zum Beispiel für Schwangere, Alleinerziehende, Behinderte und chronisch Kranke. Auch einmalige Leistungen können beantragt werden: Erstausstattung für Kinderkleidung und für die Wohnung, einschließlich Haushaltsgeräten. Übernommen werden auch die Kosten etwa für Schulausflüge, Schulmaterialien, Schulbus sowie ein Betrag von 15 Euro monatlich für soziale Teilhabe. Bürgergeldempfänger sind zudem gesetzlich krankenversichert.
Wie hoch sind die Sozialleistungen in anderen Ländern Europas?
In einer Analyse, die dem WDR vorliegt, haben die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags verschiedene EU-Länder und auch Norwegen miteinander verglichen. Die Auswahl beruhe auf Informationen der Parlamentsverwaltungen dieser Länder, teilt der Wissenschaftliche Dienst mit. Großbritannien und Dänemark hätten auf Anfrage keine Informationen bereitgestellt.
In den untersuchten Ländern sind die Bedingungen sehr unterschiedlich, auch die jeweiligen sozialen Strukturen. Ein Vergleich mit den Bürgergeld-Zahlungen in Deutschland ist deshalb nicht einfach.
- Belgien: Ukrainische Staatsangehörige erhalten vorübergehenden Schutz bis März 2025. Sie sind gesetzlich krankenversichert und erhalten die staatliche Sozialhilfe von 1.288,46 Euro für allein Lebende. Bei zwei Personen in einem Haushalt bekommt jede 858,97 Euro. Paare mit einem Kind erhalten zusammen 1.741,29 Euro. Zusätzlich kann es noch Hilfen für Essen, Kleidung, Möbel, Strom, Heizung oder etwa eine Brille geben. Bei Bedarf stellt der Staat eine Unterkunft für Asylbewerber.
- Frankreich: Ukrainische Flüchtlinge haben Anspruch auf dieselben Leistungen wie Asylbewerber - wenn sie einen Asylantrag gestellt haben. Alleinstehende bekommen demnach 607,75 Euro, bei weiteren Familienmitgliedern gibt es Zuschläge ab 7,40 Euro pro Tag. Unterkunft gewährt der Staat in einem der Aufnahmezentren für Asylbeweber - für eine Dauer von drei Monaten. Anspruch auf Krankenversicherung besteht nach drei Monaten.
- Italien: Ukrainer erhalten eine befristete Aufenthaltsgenehmigung bis 31. Dezember 2024. Gegen einen Zahlung von maximal 200 Euro kann diese in eine Arbeitserlaubnis umgewandelt werden. Wer privat unterkommen kann, bekommt drei Monate lang je 300 Euro, Kinder 150 Euro. Wer in einer staatlichen Unterbringung lebt, bekommt kein Geld. Für ukrainische Geflüchtete gilt in Italien der gleiche Gesundheitsschutz wie für italienische Staatsbürger.
- Niederlande: Ukrainer erhalten einen monatlichen Zuschuss zum Lebensunterhalt für Lebensmittel, Kleidung und andere persönliche Ausgaben, sofern ihnen diese Dinge nicht kostenlos zur Verfügung gestellt werden: 60,71 Euro pro Person. Sofern sie privat untergebracht sind, zum Beispiel bei einer Gastfamilie, erhalten sie eine zusätzliche Beihilfe von 80,91 Euro pro Person. Lebensmittel gibt es entweder als Mahlzeiten, oder pro Erwachsenem 242,48 Euro und 200,65 Euro pro Kind. Wenn eine geflüchtete Person ab 18 Jahren eine bezahlte Arbeit aufnimmt, wird die Unterhaltsbeihilfe für alle Familienmitglieder eingestellt. Dann besteht allerdings Anspruch auf Kindergeld. Um einen Job anzunehmen, ist keine Arbeitserlaubnis nötig. Ukrainern steht die gesamte medizinische Grundversorgung sowie Erstattungen bei zahnärztlicher Behandlung, Brillen, Hörgeräten oder Schwangerschaftsabbruch zu.
- Norwegen: Während des Antragsverfahrens können Ukrainer in Aufnahmezentren untergebracht werden und erhalten dort Mahlzeiten und eine finanzielle Unterstützung von umgerechnet rund 60 Euro. Alleinstehende bekommen einen Zuschlag von 36,28 Euro. Dazu gibt es eine Grundausstattung wie zum Beispiel Hygieneartikel, Windeln oder Bettwäsche. Wer ein Einführungsprogramm absolviert und eine Vollzeitstelle gefunden hat, bekommt bis zu 20.000 Euro Einführungshilfe pro Jahr, von der auch eine Wohnung bezahlt werden muss. Ein aktueller Gesetzesvorschlag sieht die Kürzung dieser Einführungshilfe um mehr als 500 Euro im Monat vor. Personen, die in Norwegen einen Asylantrag gestellt haben, haben die gleichen Rechte auf Gesundheitsdienste wie andere Einwohner Norwegens.
- Österreich: Ukrainische Flüchtlinge erhalten eine Grundversorgung, die die Unterbringung in "geeigneten Unterkünften" sowie Verpflegung und Krankenversorgung beinhaltet. Zusätzlich gibt es ein monatliches Taschengeld von 40 Euro monatlich pro Person. Wer privat untergebracht ist, bekommt Verpflegungsgeld: Erwachsene bis zu 260 Euro pro Monat, Kinder bis zu 145 Euro, außerdem einen Mietzuschuss zwischen 165 Euro und 330 Euro pro Monat. Im Einzelfall gibt es Unterstützungsleistung für Kleidung (150 Euro pro Jahr) und Schuldbedarf (bis zu 200 Euro pro Jahr) schulpflichtiger Kinder. Für Flüchtlinge gilt die volle gesetzliche Krankenversicherung.
- Polen: Die wesentlichen Regeln für die Unterstützung ukrainischer Bürger gelten bis 30. Juni 2024. Erwachsene erhalten demnach grundsätzlich keine dauerhaften Geldleistungen, lediglich umgerechnet knapp 69 Euro zum Start. Sie können 120 Tage lang kostenlos in einer öffentlichen Unterkunft wohnen, danach müssen sie 50 Prozent der Kosten selber zahlen. Erwachsene mit Kindern stehen die gleichen Sozialleistungen wie polnischen Familien zu: Zum Beispiel 183,36 Euro pro Kind und Monat. Der Betrag reduziert sich auf etwa 90 Euro, wenn das Kind in eine Kita geht. Ab dem zweiten Kind gibt es 114,60 Euro im Monat. Für behinderte Kinder erhalten Eltern höhere Hilfeleistungen. Wer längere Zeit krank ist, kann Sozialhilfe in Höhe von bis zu 177 Euro beantragen. Außerdem stehen Ukrainern ein legales Aufenthaltsrecht, Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung, Arbeit und Studium, Reisen innerhalb des Schengen-Raums oder die Möglichkeit zur Ausübung einer Geschäftstätigkeit zu.
- Finnland: Ukrainische Staatsangehörige können einen Aufenthaltsstatus als Schutzbedürftige (bis März 2025), Touristen (90 Tage), Erwerbstätige oder Asylsuchende erhalten. Abhängig vom Status sind die Sozialleistungen sehr unterschiedlich und reichen von einer Aufnahmebeihilfe von 348,50 Euro im Monat für Alleinstehende und Alleinerziehende bis zu 222,32 Euro monatlich für Kinder. Unter bestimmten Voraussetzungen gibt es Sozialhilfe in Höhe von bis zu 587,71 Euro, außerdem einmalige Hilfen für Miete, Strom, spezielle Gesundheitskosten wie Brillen oder Medikamente. Wer arbeitet, hat Anspruch auf Gesundheitsleistungen, ebenso wie Menschen mit "vorübergehendem Schutz".
- Schweden: Für Ukraine-Flüchtlinge gilt eine Aufenthaltserlaubnis bis 4. März 2025. Wer über kein Einkommen verfügt, kann ein Tagesgeld von bis zu 6,28 Euro bekommen, für ältere Kinder gibt es 4,42 Euro pro Tag, für Kleinkinder 3,27 Euro. Sonderzuschüsse etwa für Brillen, Kinderwagen oder warme Winterschuhe sind möglich. Wer sich selber eine Wohnung sucht, zahlt auch die Miete selbst. Gesundheitsleistungen beschränken sich auf Notfallversorgung und unaufschiebbare Pflegeleistungen.
Woran hapert es in Deutschland bei der Arbeitsaufnahme?
Problematisch ist laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung die typische Familienkonstellationen der meisten ukrainischen Geflüchteten: Ein hoher Anteil alleinerziehender Mütter, der vergleichsweise schlechte Gesundheitszustand der ukrainischen Geflüchteten. Positiv dagegen sei das hohe Bildungsniveau, die zu erwartende Entwicklung der Sprachkenntnisse sowie die institutionellen Rahmenbedingungen, insbesondere der Wegfall des Asylverfahrens.
Das Institut geht davon aus, dass nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland 45 Prozent der Ukrainer in Arbeit sein könnten, nach zehn Jahren wären es 55 Prozent.
Quellen:
- Bundesagentur für Arbeit
- Meldung der Bundesregierung
- Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
- Wissenschaftliche Dienste des Bundestags
- UNHCR
- Eurostat
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 17.06.2024 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.