Am 24. Februar startete Russland einen Großangriff auf die Ukraine. Ein Ende der Kampfhandlungen ist auch rund ein Jahr nach dem Beginn des Krieges noch nicht abzusehen. Wie konnte es zu diesem Angriffskrieg kommen - mitten in Europa? Was hinter den aktuellen Entwicklungen steckt und wer welche Positionen vertritt, das zeigt der folgende Überblick.
Informationen zu aktuellen Entwicklungen gibt es hier:
Welche jüngere Geschichte geht dem Krieg voraus?
Die Ukraine ist mit einer Fläche von 603.000 Quadratkilometern der größte Staat, dessen Grenzen vollständig in Europa liegen. Sie liegt eingeklemmt zwischen der EU-Ostgrenze (Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien) und Russland. Bis 1991 war die Ukraine eine von 15 Sowjetrepubliken - also ein Teil der damals riesigen Sowjetunion. Seit deren Auflösung sind die ehemaligen Sowjetrepubliken eigene Staaten.
Estland, Litauen und Lettland gehören mittlerweile der EU und dem Militärbündnis NATO an, die Ukraine dagegen nicht. Ende Februar - kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs - gab die ukrainische Regierung bekannt, dass sie den Antrag auf EU-Beitritt gestellt habe. Dieser wird zurzeit in Brüssel geprüft - mit einer kurzfristigen Zusage ist aber eher nicht zu rechnen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte, es werde kein "Schnellverfahren" geben, sondern die Ukraine müsse die regulären Aufnahmemodalitäten durchlaufen.
Proteste von Regierungsgegnern auf dem Maidan in Kiew
Der Wunsch, EU-Mitglied zu werden, besteht bei einem großen Teil der ukrainischen Bevölkerung schon lange. 2013 kamen hunderttausende Menschen in Kiew zu den Maidan-Protesten zusammen und forderten einen Anschluss an die EU. Die Polizei schritt gewaltsam gegen die Demonstranten ein. Es entstand eine Massenbewegung, bei Protesten im Februar 2014 wurden mehr als 100 Demonstrierende getötet.
In der Folge annektierte Russland die zur Ost-Ukraine gehörende Halbinsel Krim im Schwarzen Meer. Dadurch hat Russland völkerrechtliche Verträge gebrochen, in denen die Achtung von Grenzen und die territoriale Integrität festgeschrieben ist.
Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine hatte sich seit der Annektion der Krim nicht beruhigt, sondern sich stetig weiter zugespitzt. In der Nordost-Ukraine kämpften ukrainische Soldaten seit fast acht Jahren gegen die von Russland ausgerüsteten "Separatisten". Um die Städte Donezk und Luhansk herum wurden 2014 zwei international nicht anerkannte "Republiken" ausgerufen. Am 21. Februar 2022, wenige Tage vor seinem Großangriff, hat Russland diese beiden "Republiken" anerkannt - und später ebenfalls offiziell dem russischen Staatsgebiet einverleibt.
Welche Haltung hat Russland?
Seit dem Frühjahr 2021 hatte Russland seine militärische Präsenz entlang der ukrainischen Grenze massiv aufgerüstet. Tausende Soldaten wurden dort stationiert. Russland begründete diesen Schritt mit der Behauptung, die Ukraine plane eine Militäroffensive im Donezkbecken und habe dort ihrerseits Tausende Soldaten zusammengezogen. Am 24. Februar begannen russische Truppen, aus mehreren Richtungen in die Ukraine einzumarschieren und dort diverse Ziele anzugreifen.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat seitdem seine Ziele und Forderungen als Bedingungen für ein Ende des Krieges immer wieder neu formuliert: Die Anerkennung der Krim als russisches Territorium, die Anerkennung der Unabhängigkeit der beiden "Volksrepubliken" im Donbass und die Verankerung der Neutralität in der Verfassung der Ukraine. Insbesondere fordert Putin, dass die Ukraine niemals Mitglied der NATO werden dürfe.
Damit verbunden, so Putins Worte, seien eine "Entnazifizierung" und "Entmilitarisierung" der Ukraine. Seiner Auffassung nach ist die derzeitige Regierung der Ukraine - unter dem jüdischen Präsidenten Wolodymyr Selenski - "faschistisch". Inzwischen sieht der Kreml die Ukraine vor allem als Marionette der NATO - laut Moskau handelt es sich also um einen klassischen Stellvertreterkrieg.
Keine Belege für Genozid-Vorwurf
Eine weitere Behauptung Russlands, insbesondere von Präsident Putin, ist, dass im Osten der Ukraine ein Genozid an der russischen Minderheit verübt würde. Doch weder die OSZE noch die UN haben Hinweise auf einen Völkermord. Zwar zeigen Statistiken, dass im Donbass-Krieg mehr Zivilistinnen und Zivilisten auf der separatistisch kontrollierten Seite sterben als auf der Regierungsseite. Fachleute erklären das aber mit der Wahl der Waffen: Während die Separatisten meist mit Scharfschützen gezielt feindliche Soldaten töten, sterben durch großkalibrige Geschütze der ukrainischen Armee häufiger Zivilistinnen und Zivilisten.
Gut belegt sind gleichzeitig Kriegsverbrechen durch russische Soldaten, die sich im Februar 2022 im Kiewer Vorort Butscha ereigneten: Nach dem Abzug der russischen Streitkräfte aus der Region wurden dort 458 Leichen gefunden, von denen 419 Anzeichen dafür trugen, dass sie erschossen, gefoltert oder erschlagen wurden. Russland weist die Vorwürfe zurück und spricht von einer Fälschung.
Gleichzeitig fordert Russland schon länger, dass das nordatlantische Verteidigungsbündnis NATO sich verpflichten soll, keine weiteren östlichen Staaten aufzunehmen. Die NATO soll außerdem militärische Handlungen auf dem Gebiet der Ukraine und anderer Staaten Osteuropas, des Südkaukasus und in Zentralasien unterlassen. Außerdem sollen beide Seiten, Russland und die NATO-Staaten, auf die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen an Punkten verzichten, die für die Beteiligten eine Bedrohung darstellen können. Die NATO hat solche Forderungen zurückgewiesen und auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker verwiesen.
Was wollen NATO und EU?
Schon vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine waren die Spannungen auch zwischen Russland und den Westmächten gestiegen. Die westliche Staatengemeinschaft warnte Russland vor einer Verletzung der Grenzen und rief immer wieder zur Deeskalation auf.
Die Annexion der Krim gilt bei den meisten westlichen Staaten bis heute als völkerrechtswidrig. Die Europäische Union und die USA verhängten damals Sanktionen in Form von Einreiseverboten und Kontensperrungen gegen russische und ukrainische Politiker und schränkten den Handel ein.
Länder wie die USA und Großbritannien liefern der Ukraine unterdessen weiter Waffen. Die Bundesregierung hat ihre Haltung nach langem Zögern geändert und schickt ebenfalls schwere Waffen in die Ukraine - darunter auch Kampfpanzer. Auch andere europäische Staaten haben militärische Hilfe zugesagt.
Was ist gemeint, wenn vom "Bündnisfall" die Rede ist?
In ihrem Nordatlantikvertrag haben sich die Mitglieder der NATO 1949 auf 14 Punkte geeinigt. Darunter auch Artikel 5, der besagt, dass "ein bewaffneter Angriff gegen eines oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird". Jedes Bündnisland müsse dann helfen und die Maßnahmen ergreifen, "einschließlich der Anwendung von Waffengewalt", die es für erforderlich erachte. Dieses Prinzip wird auch als militärisches Verteidigungsbündnis bezeichnet.
Im Laufe der Jahre traten immer mehr Länder der NATO bei. Aber - ganz wichtig: Die Ukraine ist kein NATO-Mitglied - und wird es in absehbarer Zukunft auch nicht werden. Die bisherige NATO-Osterweiterung - zuletzt 2004 durch die Länder Bulgarien, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen, wurden von der russischen Führung immer wieder als Provokation kritisiert. Russland betonte mehrfach, dass die NATO einst eine Ausbreitung Richtung Osten ausgeschlossen hatte.
Protokolle früherer Verhandlungen zwischen Russland, Deutschland und der USA zeigen, dass die jeweiligen Staatslenker sich im Lauf der Zeit teils widersprachen, aber sie belegen auch Missverständnisse und Missinterpretationen.
Der Deutschlandfunk hat diese Protokolle akribisch dokumentiert und die Chronik der Verhandlungen in zwei Features dargestellt:
Unter anderem durch den "Bündnisfall" und das Wachstum der NATO kam es in der Geschichte immer wieder zum sogenannten "Gleichgewicht des Schreckens". Heißt: Unter anderem Kalter Krieg und Kuba-Krise mündeten zwischen den USA und der Sowjetunion nie in einer globalen, militärischen Auseinandersetzung - aus Furcht vor der jeweils anderen Nuklearmacht.
Könnte sich der Ukraine-Krieg ausweiten?
Ganz ausschließen kann man eine solche Entwicklung nicht - und die Angst vor einer Eskalation wird vom Kreml regelmäßig geschürt. Putins Pressesprecher erklärte, die Zusage von Panzerlieferungen an die Ukraine bedeute eine "direkte Beteiligung" des Westens am Konflikt. Völkerrechtlich gelten die Waffenlieferungen Deutschlands und anderer Staaten zwar nicht als direkte Beteiligung am Krieg. Allerdings gibt es keine von allen Seiten akzeptierte Definition, ab welchem Ausmaß der militärischen Hilfe ein Staat als "Kriegspartei" betrachtet wird.
Allerdings wird eine Ausweitung des Krieges von Experten als sehr unwahrscheinlich betrachtet. Russland habe kein Interesse daran, in einen Krieg mit der NATO verwickelt zu werden, so die vorherrschende Ansicht.
Auf welcher Seite steht die Ukraine selber?
Die Bevölkerung der Ukraine ist gespalten: in einen westlich orientierten oder stark nationalistischen und einen pro-russischen Teil. In den ostukrainischen Städten Donezk und Luhansk haben die Menschen bei einem umstrittenen Referendum für die Abspaltung von der Ukraine abgestimmt. Auch bei der Annexion der Krim stimmte eine Mehrheit in einem nicht minder umstrittenen und von vielen Ländern nicht anerkannten Referendum für den Anschluss an Russland. In anderen Landesteilen dagegen gibt es starke anti-russische Bewegungen.
Welche Rolle spielt dabei das Völkerrecht?
Die humanitäre Lage in der Ukraine hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter verschlechtert. Im Zuge der Spannungen im Land und der Konflikte mit Russland ist deshalb immer wieder die Rede von der "Verletzung der Völkerrechte". Dabei handelt es sich um eine Rechtsordnung, nach der sich alle Staaten der Welt zu richten haben. Ein wichtiger Bestandteil etwa ist die Menschenrechtserklärung, nach der alle Menschen gleich und frei sind.
Basis für die Rechtsordnung ist die Charta der Vereinten Nationen (UN). Der UN gehören 193 Staaten an, darunter auch Russland und die Ukraine. Verstößt ein Staat gegen das Völkerrecht, können Sanktionen verhängt werden.
Wichtig zu wissen: Staaten, die das Völkerrecht anerkennen, ist es verboten, einen anderen Staat mit kriegerischen Mitteln anzugreifen.