Er wird geliebt und gehasst zugleich: der Musikstreamingdienst Spotify. Laut Unternehmen nutzen eine halbe Milliarde Menschen die App mit dem grünen Schallwellenlogo weltweit. Die Plattform aus Schweden ist eine der beliebtesten und größten mit einem Marktanteil von mehr als 30 Prozent, so viel wie Amazon Music und Apple Music zusammen.
Gleichzeitig steht Spotify schon länger in der Kritik, weil es Künstlerinnen und Künstler angeblich schlecht bezahle. Jetzt hat das Unternehmen angekündigt, einiges ändern zu wollen.
Was hat Spotify vor?
1. Es gibt immer wieder Musiker, die ihre Streaming-Abrufzahlen fälschen. Sie bezahlen Firmen, die künstliche Clicks generieren. Labels oder Künstler, die das machen und betrügen, sollen stärker kontrolliert und bestraft werden.
2. Produzenten von funktioneller Musik wie Rauschen oder Regengeplätscher bekommen im Moment genauso viel Geld wie große Künstler. Das soll sich ändern, sie sollen nicht mehr so viel bekommen. Spotify erhofft sich davon, die massiven Streams für diese Genres einzudämmen und dadurch mehr Einnahmen für echte Künstlerinnen und Künstler zu generieren.
3. Alle Songs müssen in Zukunft einen Mindest-Streaming-Schwellenwert von 1.000 Streams pro Jahr erreichen, um bezahlt zu werden. Zudem muss jeder Song eine bestimmte Zahl an Hörerinnen und Hörern haben. Und das ist der größte Diskussionspunkt. Denn: Bisher gibt es solche Mindestschwellen nicht.
Wie reagieren Musiker auf die Spotify-Pläne?
Die ersten zwei Änderungen finden sehr viele fair und vernünftig. Beim dritten, dem Erlösmodell, reagieren vor allem kleinere Künstlerinnen und Künstler wütend und empört. Dem Kölner Musiker Enna geht es dabei noch nicht einmal um das Geld, sondern um die Nachricht, die dadurch transportiert werde: "Eure Musik ist nicht so viel Wert wie die Musik, die viel gehört wird. Also das symbolische Ding ist das Problem."
Christopher Annen ist Mitglied der Band AnnenMayKantereit
Christopher Annen ist Mitglied der Band Annenmaykantereit und Vorsitzender des Vereins "Pro Musik". Im WDR-Interview kritisiert er die neuen Spotify-Regeln: "Das hat wenig mit Wertschätzung für das Werk zu tun. Das finde ich sehr schade."
Vavu vom Duo "Vavunettha"
Und die Musikerin Vavunettha dachte im ersten Moment: "Shit. Als kleine Künstlerin ist es eh schon schwierig, Streaming-Einnahmen reinzubekommen. Deswegen dachte ich: Mal schauen, ob ich überhaupt über diese Grenze komme." Auch wenn Vavunettha mittlerweile diese Streaming-Zahlen schafft, sieht sie die Gefahr, dass diese Änderung kleinere Künstlerinnen und Künstler erst einmal abschrecken könnte, überhaupt mit Musik anzufangen.
Musiker und Komponist Matthias Hornschuh
Matthias Hornschuh arbeitet seit vielen Jahren als Komponist, Musikproduzent, ist aber auch Experte zum Thema Gema und Urheberrechte. Er kritisiert: "Das große Problem ist, dass es überhaupt keine Abstimmung gegeben hat mit den ausübenden Künstlerinnen und Künstler." Zugleich beklagt er, wie viele andere, die Intransparenz der Plattform, wie das Geld verteilt wird.
Wieviel zahlt Spotify derzeit?
Bisher bekommen die Künstler Geld von Spotify, wenn ihr Song mehr als 30 Sekunden lang läuft. Die Musiker bekommen anteilig etwas ausgezahlt - je nachdem, wie viele Streams sie hatten und in welchem Land sie wohnen. 30 Prozent der Einnahmen pro Song gehen an Spotify, der Rest wird auf die Rechteinhaber, also die Gema, die Plattenfirmen und die Künstler, verteilt.
Die Musikvertriebsplattform iGroove hat ausgerechnet, dass Musikerinnen und Musiker im Schnitt 3.398 Euro pro 1 Million Streams bekommen. Das entspricht 0,0033 Euro für einen Stream, 34 Cent für 100 Streams und 3,39 Euro für 1.000 Streams (Stand: Dezember 2022). Viel Geld verdienen also meist nur die ganz "Großen" wie Taylor Swift.
"Spotify ist der Streamingdienst mit dem größten Marktanteil, aber auch der, der am schlechtesten bezahlt", sagt Christopher Annen von Annenmaykantereit. "Noch weiter bei den Artists zu sparen, halte ich deswegen für den falschen Ansatz."
Was verspricht Spotify sich von der Mindestschwelle?
Spotify bietet nach eigenen Angaben weit mehr als 100 Millionen Titel an. Dutzende Millionen davon seien im vergangenen Jahr aber nur zwischen 1 und 1.000 Mal gestreamt worden, so Spotify. Im Schnitt habe jeder Titel nur 0,03 US-Dollar pro Monat generiert. Zu wenig, um das an Labels und Künstler auszuzahlen, weil die Überweisung oft teurer sei als der Auszahlungsbetrag selbst.
Am Ende gehe es um 0,5 Prozent aller gestreamten Titel. Spotify versichert, mit dem neuen Modell kein zusätzliches Geld verdienen zu wollen. Matthias Hornschuh sieht die Pläne trotzdem kritisch und glaubt, dass Spotify nicht an "Vielfalt und dem glücklichen Miteinander in der Musikfamilie interessiert ist". Spotify sei ein Risikokapital-gestütztes Unternehmen, das vor allem gewinnorientiert agiere. "Aber, und das sollte man nicht aus dem Blick verlieren: Das tun ja die, deren Musik da liegt, auch. Und wenn die plötzlich nicht mehr gewinnorientiert arbeiten können, (...) dann gibt's ein Problem."
Was wünschen sich die Künstlerinnen und Künstler?
Vor allem mehr Unterstützung. Und sie haben mehrere Vorschläge, wie die finanzielle Lücke zwischen kleineren und größeren Künstlern kleiner gemacht werden kann. Der Kölner Sänger und Produzent Sam Sumner findet zum Beispiel, dass gerade viel zu wenig über die Idee eines neues Abo-Modells gesprochen wird. Das nennt sich UCPS, also User Centric Payment System: "Das bedeutet im Prinzip, dass du ein Abo abschließt und nur die Artists etwas von deinem Geld bekommen, die du auch hörst."
Mehrere deutsche Musikerinnen und Musiker haben zudem eine Petition gestartet, in der sie den Streamingdienst Spotify dazu auffordern, die geplanten Vergütungsveränderungen zu stoppen und die Daten zur Berechnung der Streamshares transparent zu machen. Mit dabei sind unter anderem Max Mutzke, Gregor Meyle oder Klee.
Ihre Kritik: "Durch die angekündigten Änderungen sorgt Spotify dafür, dass die Schere zwischen besonders erfolgreichen Musiker:innen und kleineren Musiker:innen immer weiter auseinander geht und vor allem große Acts und Labels von den Änderungen auf Kosten der kleineren profitieren: Survival of the fittest, Turbokapitalismus at its best."
Argumente von Spotify, dass sich die jährliche Abrechnung von Songs unter 1.000 Streams nicht lohne, seien zum einen durch das eigens eingebrachte schlechte Vergütungsangebot hausgemacht und zudem in Zeiten von erfolgreichen FinTech-Unternehmen wie Paypal, die kleine Überweisungen möglich machen, unglaubwürdig.
Christopher Annen empfiehlt deswegen: Lieber wieder mal auf ein Konzert gehen, eine Platte kaufen und obendrauf noch ein T-Shirt. "Das ist am Ende die beste Form der Unterstützung."
Quellen:
- Berechnungen von iGroove
- Blog-Eintrag von Spotify
- Petition auf Change.org
- Auswertung von MiDiA Research
- Interview mit Matthias Hornschuh
- Interview mit Christopher Annen
- Interview mit Sam Sumner
- Interview mit Vavunettha
- Interview mit Enna