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"Gehsteigbelästigungen" machen Schwangerschaftsberatung zum Spießrutenlauf

Stand: 09.04.2024, 20:24 Uhr

Der Bundestag berät am Mittwoch über einen besseren Schutz von Schwangeren vor Abtreibungsgegnern. Die "Gehsteigbelästigung" soll zur Ordnungswidrigkeit werden.

Von Christian Zelle

Bislang sind Abtreibungen in Deutschland grundsätzlich illegal - und dürfen nur unter bestimmten Voraussetzungen vorgenommen werden. Die Beratungen sind für die Frauen mit einem Abbruchwunsch verpflichtend. Doch manchmal werden Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen oder sich darüber in Kliniken, Arztpraxen oder Beratungsstellen informieren wollen, auf ihrem Weg dorthin von radikalen Abtreibungsgegnern angefeindet. Zwar kommt es in Deutschland nur selten zu diesen sogenannten "Gehsteigbelästigungen", doch für betroffene Frauen gleichen sie einem Spießrutenlauf.

Frauen müssen durch den Hintereingang zur Beratung

Dass diese Anfeindungen zur Ordnungswidrigkeit erhoben werden sollen, lobt die Ärtzin Kristina Hänel: "Ich begrüße das sehr." Sie kämpft seit Jahren für die Rechte schwangerer Frauen, und ihre Arbeit wird seit Jahrzehnten durch "Gehsteigbelästigungen" erschwert. 2017 wurde Hänel zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie Informationen zum Schwangerschaftsabbruch bereitstellte. Der Paragraf 219a des Strafgesetzbuches, der dies unter Strafe stellt, wurde 2022 abgeschafft und Hänel damit rehabilitiert.

Dr. Kristina Hänel

Kristina Hänel

Die Gießener Ärztin erinnert sich, wie Frauen nach der Eröffnung der Pro Familia-Beratungsstelle in Gießen vor 30 Jahren nur durch den Hintereingang zur Beratung gelangen konnten, weil Abtreibungsgegner den Platz davor belagerten. Auch in ihrer eigenen Praxis sei der Besuch durch den Hintereingang üblich gewesen, um Frauen den Spießrutenlauf vor der Praxis zu ersparen.

Ich habe solche Gehsteigbelästigungen mehrfach erlebt. Das war eine irre Belastung. Ärztin Kristina Hänel

Dabei sei die Anonymität bei dem heiklen Thema "Schwangerschaftsabbruch" für Frauen essenziell: "Viele wollen, dass es keiner erfährt. Es gibt Frauen, die dadurch in Lebensgefahr geraten können." Der Abbruch an sich sei für Frauen "nicht traumatisch", wenn sie gut beraten werden und die Entscheidung für sie "okay" ist. Zum Problem werde der Abbruch erst durch fehlende Akzeptanz des eigenen Umfeldes und Anfeindungen wie den "Gehsteigbelästigungen".

Das wird auch von der Beratungsstelle Pro Familia bestätigt, derzufolge 95 Prozent der Betroffenen ihren Schwangerschaftsabbruch auch Jahre später für die richtige Entscheidung hielten: "Als belastend werden vielmehr die ungeplante Schwangerschaft und insbesondere die gesellschaftlichen Begleitumstände - Tabuisierung, Stigmatisierung, Kriminalisierung, Restriktion des Zugangs - empfunden", so eine Sprecherin des Verbandes auf WDR-Nachfrage. Zu den belastenden negativen Umständen zählten auch die Konfrontationen mit Abtreibungsgegnern.

Pro Familia: Gehsteigbelästigung greift in Rechte der Frauen ein

Pro Familia sei bislang selten von solchen Vorfällen betroffen und könne den Beratungsstellenbetrieb so organisieren, dass Klientinnen "so wenig Kontakt wie möglich zu den Abtreibungsgegnern haben". Arztpraxen wie die von Hänel oder auch die Gynaikon-Klinik in Dortmund träfe das eher. So habe es etwa in Dortmund in den vergangenen beiden Jahren Proteste gegeben, und die zuständige Ärztin, Mitarbeitende sowie der Vermieter des Gebäudes seien belästigt und bedroht worden.

Das "Phänomen der Gehsteigbelästigungen" sei zwar nicht flächendeckend, nehme aber seit Jahren zu: "Gehsteigbelästigungen greifen in das Recht der Betroffenen ein, sich zum Thema Schwangerschaftskonflikt beraten zu lassen, daher beobachten wir diese Entwicklung mit großer Sorge", sagt Pro Familia. Wenn der Bundestag am Mittwoch in erster Lesung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Eindämmung der Belästigung berät, ist man der Einstufung als Ordnungswidrigkeit einen Schritt näher - diese könnte immerhin mit maximal 5.000 Euro bestraft werden, was die Sorgen der Beratungsstellen verringern dürfte.

Bevor es so weit ist, werden allerdings noch zwei weitere Lesungen im Bundestag und ein zweiter Durchgang im Bundesrat folgen.

Über das Thema berichtet am 09.04.2023 auch die Aktuelle Stunde im WDR Fernsehen.

Unsere Quellen:

  • Gespräch mit Ärztin Kristina Hänel
  • Gespräch mit Pro Familia
  • Nachrichtenagenturen KNA und AFP
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

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