Instabiler Bergbaustollen in Essen: So geht es den Mietern
Stand: 26.06.2024, 12:12 Uhr
Nach der Evakuierung von zwei Häusern in Essen durften die Bewohner am Mittwochvormittag kurz in ihre Wohnungen und ihre nötigsten Sachen rausholen. Wie es langfrisitg weitergeht, ist noch unklar.
Von Solveig Bader
Dem 91-jährigen Essener Gerd Frank wurde buchstäblich der Boden unter den Füßen weggerissen. "Von heute auf morgen verliert man sein geliebtes Zuhause", beschreibt er seine Situation. So fühlt es sich nicht nur für ihn an, sondern auch für die anderen 82 Mieterinnen und Mieter, die wegen Einsturzgefahr ihre Häuser Freitagnacht schlagartig verlassen mussten und vorerst in provisorischen Unterkünften leben.
Unter ihrem Haus haben Experten einen 35 Meter tiefen Hohlraum entdeckt. Ein ehemaliger Bergbaustollen sorgt dafür, dass die Gebäude nicht mehr sicher stehen, weil die Statik instabil ist.
"Das war mein Leben in Essen-Freisenbruch"
Gerd Frank
35 Jahre lang hat Gerd Frank in dem mehrstöckigen Mietshaus in Essen-Freisenbruch gewohnt. Vor acht Jahren ist seine Frau gestorben, seitdem ist er alleinstehend. Sein Trost: Alles war für ihn vertraut. Auch jetzt, im hohen Alter, konnte er noch selbständig in seiner Wohnung leben, hatte kurze Wege zum Einkaufen und zum Arzt.
Mit den Nachbarn war er gut befreundet, man hat aufeinander aufgepasst. Das ist ein wertvolles Gut. Jetzt sitzt er in einem fremden Zimmer im vierten Stock eines Essener Hotels, das seit einiger Zeit als Unterkunft für Geflüchtete dient. In der Eile und Aufregung hat er seinen Rollator in der Wohnung gelassen und nur einen Gehstock dabei. Die Batterien seines Hörgerätes hat er auch vergessen, Medikamente und wichtige Dokumente.
Gaby Waldhelm, Tochter von Gerd Frank
Seine Tochter Gaby Waldhelm pendelt jetzt zwischen Mülheim und Essen hin und her, um ihrem Vater das Nötigste zu besorgen und ihn aufzubauen. "Mein Vater hat nur zwei Unterhosen, Hemden und ein paar Socken dabei, sonst nichts". Letztes Jahr habe er eine Herz-OP gehabt, eine neue Herzklappe bekommen. Das stecke ihm noch in den Knochen. Der plötzliche Wohnungsverlust - das sei zuviel.
Vorübergehend in Flüchtlingsunterkunft
Insgesamt wohnen 30 Bewohner der evakuierten Häuser vorübergehend in einer Flüchtlingsunterkunft, die das Deutsche Rote Kreuz betreibt. Die meisten Betroffenen sind im Seniorenalter und haben teilweise keine Angehörigen. Sie teilen sich den Speisesaal mit 70 ukrainischen Geflüchteten, die dort ebenfalls untergebracht sind.
Am Mittwochvormittag durften sie kurz in ihre Wohnungen, zumindest um das zu holen und einzupacken, was ihnen wichtig ist. Shuttle-Busse transportieren die Menschen nach Essen-Freisenbruch, die nicht mobil sind.
Der Senior Gerd Frank ist froh. Er braucht dringend Kleidung, Wäsche, Stammbuch und Versicherungsunterlagen. Anschließend geht es in eine neue Unterkunft, das Ramada-Hotel in der Essener City. Wer nicht bei Freunden oder Verwandten unterkommt, kann dort vorübergehend einziehen. Die Wohnbau eG hat Zimmer angemietet. Eine komfortablere Lösung für die Mieter.
Zukunft trotzdem weiter ungewiss
"Die wohnungslosen Mieter müssen sich darauf einstellen, dass es Wochen oder Monate dauern kann, bis sie möglicherweise in ihre Wohnung zurückziehen dürfen", sagt Frank Skrube, Pressesprecher der Wohnbau eG Essen. Bislang gebe es mehr Fragen als Antworten.
Die vom roten Kreuz betriebene Unterkunft
Die Bergaufsicht der Bezirksregierung Arnsberg, die für die Überwachung der einsturzgefährdeten Häuser zuständig sind, sucht derzeit nach einer Lösung. Es wird geprüft, ob und wie die Gebäude statisch sicher gemacht werden können oder ob sie möglicherweise abgerissen werden müssen. Bereits in den letzten Wochen hatte die Bezirksregierung Untersuchungen und Erkundungsbohrungen durchgeführt. Dabei hatte sie vergangene Woche den Hohlraum entdeckt und festgestellt, dass die Häuser einsturzgefährdet sind und deshalb umgehend evakuiert werden müssen.
Für den 91-jährigen Gerd Frank ist schlimm, dass er nicht mehr jeden Tag zum Friedhof gehen kann und seine verstorbene Frau besuchen kann. Das habe er vor dem Auszug zweimal am Tag gemacht. Zum Glück sei vorher das Grab frisch bepflanzt worden.
Unser Quellen:
- Reporterin vor Ort
- Stadt Essen
- Wohnbau eG Essen