Fast ein Vierteljahrhundert war sie ganz nah dran am Machtzentrum der katholischen Kirche in Köln. "Ich war 24,5 Jahre bei Kardinal Meisner", gibt die 72-Jährige zu Protokoll. Sie ist sichtlich aufgeregt, ihre Stimme bricht. Als Sekretärin habe sie für den ehemaligen Kölner Kardinal Joachim Meisner gearbeitet, bis zu dessen Tod, 2017.
Die Frage, zu deren Klärung sie im Saal 142 im Kölner Landgericht beitragen soll, stellt der Richter zu Verhandlungsbeginn nochmal laut und deutlich klar: "Es geht hier darum, ob Kardinal Woelki Kenntnis vom Inhalt zweier Papiere hatte, nicht, ob er die Papiere zwingend selbst kannte."
In einer eidesstattlichen Versicherung hatte Meisners Nachfolger Rainer Maria Woelki versichert, er habe vor der Beförderung eines Düsseldorfer Priesters nur Gerüchte gekannt, sei nicht mit den Akten und Papieren befasst gewesen.
Auf der linken Seite des Gerichtssaals sitzen der "BILD"-Reporter, ein Anwalt und eine Vertreterin des Springer-Verlags. Als die Zeugin sagt, sie habe die Personalakte des später beförderten Priesters nie in der Hand gehabt, schauen die Zuschauer zum Journalisten. Hat er tatsächlich die Unwahrheit geschrieben? Hat der viel kritisierte Kölner Kardinal Recht?
Doch dann fragt der Richter nach den Inhalten eines Polizeischreibens. Auch das, sagt die Zeugin, kenne sie nicht. Den Inhalt aber schon. Sie sei damals eng mit dem Priester D. befreundet gewesen. Er habe sich in ihrem Büro geoutet. Als homosexuell und dass er Kontakt mit einem minderjährigen Prostituierten gehabt habe.
Das Wissen habe sie sehr belastet, sagt sie mit zitternder Stimme. Aber sie sei daraufhin regelmäßig mit Pfarrer D. auf Jugendfahrten gefahren, um mahnend eingreifen zu können. Er sei etwa mit Jungen Unterwäsche kaufen gegangen. Außerdem habe er ihr erzählt, dass er mit Minderjährigen in die Sauna gehe.
Woelki ausführlich über sexuelle Neigungen von Pfarrer D. informiert
Und woher könnte Kardinal Woelki das wissen? Er habe sie angeschrieben. Als er noch Weihbischof in Köln war. Habe gefragt, wann sie mal alleine im Büro sei. Der damalige Kardinal und auch sein Mitarbeiter sollten bitte nicht vor Ort sein. Er wolle über Pfarrer D. mit ihr reden.
In einem 20-minütigen Telefonat im Zeitraum 2010 oder 2011 habe sie Woelki dann von dem Prostituierten, den Unterwäschekäufen und Saunabesuchen erzählt. Auch warum sie nach Jahren die Freundschaft mit Pfarrer D. gebrochen habe. Dass sie immer gehofft habe, das Bistum möge sich um die Vorwürfe kümmern.
Der Anwalt der "BILD"-Zeitung fragt dann, ob ihr jemand im Erzbistum Druck gemacht habe, dass sie nicht vor Gericht erscheinen solle. Sie ist lange still. Schaut zum Anwalt des Bistums. Irgendwann bricht der das Schweigen und sagt: "Sie können ruhig sagen, dass ich Sie angerufen habe." Er habe ihr beistehen wollen, sagt der Anwalt. Immer wieder schaut sie ihn zögernd an, gibt aber am Ende zu Protokoll, dass er keinen Druck auf sie ausgeübt habe.
Dann wird sie gefragt, warum sie trotz der enormen Belastung im Gerichtssaal erschienen sei. "Weil ich denke, das Lügen muss aufhören."
Ein Urteil wurde heute noch nicht gesprochen. Anfang Dezember soll der ehemalige Missbrauchsbeauftragte des Bistums als Zeuge gehört werden.
Erzbistum sieht keinen Widerspruch zu Aussagen Woelkis
Das Erzbistum Köln erklärte am Abend, die Aussagen der Zeugin stünden nicht in einem Widerspruch zu den Aussagen von Kardinal Woelki.
Die Staatsanwaltschaft erklärte am Donnerstag, sie prüfe jetzt, ob sich aus den Aussagen der Zeugin weitere Ermittlungsansätze gegen Kardinal Woelki ergeben. Dazu werden unter anderem Medienberichte ausgewertet, so ein Sprecher.
Hinweis: In einem früheren Beitrag an dieser Stelle hatten wir irrtümlich formuliert, die Zeugin habe sich unter Druck gesetzt gefühlt. Das trifft nach ihrer Aussage nicht zu.
Über dieses Thema berichten wir im WDR am 16.11.2022 auch im Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.