Ein Feuer brennt auf einer Straße während Menschen nach der Verabschiedung einer umstrittenen Rentenreform protestieren und die Polizei im Einsatz ist.

Rentenreform verabschiedet, Proteste gehen weiter: Was ist da los in Frankreich?

Stand: 21.03.2023, 09:28 Uhr

Frankreichs Regierung hat am Montag in Paris zwei Misstrauensanträge überstanden. Damit ist die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre verabschiedet. Trotzdem gehen die Proteste weiter.

Von Jörn Seidel, Lukian Ahrens, Sabine Meuter

Die geplante Rentenreform gilt als das wichtigste Reformprojekt von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Nachdem die Regierung am Montag in der Nationalversammlung zwei Misstrauensvoten überstanden hat, ist die Reform nun endgültig verabschiedet. Damit wird das Renteneintrittsalter auf 64 Jahre angehoben. Seit Wochen gibt es gegen die Rentenreform massive Proteste - auch am Montagabend wieder.

Was regt die Franzosen so auf? Und warum regt sich in Deutschland kein Protest, obwohl das gesetzliche Renteneintrittsalter bald bei 67 Jahren liegt? Fragen und Antworten.

Was ist das Ziel der Rentenreform?

Emanuel Macron

Emmanuel Macron, französischer Staatspräsident

"Wir müssen mehr arbeiten", hatte Macron in seiner Neujahrsansprache gesagt. Ziel sei es, die Finanzierung der Renten dauerhaft sicherzustellen, "die andernfalls bedroht wären; denn wir finanzieren sie mit Krediten", so der Staatschef.

Wie sieht die Rentenreform genau aus?

Kern der Rentenreform: Das Alter für die abschlagsfreie Rente soll bis 2030 schrittweise von 62 auf 64 Jahre ansteigen.

Zudem soll die Zahl der Beitragsjahre für die abschlagsfreie Rente bald von 42 auf 43 Jahre angehoben werden. Wer nicht lange genug gearbeitet hat, soll wie bisher spätestens mit 67 Jahren seine volle Rente beziehen können.

Für Menschen, die früh angefangen haben zu arbeiten oder die besonders beschwerliche Berufe ausüben, sind Ausnahmen vorgesehen. Die monatliche Mindestrente will die Regierung auf etwa 1.200 Euro hochsetzen.

Wann gehen die Menschen anderswo in der EU in Rente?

Zu unterscheiden ist zwischen dem gesetzlichen Renteneintrittsalter und dem tatsächlichen - und dort wiederum zwischen Männern und Frauen. In Griechenland etwa gehen Frauen im Durchschnitt mehr als zwei Jahre früher in Rente als Männer.

Schwierig ist vor allem ein Ländervergleich des gesetzlichen Renteneintrittsalters, weil sich die Rentensysteme teils stark unterscheiden. So liegt zwar das früheste reguläre Eintrittsalter in Frankreich - wie oben genannt - bei 62 Jahren. Für die Vollrente müssen manche aber bis 67 arbeiten. Die Organisation OECD gibt daher für Frankreich den Durchschnittswert 64,5 Jahre an.

So betrachtet liegt Frankreich beim gesetzlichen Renteneintrittsalter sogar über dem EU-Durchschnitt von 64,3 Jahren.

Warum sind die Proteste in Frankreich so heftig? Und warum gibt es so was nicht in Deutschland?

Die Gründe dafür sind wohl vielfältig. Da gibt es zum einen kulturelle Unterschiede. "Die Franzosen sind sehr stolz auf ihre Revolutionskultur", sagte die in Deutschland lebende französische Moderatorin Nathalie Licard am Freitag dem WDR. Diese Form des Protests sei ein Teil "unserer DNA". "Wir denken: Es ist alles möglich."

Politikwissenschaftler Hans Stark

Hans Stark, Politikwissenschaftler

Hinzu kommt eine große Unzufriedenheit über die Art und Weise, wie Macron und dessen Regierung mit Premierministerin Elisabeth Borne die Rentenreform durchgebracht haben. Macron habe sich viel zu sehr beeilt, sagte Politikwissenschaftler Hans Stark von der Universität Sorbonne und dem Französischen Institut für internationale Beziehungen (Ifri) am Dienstag dem WDR.

"Er hat sich gerade mal zehn Monate Zeit genommen, um eigentlich - man muss schon sagen: mit der Brechstange - dieses Reformgesetz durch das Parlament zu treiben." Hans Stark, Politikwissenschaftler

Dass es in Deutschland bislang keine vergleichbaren Proteste gegen eine Rentenreform gegeben hat, könnte auch rechtliche Gründe haben. Denn nach einer Gerichtsentscheidung aus den 1950er-Jahren gelten hierzulande sogenannte politische Streiks als verboten. Zu solchen dürfen Gewerkschaften demnach nicht aufrufen. Politikwissenschaftler Jörg Nowak meint jedoch: Die Unterscheidung zwischen politischem und gewöhnlichem Streik sei keineswegs klar.

Über dieses Thema berichteten wir am 17.03.2023 auch in der "Aktuellen Stunde" im WDR Fernsehen und am 20.03.2023 in den Hörfunknachrichten, unter anderem bei WDR5.