Weniger Hass im Netz – So arbeitet ein digitaler Streetworker

Stand: 23.08.2024, 06:00 Uhr

Extremismus, Beleidigungen, Mobbing das Internet ist für viele Jugendliche kein sicherer Ort. Ein Digital Streetworker berichtet, wie er junge Menschen online bei ihren Problemen unterstützt.

Von Lena Schmidt

Rechtsextreme Akteure missbrauchen Games und Gaming-Communities immer wieder für propagandistische Zwecke. Ein Beispiel sind Spiele nach dem Sandkastenprinzip, also solche, in denen Hobby-Gamerinnen und Gamer ihre eigenen Welten erstellen. Beim Game "Roblox" konnte zeitweise das Attentat von Halle 2019 nachgespielt werden. Bei "Minecraft" wurden schon Konzentrationslager gebaut.

Digital Streetworker holen meist junge Gamer über Themen ab, die sie kennen - wie zum Beispiel das Spiel "Minecraft". | Bildquelle: dpa/ Georg Wendt

Darüber hinaus sind in öffentlichen Kommentaren immer wieder diskriminierende Aussagen zu finden. Das weiß Jerome Trebing aus erster Hand. Er ist als "Digital Streetworker" auf Gaming-Plattformen wie Steam unterwegs und bietet jungen Menschen dort seine Unterstützung an. Ist auf Twitch ein großer Stream geplant, ist Trebing am Start.

Die klassische Streetwork ist ein Bereich der Jugendhilfe. Normalerweise arbeiten die Sozialarbeiter regional und beraten junge Menschen im Alter von 14 bis 27 Jahren, die zum Beispiel von Obdachlosigkeit betroffen sind oder Drogen konsumieren.

Wir versuchen diese Weltbilder, die in dem Fall noch nicht geschlossen sind, wieder ein bisschen aufzubrechen und breitere Perspektiven zu ermöglichen. Jerome Trebing, Digital Streetworker

Trebing hingegen ist nur im digitalen Raum aktiv Grenzen von Städten oder Bundesländern gibt es im Internet nicht. Er arbeitet an einem Projekt der Amadeu Antonio-Stiftung mit: "Good Gaming - Well Played Democracy".

Das Team hat sich gezielt die Gaming-Community ausgesucht, um junge Menschen in ihrer Lebenswelt zu erreichen: "Games sind mittlerweile die größten popkulturellen Produkte, die wir haben. Sowohl mit Blick auf die Umsätze, als auch darauf, wie viele Leute Gaming als Hobby haben", sagt Trebing.

Gaming besonders bei Jüngeren beliebt

Das wird auch durch aktuelle Zahlen deutlich. Gaming ist in allen Altersgruppen beliebt. Laut Statistischem Bundesamt wenden 10- bis 17-Jährige im Durchschnitt über eine Stunde am Tag für Video- und Computerspiele auf. Junge Erwachsene bis 29 Jahre zocken durchschnittlich 38 Minuten täglich. Bei den 45- bis 64-Jährigen sind es nur noch 8 Minuten.

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Videospiele sind jedoch nicht nur ein einsamer Zeitvertreib. Für viele ist genau das Gegenteil Realität. Multiplayer-Games sind sehr beliebt. Auch schauen Gamerinnen und Gamer regelmäßig Streams und tauschen sich in Kommentarspalten und Chats aus.

Gaming ist beliebt: Hunderttausende strömen während der Gamescom über das Messegelände in Köln und sind neugierig auf die neuesten Spiele-Trends. | Bildquelle: AFP/ INA FASSBENDER

Dabei geht es auch um persönliche oder gesellschaftspolitische Themen: Wer zum Beispiel "Hogwarts Legacy" spielt, kommt an Diskussionen um die transfeindlichen Aussagen von Harry Potter-Autorin J. K. Rowling wahrscheinlich nicht vorbei.

Jerome Trebing macht in diesen öffentlichen Gesprächen auf das Digital Streetwork-Angebot aufmerksam. Seinen Arbeitsalltag beschreibt er in drei großen Blöcken:

  • in den Kommentaren mitdiskutieren
  • in Eins-zu-Eins-Chats beraten
  • an Offline-Angebote weitervermitteln

Digital Streetwork gegen Radikalisierung

Die Digital Streetworker der Amadeu Antonio-Stiftung mischen sich gezielt in öffentliche Diskussionen ein, in denen ihnen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit auffällt oder Desinformationen verbreitet werden. In der JIM-Studie zur Mediennutzung von Jugendlichen gaben 43 Prozent an, im Internet schon mal extremen politischen Ansichten begegnet zu sein.

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Streng genommen machen einige digitale Projekte dadurch nicht nur klassische Streetwork, sagt Nadia Kutscher von der Universität zu Köln. Sie ist Professorin für Erziehungshilfe und Soziale Arbeit und erklärt: Digitalisierung betrifft alle Bereiche der Sozialen Arbeit. Auch klassische Streetwork-Projekte versuchen zunehmend, die Personen, die sie auf der Straße treffen, digital zu begleiten. Sie sind dann zum Beispiel über Messenger-Dienste erreichbar.

Hassrede und Mobbing: Viele Menschen haben keine Hemmung, andere in den Sozialen Medien zu beleidigen. | Bildquelle: WDR / picture alliance / photothek / Thomas Trutschel

Für Kutscher liegt der Unterschied darin, dass Digital Streetwork-Projekte oft medienpädagogische Präventionsarbeit und Demokratiebildung fokussieren – so wie das Projekt der Amadeu Antonio-Stiftung. Das müsse kein Nachteil sein. Die Beteiligung in Kommentarspalten und Foren sei "unglaublich wertvoll und ein wichtiger Bereich des Kampfes für unsere Demokratie im öffentlichen Raum".

Jugendliche profitieren von digitalen Hilfsangeboten

Nadia Kutscher sieht in digitalen Angeboten noch mehr Potenzial. So könnten Jugendliche erreicht werden, die sich von der klassischen Streetwork nicht angesprochen fühlen. Besonders wertvoll könnten sie für Kinder sein, die ihre Eltern zum Beispiel nicht um Hilfe bitten können.

Grundsätzlich können alle jungen Menschen Hilfsangebote über das Netz brauchen. Nadia Kutscher, Universität zu Köln

Denn Studien zeigen, dass gerade sozial benachteiligte Kinder und Jugendlichen eher Intensivnutzer von Sozialen Medien sind, so Kutscher. Und die seien auch eher unkritische Nutzer.

Digital Streetwork kein Allheilmittel

Die digitale Arbeit hat Grenzen. Es gibt bislang keine Studien, die einen direkten Zusammenhang zwischen Gaming oder Social Media und einer Radikalisierung belegen. Das Internet wird von Fachleuten häufig als "Katalysator" bezeichnet. Eine Ausstiegsarbeit aus rechtsextremistischen oder auch islamistischen Szenen kann daher genauso wenig ausschließlich im digitalen Raum gelingen.

Digital Streetwork-Projekte nutzen Social Media-Plattformen wie Twitch, Reddit, Instagram oder TikTok. | Bildquelle: imageBROKER / newspixx vario images

Sollten sich Jugendliche mit solchen Anliegen an Trebing wenden, vermittelt er sie – wenn möglich – an Offline-Projekte weiter.

Nur wenige Digital Streetwork-Projekte

Deutschlandweit gibt es inzwischen eine Handvoll Digital Streetwork-Projekte. Die Zahl klassischer Streetwork-Angebote ist deutlich höher. "Bei unserer Adressatengruppe von 14-27 Jahren schätze ich auf Grundlage der uns bekannten und in verschiedenen Email- Verteilern eingetragenen Einrichtungen grob eine Anbieterzahl zwischen 350 und 400 Streetwork-Einrichtungen in ganz NRW", teilt eine Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Streetwork/ Mobile Jugendarbeit NRW e.V. auf WDR-Anfrage mit.

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Digital Streetwork noch nicht etabliert

Projekte zum Digital Streetwork haben zum Teil sehr unterschiedliche Ausrichtungen. So kümmert sich das Projekt "Local Streetwork on/ off" in Düsseldorf ebenfalls mit Extremismusprävention, spezialisiert sich aber auf salafistisch-islamistische Radikalisierung. Sie sind nicht in Gaming-Communities aktiv, sondern in Sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram. Darüber hinaus sollen auch online vor allem Jugendliche aus der Region erreicht werden.

Digital Streetwork ist immer noch ein Tropfen auf dem heißen Stein. Insbesondere dann, wenn man sich die Größe von solchen Online-Räumen anschaut. Jerome Trebing, Amadeu Antonio-Stiftung

In einigen der Projekte wird eigener Content produziert, um die Zielgruppen zu erreichen. Das bundesweite Projekt "streetwork@online", das seinen Hauptsitz ebenfalls in Düsseldorf hat, teilt zum Beispiel politische Aufklärungsvideos auf TikTok:

Digital Streetworker haben für alle ein offenes Ohr

Eine Sache haben die Projekte gemeinsam: Junge Menschen können die Digital Streetworker mit allen Anliegen anschreiben und werden – wenn sie wollen – an Offline-Angebote weitervermittelt.

Der Bedarf an Beratung ist groß. "Ich habe im letzten Jahr alleine 209 Beratungen durchgeführt", sagt Trebing von der Amadeu Antonio-Stiftung. "Mit Urlaubstagen, Feiertagen und so weiter ist das eine Beratung pro Tag." Der Austausch in den Kommentarspalten ist da noch nicht eingerechnet.

Digital Streetwork kann die klassische Arbeit auf der Straße nicht ablösen. Sie kann aber eine Ergänzung sein und jungen Menschen da Unterstützung bieten, wo sie einen Großteil ihrer Zeit verbringen: im Internet.

Digital Streetworking: "Versteht sich als Soziale Arbeit" WDR 5 Morgenecho - Interview 21.08.2024 06:43 Min. Verfügbar bis 21.08.2025 WDR 5

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Unsere Quellen

  • Interview mit Nadia Kutscher
  • Interview mit Jerome Trebing
  • LAG Streetwork/Mobile Jugendarbeit NRW e.V.
  • Statistische Bundesamt (Destatis)/ Zeitverwendungserhebung 2022 
  • JIM-Studie 2023
  • Hate Speech Forsa-Studie 2023