EU-Sexualstrafrecht: 100 Frauen protestieren in offenen Brief an Justizminister
Aktuelle Stunde . 30.01.2024. UT. Verfügbar bis 30.01.2026. WDR. Von Marius-Antonius Brüning.
EU-Richtlinie zu Gewalt gegen Frauen: Offener Brief kritisiert Deutschlands Blockade
Stand: 30.01.2024, 19:31 Uhr
Über 100 prominente Frauen haben einen offenen Brief an Bundesjustizminister Marco Buschmann verfasst. Sie wollen, dass die Bundesregierung einer EU-Richtlinie zum Schutz von Frauen gegen Gewalt zustimmt. Die Hintergründe.
Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt sind keine Privatsache, sondern ein gesellschaftliches Problem, findet die EU-Kommission. Und es sei ein Problem, das EU-einheitlich angegangen werden müsse. Bereits vor zwei Jahren machte die EU-Kommission deshalb den Vorschlag für eine neue EU-Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt.
Die Idee: Gewisse Delikte sollen EU-weit unter Strafe gestellt werden - zum Beispiel auch Taten aus dem digitalen Bereich - wie das Cyberstalking, Einschüchterung im Netz oder das ungefragte Zusenden von intimen Bildern, so genannten Dickpics. Auch der Tatbestand der Vergewaltigung sollte vereinheitlicht werden. Die EU-Kommission schlägt vor, dass jede sexuelle Handlung an einer Frau, die nicht einvernehmlich geschieht, als Vergewaltigung eingestuft wird. Kurzum: Nur ein Ja ist ein Ja.
Justizminister Buschmann hat rechtliche Zweifel
Doch die Bundesregierung hat juristische Bedenken. Die EU könne mit der Regelung ihre Kompetenzen überschreiten, argumentiert FDP-Justizminister Marco Buschmann. Seine Befürchtung ist, dass der Europäische Gerichtshof eine solche Regelung wieder kippen könnte.
Justizminister Marco Buschmann (FDP)
In einer Erklärung seines Ministeriums vom Montagabend heißt es, dass die EU-Institutionen nicht über die notwendige Rechtsgrundlage verfügten, den Tatbestand der Vergewaltigung anders zu definieren, als dies in Deutschland und anderen EU-Ländern der Fall ist.
Offener Brief gegen Blockadehaltung
Kristina Lunz, Centre for Feminist Foreign Policy
Gegen diese Haltung des Justizministers wurde nun ein offener Brief verfasst, den 100 Frauen aus Politik, Kultur und Wirtschaft unterzeichnet haben. Die Initiatorin des offenen Briefs ist Kristina Lunz vom Centre for Feminist Foreign Policy, einer Forschungs- und Beratungsorganisation für feministische Außenpolitik. Es sei ein komplettes Schutzpaket für Frauen in Gefahr, sagt Kristina Lunz gegenüber dem WDR. "Sexualisierte Gewalt online hat ein Ausmaß angenommen, wodurch Frauen eingeschüchtert oder zum Schweigen gebracht werden." Die Direktive würde zum aller ersten Mal EU-weit Cybergewalt regulieren.
Die beiden Erstunterzeichnerinnen des Briefes sind die deutsche Journalistin und Filmemacherin Düzen Tekkal und Luisa Neubauer von Fridays for Future.
Luisa Neubauer
"Es fehlen Mut und politischer Wille"
Europaabgeordnete Maria Noichl
Laut der Europaabgeordneten Maria Noichl beruft sich Justizminister Buschmann bei seiner Argumentation auf ein Papier des Rates, das Zweifel an der Durchsetzbarkeit hat. "Wir als Parlament und auch die Kommission berufen sich auf andere juristische Papiere, die eindeutig klarmachen: es wäre möglich."
Zum Hintergrund: In 14 EU-Ländern müssen Frauen noch nachweisen, dass es zu Gewalt oder Androhung von Gewalt kam, damit man von Vergewaltigung sprechen kann. Nur in 13 Staaten gibt es bislang Gesetze, die Vergewaltigung definieren als Sex ohne Zustimmung. Das schließt auch Fälle ein, in denen Frauen durch Drogen oder Alkohol gezielt wehrlos gemacht werden oder ein "Nein" nicht ernst genommen wird.
In Deutschland gilt dies bereits seit 2016. Damals wurde das Sexualstrafrecht verschärft. Damit wurde der Grundsatz "Nein heißt Nein" ins Strafgesetzbuch aufgenommen und jede sexuelle Handlung gegen "erkennbaren Willen" eines Dritten fällt seitdem unter Strafe. Das solle ermutigen, sich für europaweite Standards einzusetzen, sagt Maria Noichl. "Es fehlen der Mut und der politische Wille."
Juristinnenbund: Argumentation "nicht überzeugend"
"Rechtlich gesehen haben viele EU-Staaten noch das sogenannte Nötigungsmodell, das heißt, dass eine Vergewaltigung dort nur angenommen wird, wenn Täter Gewalt anwenden oder androhen. Diesen Missstand versucht die Richtlinie zu beseitigen", erklärt Juristin Leokadia Melchior gegenüber dem WDR. Die Blockade Deutschlands - gestützt auf eine juristische Argumentation - sei auch aus Sicht des Deutschen Juristinnenbundes nicht überzeugend.
Auch Frankreich blockiert die Richtlinie
Wie könnte es nun weiter gehen? Nicht nur Deutschland, sondern auch Frankreich blockiert die neue EU-Richtlinie. Finden die Mitgliedstaaten keinen Konsens, droht die Richtlinie zu scheitern.