Straße in Beirut

Deutsche in Nahost: "Niemand weiß, was passieren wird"

Stand: 07.08.2024, 21:28 Uhr

Die Angst vor einer Eskalation in Nahost wächst. Auch Menschen aus Deutschland sind vor Ort oder haben Verbindungen in die Region. Wie gehen sie mit der Situation um?

Von Catharina Coblenz

Die Lage im Nahen Osten ist angespannt. Die Lufthansa streicht bis zum 12. August die Verbindungen nach Tel Aviv, Beirut und Teheran. Im Gazastreifen herrscht weiterhin Krieg, die Hisbollah und Israel greifen sich gegenseitig an und Israel rechnet mit einem Vergeltungsangriff des Iran.

Die Bundeswehr hat sich bereits auf mögliche Evakuierungseinsätze vorbereitet und die US-Regierung versucht den Ausbruch eines großen Krieges in Nahost abzuwenden.

"Wir sind ja schon im Krieg"

Julia Neumann blickt seitlich in die Kamera

Journalistin Julia Neumann

Julia Neumann ist freie Journalistin für verschiedene Medien und lebt seit sechs Jahren im Libanon. Auch sie schätzt die Lage im Libanon inzwischen als gefährlich ein. Bisher, sagt sie, habe sie ein großes Vertrauen darauf gehabt, dass alles "in einem gewissen Rahmen bleibt und nicht ausartet", auch weil die USA einen großen Druck auf Israel und Iran ausüben. Aber: "Gerade im Moment sinkt dieses Vertrauen sehr", sagt sie.

"Niemand hat eine Glaskugel, also niemand weiß, was passieren wird." Julia Neumann, Freie Journalistin im Libanon

Von Deutschland aus käme nun der Appell, sich so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen, "weil man nicht weiß, ob ein Krieg ausbricht, der Beirut treffen wird". Sie sagt aber auch: "De facto ist der Libanon aber auch schon im Krieg".

Nahost-Konflikt: Angst vor Eskalation

Aktuelle Stunde 06.08.2024 36:11 Min. UT Verfügbar bis 31.12.2024 WDR Von Astrid Houben

Schwankende Gefühle

Die Gefühle der Menschen im Libanon beschreibt Neumann augenblicklich als sehr schwankend. Viele Menschen wüssten nicht, ob sie gehen oder bleiben sollten. Die Gefühle wechselten zwischen "Ich renne zum Flughafen und buche den nächstbesten Flug, egal wie teuer der ist, ich will auf jeden Fall raus" und "Ich warte hier, die werden mich schon evakuieren". Dabei solle man bedenken, dass es nicht leicht sei, sein ganzes Leben hinter sich zu lassen.

Außerdem, sagt sie, gäbe es im Libanon auch eine ganze Reihe von Deutsch-Libanesen und Deutsch-Libanesinnen. Einige würden sich im Moment sogar dafür entscheiden, im Libanon zu bleiben und nicht zurück nach Deutschland zu gehen, weil sie ihren Familien dort beistehen können.

Alltäglicher Kriegszustand

Lisa Michajlova in Tel Aviv

Lisa Michajlova in Tel Aviv

Lisa Michajlova kommt aus Gelsenkirchen und studiert zurzeit in Tel Aviv. Sie sagt, dass ihre Freunde aus Gelsenkirchen teilweise schon sehr besorgt seien. Der Unterschied wäre jedoch, dass man so etwas in Europa nicht gewöhnt sei. Sie sagt, die Leute in Deutschland machten sich dann "immer mal wieder Gedanken, wenn es in den Nachrichten ist". Für sie hingegen sei es alltäglich, dass man im Kriegszustand ist.

"Ich denke, dass man sich schon Sorgen macht, aber in Deutschland ist es punktueller und in Israel sind die Leute immer gleichmäßig besorgt." Lisa Michajlova, Studentin in Tel Aviv

In Tel Aviv hingegen sei es recht entspannt. Man sei natürlich besorgt und man ginge davon aus, dass viele Raketen fliegen werden. Aber Israel habe eine gute Infrastruktur und wäre auf solche Situationen gut vorbereitet. Viel beunruhigender fände sie "terroristische Angriffe wie beispielsweise jetzt in Holon", denn "das ist einfach komplett unvorhersehbar".

Menschen aus NRW

Aber wie gehen die Menschen in NRW mit der Situation um, die Familie oder Freunde in einem der betroffenen Gebiete haben? Welche Gedanken und Gefühle beschäftigen sie?

Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft

Regine Foerster aus Münster

Regine Foerster ist Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Münster und engagiert sich dort ehrenamtlich. Seit Jahren hat sie Freunde in Israel und besucht sie regelmäßig. Der Nahost-Konflikt beschäftigt sie persönlich sehr.

"Wir sind bei ihnen mit unseren Gedanken und unserem Mitgefühl und lassen sie das aufrichtig spüren." Regine Foerster, Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Münster

Sie berichtet davon, wie sich ihre Freundinnen und Freunde im Land auf den Krieg vorbereiten. Sie sagt, dass sie im ganzen Land und in den Privathäusern Schutzräume ausgebaut haben – "mit Lebensmitteln, Kleidung und Wasser, auch Spielzeug und Bücher für ihre Kinder". Dabei würden sie alles tun, um "nicht in Panik zu geraten" und "ihre Kinder nicht mit Angst anzustecken". Sie würden versuchen, auf die eigene Armee und die Unterstützung der Verbündeten zu vertrauen und "ihren Alltag in seinem gewohnten Programm zu leben."

"Es beschäftigt mich 24 Stunden am Tag"

Nassar Kaspari kommt aus der Stadt Jenin im Westjordanland. Er lebt zur Zeit in Gütersloh und ist im Vorstand der Bielefelder Nahostinitiative. Er sagt: "Es vergeht keine Stunde in denen ich keine Nachrichten gucke. Es beschäftigt mich 24 Stunden am Tag. Ich verfolge einfach den ganzen Tag die internationalen Nachrichtenkanäle." Gleichzeitig telefoniert er mehrfach am Tag mit seiner Familie im Westjordanland.

"Meiner Meinung nach müssen sehr schnell Verhandlungen stattfinden, damit das Leiden auf beiden Seiten aufhört", so Kaspari. Er betont, dass die Bevölkerung leidet. Nicht nur durch die militärische Lage, sondern auch besonders durch die Wirtschaftliche. "Viele können sich die Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten. Die Menschen finden einfach keine Arbeit. Weder in Israel noch im Westjordanland."

Ein Auge hier und eins dort

Bochumer Mahmoud

Mahmoud aus Bochum

Mahmoud lebt seit 21 Jahren in Bochum. Seine Familie lebt in Zahlé im Libanon. Auch er macht sich große Sorgen und telefoniert täglich mit seiner Familie. Wie er mit der Situation umgeht? Er sagt: "Für mich ist immer ein Auge hier wo ich lebe und eines dort."

"Eigentlich wollen wir alle nur Frieden und wir wollen leben. Wir Libanesen lieben das Leben!" Mahmoud aus Bochum

Er macht sich Gedanken darüber, dass es im Libanon schon unruhig ist, seit er auf der Welt ist. "Und egal wie: Immer sind wir schuld.", sagt er. "Ich wünsche mir, dass die Welt genau hinguckt, in die Geschichte guckt. Wir sind nicht Schuld an all dem was dort passiert."

Wünsche für die Zukunft

Lisa Michajlova in Jerusalem

Lisa Michajlova in Jerusalem

Und wie ist Sicht auf die Zukunft in den Konfliktregionen? Sowohl die Journalistin Neumann im Libanon als auch Studentin Michajlova in Israel sind darauf vorbereitet, dass sich die Lage vor Ort verschlimmert. Beide haben jedoch erstmal beschlossen zu bleiben. Für die Zukunft wünscht sich Michajlova, dass vor allem die Zivilisten nicht mehr weiter unter der Situation im Nahen Osten leiden müssen und dass "das Leben der Menschen insgesamt in der Region besser wird".

Julia Neumann interviewt

Julia Neumann ist Journalistin im Libanon.

Neumann blickt sogar sehr hoffnungsvoll in die Zukunft. Sie glaubt, dass da "eine neue Generation in der Region heranwächst, die ihre Führungen herausfordert, die auf die Straße geht, die protestiert - gegen Korruption, gegen Misswirtschaft, gegen autoritäre Regime". Das würde man in der Region immer wieder beobachten und sie sagt: "Darauf hoffe ich“.

Unsere Quellen:

  • Julia Neumann im Gespräch mit dem WDR
  • Lisa Michajlova im Gespräch mit dem WDR
  • Interview mit Regine Foerster, Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Münster
  • Interview mit Nassar Kaspari aus Gütersloh
  • Interview mit Mahmoud aus Bochum
  • Nachrichtenagentur dpa

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