Vorlesetag: Gymnasiast:innen lesen Grundschüler:innen vor
Aktuelle Stunde. 17.11.2023. Verfügbar bis 17.11.2025. WDR.
Bundesweiter Vorlesetag: Lesen - die Superkraft, die Bildungschancen eröffnet
Stand: 17.11.2023, 20:24 Uhr
Wer vorgelesen bekommt, lernt leichter lesen und ist besser in der Schule. Auch deshalb ist der bundesweite Vorlesetag wichtig. Bei der Aktion machen viele Politiker und Promis mit - auch Tagesschau-Sprecherin Damla Hekimoglu.
"'Was ist, Tiger, bist du krank?', fragte der kleine Bär. 'Oh ja, ich bin so krank', rief der kleine Tiger, 'ich kann fast nichts mehr bewegen.' 'Halb so schlimm', sagte der kleine Bär, 'ich mach dich gesund.'"
Geschichten wie diese von Kinderbuchautor Janosch, in denen einer dem anderen hilft, kommen bei Kindern gut an. Sie helfen, die Welt zu entdecken. So eine Geschichte vorgelesen zu bekommen bedeutet aber noch viel mehr: Es bedeutet bessere Bildungschancen.
Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wird, haben besonders gute Startchancen. Sie haben laut Studien früh einen größeren Wortschatz, lernen leichter lesen und haben in vielen Fächern bessere Schulnoten, fasst die Stiftung Lesen zusammen. Seit 2004, seit fast 20 Jahren, veranstalten die Stiftung Lesen, die DIE ZEIT und die Deutsche Bahn Stiftung deshalb den bundesweiten Vorlesetag.
Die Aktion hat sich in all den Jahren zu einem großen Event entwickelt. Die Sensibilität für das Thema ist aktuell besonders groß - vor dem Hintergrund aktueller Studien. Sie sagen: Die Lesekompetenz der Grundschüler ist in den vergangenen 20 Jahren drastisch gesunken.
Viele Grundschüler haben im Lesen ein Ungenügend
Erst im Oktober beispielsweise wurde in einer umfangreichen Iglu-Studie festgestellt, dass die Lesekompetenz bei Grundschülern weiter zurückgeht. Ulrich Ludewig vom Institut für Schulentwicklungsforschung in Dortmund sagt: Das zentrale Ergebnis der Studie war, dass 25 Prozent der Viertklässler am Ende ihrer Grundschulzeit nicht den internationalen Mindeststandard erreichten.
Das ist tragisch für die weitere schulische Entwicklung - denn das ist der Standard, "der festgelegt wurde, um zu sagen: Das ist die Kompetenz, die man braucht, um in die weiterführende Schule zu gehen und um Lesen als Werkzeug zum Lernen zu benutzen", sagt Ludewig. Es sei aber nicht die Schuld der Eltern, verantwortlich sei primär das Bildungssystem.
Was sind die Gründe dafür, dass Kinder so schlecht lesen? Die Corona-Zeit sei einer, sagt Forscher Ludewig. Wochenlang gab es keinen regulären Unterricht - das wirke sich aus. Außerdem gebe es heute eine größere sprachliche Vielfalt bei Grundschülern: "Deutlich weniger Kinder als früher sprechen Deutsch zu Hause, und deswegen fällt ihnen natürlich das Lesen auf Deutsch auch etwas schwerer."
Lesen steht neuerdings auf dem Stundenplan
Man müsse dringend etwas tun, sagte auch Schulministerin Dorothee Feller im Mai dieses Jahres. Etwas hat sich derweil schon getan in NRW. Seit Beginn des Schuljahres stehen an Grundschulen jetzt jede Woche dreimal 20 Minuten Lesezeit auf dem Stundenplan - die Vorgabe ist verbindlich.
Selbst lesen und vorlesen, das hängt dabei eng zusammen. Bildungsforscher verweisen zum Beispiel darauf, dass Vorlesen den Erwerb der sogenannten Bildungssprache fördert. Das ist die Sprache, die in Schulbüchern verwendet wird.
Mädchen hört Damla Hekimoglu beim Vorlesen zu
Außerdem sagen Studien, dass Kinder, denen vorgelesen wurde, später selbst leichter lesen lernen und sich auch eher für Bücher interessieren. Auch Tagesschau-Sprecherin Damla Hekimoglu macht deshalb mit beim bundesweiten Vorlesetag. Sie will Begeisterung fürs Lesen wecken. Falsch machen könne man nichts: "Man muss es nur tun."
Eine professionelle Vorleserin
Als Damla Hekimoglu selbst noch Kind war, wurde ihr dieser Spaß sogar zweisprachig geboten. An dem einen Tag lasen ihre aus der Türkei stammenden Eltern aus einem deutschen, am nächsten aus einem türkischen Buch vor. "Ich habe das total genossen. Das hat meine Fantasie angeregt", erinnert sie sich.
Heute ist die Journalistin als Tagesschau-Sprecherin gewissermaßen eine professionelle Vorleserin und sieht "(Vor-)lesen als Superkraft", die Bildungschancen eröffnet. Ihre "Superkraft" stellt sie seit 2020 am bundesweiten Vorlesetag in den Dienst der Kinder.
"Ich finde das Vorlesen total wichtig. Das hilft auf so vielen Ebenen", sagt Hekimoglu, die am Freitag gemeinsam mit ihrer Tagesschau-Kollegin Judith Rakers am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf vorliest.
Wortgewandter, kreativer, sozialer
Damla Hekimoglu ist beim Vorlesetag dabei.
Vorlesen vergrößere den Wortschatz, fördere die Kreativität und könne bei sozialen Kontakten helfen. "Wir versuchen, Bücher auszuwählen, über die sich soziale Werte vermitteln lassen", sagt die Journalistin, die auch lange für den WDR gearbeitet hat. Wie etwa das zu Beginn zitierte Buch von Janosch. Der kleine Bär zögert nicht, seinem kranken Freund, dem Tiger, zu helfen, damit der schnell wieder auf die Beine kommt.
Aber wie schafft man Lesespaß? Durch eine lesefreundliche Umgebung lernen Kinder leichter lesen, sagt Ludewig vom Institut für Schulentwicklungsforschung: "Durch das Vorlesen und eine positive Beziehung mit dem Lesen und Texten und Geschichten bereitet man vor, dass Kinder mit Freude lesen und es ihnen leichter fällt, selber Lesekompetenzen aufzubauen."
Riesige Auswahl an Büchern
Welche Bücher eignen sich zum Vorlesen? Grundsätzlich ist die Auswahl an passenden Geschichten riesig - sagt Tagesschau-Sprecherin Hekimoglu. Sie hat Kindern neben Janosch-Geschichten schon aus der Buchreihe "Das magische Baumhaus" vorgelesen, in der zwei Kinder mit Hilfe eines verzauberten Baumhauses in jede Zeit fliegen können.
In Hamburg hat sie mit ihrer Kollegin unter anderem die Detektivgeschichten von "Die drei Ausrufezeichen" und "Der Kohlrabi Kunigunde Meier" im Gepäck. Dieses Buch macht Kinder mit Natur und Gartenarbeit vertraut.
An Büchern herrscht kein Mangel.
Letztlich müsse das Buch zum Alter und zu den Interessen passen. Bei kleinen Kindern habe Hekimoglu zudem gute Erfahrungen mit Ritualen zum Lese-Einstieg gemacht: Einmal kurz strecken, schnell noch was trinken und dann in die Geschichte eintauchen. Eine gemütliche Leseecke könne dabei nicht schaden.
Doch im Grunde kann man beim Vorlesen nichts falsch machen - man muss es nur tun. "Es schadet nicht, hilft nur viel", sagt Hekimoglu. Eine Überdosis gibt es auch nicht, weil Kinder etwa abends bei jeder noch so spannenden Gute-Nacht-Geschichte früher und nur selten später einschlafen.