NATO Airbase in Geilenkirchen

Verteidigung: Wäre NRW im Ernstfall bereit?

Stand: 02.02.2024, 15:20 Uhr

Bei der größten Übung deutscher Landstreitkräfte seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine verlegen NATO und Bundeswehr Truppen quer durch Europa. Im Ernstfall wäre NRW ein zentrales Drehkreuz.

Von Martina KochMartina KochPer QuastPer Quast

Auf der NATO Airbase in Geilenkirchen sind AWACS stationiert. Die 14 Flugzeuge mit riesigen Radarsystemen sind wichtiger Bestandteil des Frühwarnsystems des Militärbündnisses. So gut wie täglich sind Teile der Flotte im Einsatz, etwa über dem polnischen Luftraum, um von dort die Ostgrenze der NATO zu überwachen.

Christian Brett, Pressesprecher der NATO-Base Geilenkirchen

Christian Brett, Sprecher NATO-Base Geilenkirchen

"Wir haben die Flugzeiten seit 2022 deutlich erhöht" sagt Christian Brett, Head of Public Affairs am Standort. "Eine AWACS in der Luft kann Radar in einem Radius von 400 Kilometern überwachen und die mobile Kommandozentrale für dutzende Kampfflugzeuge sein".

Aufklärung und Strategie

Der Stützpunkt an der niederländischen Grenze ist bereits jetzt im Dauerbetrieb. Im Bündnisfall dürfte die AWACS-Flotte eine wichtige Rolle bei der Aufklärung und Koordination der Luftstreitkräfte einnehmen.

Wichtig wird wohl auch eine Anlage im Kreis Düren. Unweit des kleinen Ortes Linnich liegt "Castle Gate, Codename für eine unterirdische NATO-Bunkeranlage. Von hier aus würde im Kriegsfall das europäische NATO-Kommando der operativen Führungsebene, das normalerweise in Brunssum in den Niederlanden stationiert ist, arbeiten.

Drehkreuz für Nachschub

General a. D. Egon Ramms

General a. D. Egon Ramms

General a.D. Egon Ramms war von 2007 bis 2010 Oberbefehlshaber dieses NATO-Kommandos. NRW sei im militärischen Ernstfall eine wichtige Drehscheibe.
Viele Transporte der NATO-Truppen "würden faktisch über Holland, Belgien, Nordrhein-Westfalen, Deutschland nach Polen oder in die baltischen Staaten, aber auch etwas weiter südöstlich Richtung Rumänien und Bulgarien geschafft werden", erklärt Ramms im WDR-Interview.

NRW für Transporte nicht gut vorbereitet

Allerdings sei das Land darauf noch nicht gut vorbereitet: "Wir haben ja zum Teil eine sehr schlechte oder schwache oder geschädigte Verkehrsinfrastruktur", so Ramms. "Und es wäre schlecht, wenn irgendwo ein Panzer oder ein Konvoi über eine Brücke fährt und die Brücke dann unter diesem Konvoi zusammenbricht."

Die maroden Autobahnbrücken

Das erste Hindernis sind die Brücken über den Rhein. Die Leverkusener Brücke der A1 und die Rheinbrücke Neuenkamp der A40 befinden sich im Bau. Bisher ist jeweils nur eine der jeweils geplanten Schwesterbrücken fertig.

Andere, wie die Rodenkirchener Brücke der A4 südlich von Köln oder die Fleher Brücke der A44 zwischen Düsseldorf und Neuss müssen mittelfristig ersetzt werden.

Außerdem gibt es auch auf den anderen wichtigen Verkehrsadern dringenden Sanierungsbedarf. Auf der A45 etwa müssen alle 38 Talbrücken in NRW erneuert werden.

Bahn für schweres Gerät

Große militärische Fahrzeuge, wie etwa Panzer, würden ohnehin mit der Bahn transportiert werden. Die Bundeswehr hat dazu einen Rahmenvertrag mit der Deutschen Bahn geschlossen. Ob die dazu aktuell in der Lage ist, bleibt allerdings fraglich.

Erst kürzlich beschwerte sich der amerikanische Ex-General Ben Hodges über das deutsche Schienennetz. Es gebe nur Kapazitäten für den Transport von eineinhalb Panzerbrigaden, sagte Hodges der Nachrichtenagentur DPA. Geplant seien allerdings acht, neun oder zehn gleichzeitig. Hat die Bahn nicht ausreichend Waggons für solche Militärtransporte?

Die Deutsche Bahn will gegenüber dem WDR "aus Gründen strikter Geheimhaltung diese Fragen nicht beantworten". Und: "Aus denselben Gründen kommentieren wir auch keine Gerüchte von nicht mehr im aktiven Dienst befindlichen Soldaten", so ein Bahnsprecher weiter.

General a.D. Ramms sieht immerhin ein wenig Bewegung: "Wir hatten früher entsprechende Tieflader-Wagen bei der Bahn. Die Stückzahl dieser Wagen ist deutlich verringert worden, aber wenn mein Kenntnisstand richtig ist, dann gibt der Bund jetzt auch Geld dafür, dass die Bahn diese Wagen wieder beschafft".

Bundeswehr braucht Jahre um verteidigungsbereit zu werden

1.990 hatte die Bundeswehr in NRW noch rund 70.000 Soldaten in Nordrhein-Westfalen. Aktuell gibt es nach Angaben des Landeskommandos NRW nur noch 28 .000 militärische Dienstposten, verteilt auf 25 Standorte. Mancherorts wurden Kasernen zu Wohnungen umgebaut. In den letzten zehn Jahren lag der Fokus auf Auslandseinsätzen und weniger auf Landes-und Bündnisverteidigung. "In Erwartung des ewigen Friedens vielleicht die falsche politische Entscheidung", so General a.d. Ramms.


Beschaffungsamt der Bundeswehr unter Druck

Annette Lehnigk-Emden, Chefin des Bundeswehr-Beschaffungsamts

Annette Lehnigk-Emden, Bundeswehr-Beschaffungsamt

"Das hatte zur Folge, dass wir nur spezielles Material für unsere Einsätze gekauft haben und weniger für die Landes- und Bündnisverteidigung. Jetzt brauchen wir auch Material dafür, das wir nicht in ausreichender Anzahl zur Zeit zur Verfügung haben", räumt Annette Lehnigk-Emden, Präsidentin des Bundeswehr-Beschaffungsamtes (BAAINBw), im WDR-Interview ein. Deshalb laste ein großer Druck auf der Beschaffungsbehörde. Bis Ende 2025 solle die neue persönliche Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten ausgeliefert sein. Ursprünglich sollte dies bis 2031 dauern.

Planungssicherheit für Rüstungsindustrie

Vom 100 Milliarden Euro-Sondervermögen, das für die Ausstattung der Bundeswehr zur Verfügung zusätzlich steht, seien 60 Prozent bereits unter Vertrag, aber noch nicht ausgeliefert, so Lehnigk-Emden. Bezahlt habe das Beschaffungsamt bisher 6 Milliarden Euro für bereits gelieferte Ausrüstung. "Eine F -35, die steht nicht im Regal und kann nach Deutschland geflogen werden", sondern müsse erst produziert werden. Die Industrie baue nur, wenn sie Planungssicherheit habe, so die Präsidentin des Beschaffungsamtes. Deshalb hofft Annette Lehnigk-Emden, dass das Sondervermögen nur die Anschubfinanzierung gewesen sei, so wie die Politik das zugesagt habe. Denn bislang reicht der Extratopf für die Bundeswehr laut Bundesverteidigungsminister Pistorius bis Ende 2027.

NRW's Rolle im Ernstfall

Westpol 04.02.2024 Verfügbar bis 04.02.2029 WDR

Darüber berichten wir auch im WDR-Fernsehen, in der Sendung Westpol, am Sonntag, den 4.2.2024, ab 19:30 Uhr.