Droht unter Geflüchteten eine Zwei-Klassen-Gesellschaft?
Stand: 27.03.2022, 08:00 Uhr
Um Platz für Vertriebene aus der Ukraine zu schaffen, hat das Land neun seiner Unterkünfte geräumt. Flüchtlingshelfer kritisieren, das führe zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft.
Von Martina Koch und Sebastian Galle
Ali und seine Familie haben eine Odyssee hinter sich. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Der Mann, der in Wahrheit anders heißt, hatte in Afghanistan als Ortskraft für die Bundeswehr gearbeitet. Im August floh er mit seiner Frau und acht Kindern vor den Taliban nach Deutschland. Seitdem wurde die Familie von Unterkunft zu Unterkunft geschickt. Zuletzt verschlug es sie von Ibbenbüren nach Münster. Denn das Land braucht den Platz für die Aufnahme von Vertriebenen aus der Ukraine. "Die Ukrainer sind Geflüchtete erster Klasse und wir sind nur zweite Klasse.“, sagt Ali enttäuscht. Er hatte gehofft, dass Deutschland ihm, wie versprochen, ein neues Leben gibt.
Land setzt Belegungszahlen einfach hoch
Die zentrale Flüchtlingsunterkunft in Münster, wo Ali nun mit seiner Familie lebt, ist für rund 700 Menschen ausgelegt. Nun wurde die Kapazität kurzerhand auf 950 hochgesetzt, berichtet Dominik Hüging von der GGUA Flüchtlingshilfe. Um für die Ukrainer in anderen Einrichtungen Platz zu schaffen, wurden die Geflüchteten aus allen anderen Ländern, hierher verlegt. Die Zimmer seien jetzt mit acht Personen statt, wie bisher, mit vier belegt, so Hüging. Auch würden Menschen verschiedener Nationen bunt gemischt in Mehrbettzimmern. Isolierung für Menschen mit Corona sei nicht mehr möglich.
Chaos auch bei der Unterbringung in Kommunen
Die Mehrzahl der Vertriebenen aus der Ukraine wird bislang von Städten und Gemeinden aufgenommen oder privat in Familien. Bergisch Gladbach hat rund 700 Menschen bisher unterbringen können. Kurzfristig wurden zwei Notunterkünfte eingerichtet. Bisher seien die Menschen irgendwie gekommen, sagt Bürgermeister Frank Stein (SPD). "Es ist keine einzige Person zurückgewiesen worden.“, so Stein. NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) hatte Mitte der Woche im Landtag davon gesprochen, dass man mit der Verteilung begonnen hätte.
Ukrainische Aussiedler vor ungewisser Zukunft
Larissa Kryschatskaja ist froh, dass sie mit ihren drei Töchtern in der Notunterkunft von Bergisch Gladbach Platz gefunden zu hat. Nach ihrer Flucht aus der Zentralukraine fühlen sich Mutter und Töchter dennoch verlassen. Man gebe ihnen keine Hoffnung, so die Mutter. Sie sitzen in der engen Koje auf ihren Betten und warten, wie es weitergehen kann. Larissa Krytschatskaja wünscht sich Informationen. Die Stadt druckt gerade Flyer. Jede Kommune muss das bisher selbst machen.
Viele Versprechen – wenig Taten
Der Bergisch Gladbacher Bürgermeister Frank Stein von fühlt sich vom Land im Stich gelassen. Die Stadt erfasst zwar die ankommenden Menschen, aber eine wirkliche Registrierung, bei der auch Fingerabdrücke abgenommen werden, findet kaum statt. Die vom Land versprochene Unterstützung scheiterte daran, dass die nötigen Geräte fehlen, wie das Flüchtlingsministerium selbst einräumen musste. Und auch die Finanzierung ist ungeklärt. Bürgermeister Stein fordert vom Land, genau die Kosten zu erstatten, die die den Kommunen für die Aufnahme der Menschen aus der Ukraine zusätzlich entstehen. In den Städten und Gemeinden gibt es bisher viel mehr drängende Fragen als Antworten.
Über dieses Thema berichten wir in der Sendung Westpol, 27.03.2022 um 19:30 Uhr im WDR Fernsehen.