Könnten Braunkohlelöcher zu riesigen Stromspeichern werden?
Stand: 26.11.2024, 16:53 Uhr
Für Dunkelflauten braucht es künftig große Stromspeicher. Könnten die entstehen, wo heute Braunkohle gebaggert wird?
Von Thomas Drescher
Die Idee klingt nach grüner Science Fiction: In den riesigen Braunkohletagebauen des Rheinischen Reviers könnte künftig Strom aus Wind- und Sonnenenergie gespeichert werden. Und zwar in gewaltigen hohlen Betonkugeln, die auf dem Grund der bis zu 400 Meter tiefen Krater verankert werden.
Diese Kugeln könnten helfen, ein Kernproblem regenerativer Energien zu lösen: Strom und Wind liefern nicht gleichmäßig viel Strom. Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint - bei einer sogenannten Dunkelflaute - wird aber dennoch Elektrizität benötigt. Für diese Momente muss der Ökostrom irgendwie gespeichert werden. Die SPD im Landtag hat dazu Experten eingeladen, die am Dienstag die Technik und deren Chancen auf Realisierbarkeit diskutiert haben.
Wie genau soll das gehen?
Das Grundprinzip ist simpel. Wasser fließt bergab und treibt dabei Turbinen an, die Strom erzeugen. So funktionieren Wasserkraftwerke auf der ganzen Welt.
Dieses Prinzip machen sich auch Pumpspeicherkraftwerke zunutze. Sie bestehen aus einem höher gelegenen Wasserbecken, dem sogenannten Obersee, und einem tiefer gelegenen Untersee. In Zeiten von Stromüberschuss (viel Sonne, viel Wind) wird Wasser vom Unter- in den Obersee gepumpt. Wird Strom knapp, lässt man das Wasser von oben durch riesige Fallrohre rauschen und treibt damit Generatoren an. In NRW gibt es ein solches Pumpspeicherkraftwerk zum Beispiel in Herdecke, das frühere Koepchenwerk, Baujahr 1930. Betrieben wird es von RWE.
Pumpspeicherkraftwerk Herdecke
Nun ist die Topografie in NRW für eine größere Zahl von Ober- und Unterseen nicht gerade ergiebig - im Gegensatz zu Norwegen mit seinen vielen hohen Bergen. Aber es gibt von Menschenhand gemachte, tiefe Löcher. In einigen Jahrzehnten, wenn die alten Tagebaue geflutet sind, liegen zwischen Mönchengladbach, Köln und Aachen die tiefsten Gewässer Deutschlands.
Die Betonkugeln, die schon an anderen Orten erprobt wurde, könnten die Funktion des Untersees übernehmen - so die Idee. Bei Stromüberschuss würden die wassergefüllten Betonkugeln leer gepumpt. Wird Strom benötigt, schießt das Wasser von oben 400 Meter tief in die Kugeln und treibt Generatoren an.
Prinzip eines Kugelspeichers
Was sagen die Befürworter?
Die Technik ist bekannt, robust und sehr lange haltbar, sagen die Unterstützer der Idee. Dazu zählen unter anderem die Physiker Horst Schmidt-Böcking und Stefan Lyson von der Uni Frankfurt. Sie rechnen vor, dass die Stromspeicherung in riesigen Akkus viel teurer sei als die Pumpspeicher-Idee. Bei der Speicherung durch Umwandlung in Wasserstoff gehe viel zu viel Energie verloren. Pumpspeicher im Rheinischen Revier halten die Physiker für eine "einmalige Chance".
Übrigens gab es schon einen Pilotversuch in Deutschlands bislang tiefstem See: dem Bodensee. Dort wurde im Jahr 2017 eine Betonkugel versenkt. Die Forscher waren zufrieden.
Vor der Küste Kaliforniens wird gerade ein Experiment in sehr viel größerem Maßstab vorbereitet. Dort fällt der Meeresboden in Küstennähe schnell auf hunderte Meter Tiefe ab. Überschüssiger Strom aus Offshore-Windparks soll die Pumpen antreiben. Das deutsche Fraunhofer-Institut ist daran beteiligt. Nord- und Ostsee wären für derlei Installationen viel zu flach.
Und was sagen die Skeptiker?
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hält Energiespeicherung für ein zentrales Element der Energiewende und plädiert für einen Mix verschiedener Techniken. Er gibt zu bedenken, dass der Stromspeichersee der erste dieser Art in Deutschland wäre und unvorhergesehene Probleme auftreten könnten. Grundsätzlich sei die fast 100 Jahre alte Technologie der Pumpspeicherkraftwerke mit ihrer hohen Zuverlässigkeit und langen Haltbarkeit sehr nachhaltig. Es müssten aber auch die Speicherung in Batterien oder in Form von Wasserstoff als Alternativen berücksichtigt werden.
Die "Initiative Energien speichern", die die Gas- und Wasserstoffindustrie vertritt, sieht die Zukunft der Stromspeicherung vor allem im Wasserstoff. Entsprechende Großanlagen, in denen regenerativ erzeugter Wasserstoff gelagert wird, sollten vom Staat gefördert werden.
RWE selbst hält die Pumpspeicherkraftwerke für zu teuer. Die Speicherung von Strom in Batterien - sei es in Großspeichern, in heimischen Batteriesystemen oder gar in E-Autos - sei vorteilhafter. Außerdem werde die Renaturierung der Tagebaue durch ein solches Großprojekt womöglich um Jahrzehnte verzögert. Die Idee, so rät RWE, solle nicht weiterverfolgt werden.
Der von der AfD eingeladene Experte Robert Jungnischke von der Gesellschaft für Fortschritt in Freiheit hält regenerative Energien generell für wenig zuverlässig. Er nennt sie "Zufallsenergien" und schlägt statt Speicherung neue Atomkraftwerke vor.
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