Der größte Schlachthof Deutschlands in Rheda-Wiedenbrück von Tönnies war vier Wochen dicht - und eine ganze Branche ist aus dem Tritt geraten. Hunderttausende Schweine könnten nicht geschlachtet werden, klagt die Branche. Von einem "Schweine-Stau" ist die Rede, ja sogar immer wieder von drohenden Notschlachtungen und -keulungen. Die Landesregierung muss helfen, das fordert die SPD-Fraktion und setzte am Freitag (17.07.2020) mitten in der Sommerpause eine Sondersitzung des Landwirtschaftsausschusses durch.
Notschlachtungen schließt NRW-Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) in der Sitzung kategorisch aus. Denn das verstoße gegen das Tierschutzgesetz. Im Sinne des Tierwohls seien Landwirte verpflichtet, ihre Tiere angemessen unterzubringen und zu versorgen, unterstrich die Ministerin. Verstöße würden von den Kreisveterinären geahndet. Die Landwirte müssten nun zusätzlichen Raum mobilisieren und auch künftig Platzreserven vorhalten.
Entspannung erst Mitte September
Heinen-Esser sieht durchaus die Probleme der Branche: Neben dem "Schweine-Stau" in den Ställen hätten die Erzeuger mit Preisverfall zu kämpfen und müssten sich auf deutlich höhere Hygiene- und Arbeitsschutzstandards einstellen. Zudem seien nun viele Mitarbeiter in die Sommerferien nach Hause gefahren. Die personelle Lage werde sich erst Mitte September wieder entspannen.
Finanzielle Hilfen vom Land bietet die Ministerin nicht an. Denn größere Liquiditätsengpässe sieht sie für die rund 6.800 Schweinehalter in NRW zunächst nicht. Es sei "aus dem vergangenen Wirtschaftsjahr ein guter Puffer vorhanden".
Die Opposition von SPD, Grünen und AfD kritisierte jedoch, dass die Landwirte von der Regierung in der aktuellen Lage im Stich gelassen würden. Langfristige Lösungen seien zwar richtig, aber der Plan für die kurzfristige Lösung des Problems fehle.
Landwirt schildert seine Lage
Schweinemäster Philipp Beckhove aus Senden erklärt im WDR, die Lage auf dem Schweinemarkt sei nach wie vor sehr angespannt. In seinem Betrieb würden Ferkel angeliefert und diese dann in 120 Tagen zur Schlachtreife gemästet. Von seinen 2.800 Tieren würden rund zwei Drittel in den nächsten vier bis sechs Wochen schlachtreif. Die nächsten Ferkel seien schon bestellt.
Je mehr er weiter füttert und je schwerer die Tiere werden, desto mehr sinke ihr Preis. Denn zu große Schnitzel würden der Norm widersprechen. Der Verbraucher wolle das nicht.
Grüne: Schweine-Stau entspreche Großstadt wie Duisburg
Der landwirtschaftspolitische Sprecher der Grünen, Norwich Rüße, mahnte vor der Sitzung, angesichts des Begriffs "Schweine-Stau" daran zu denken, dass es um lebende Tiere geht und nicht "um die normale Verkehrslage auf den Straßen Nordrhein-Westfalens". Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands spreche von ca. 400.000 Schweinen. "Das entspricht fast der Einwohnerzahl einer Großstadt wie Duisburg", so Rüße.
Ministerium: keine gravierenden Unterbringungsprobleme
Viele Tiere hätten deutschlandweit auf andere Standorte umgeleitet werden können, sagte hingegen Staatssekretär Heinrich Bottermann aus dem Landwirtschaftsministerium in der Sondersitzung. Eine Abfrage bei den Kreisveterinärämtern habe daher keine Erkenntnisse ergeben, "dass es zu gravierenden Unterbringungsproblemen gekommen ist".
Landwirtschaftsministerin Heinen-Esser will Systemwandel
Im Ausschuss bekräftigte Heinen-Esser ihre grundsätzliche Kritik am System der Schweinefleisch-Herstellung. Zuvor hatte sie bereits gesagt, es müsse darüber nachgedacht werden, wie der Schlachtbetrieb stärker regionalisiert werden könnte, "damit nicht die Abhängigkeit von einzelnen Betrieben so groß ist, wie sie zurzeit ist". Tönnies stelle allein 40 Prozent der Schlachtkapazitäten in NRW.
"Man muss sich auch mal angucken, ob wirklich im Akkord geschlachtet und zerlegt werden muss", sagte Heinen-Esser. Sie forderte einen Systemwandel: Kleinere, regionalisierte Kreisläufe, faire Preisgestaltung, Transparenz durch ein Tierwohlkennzeichen und verantwortungsvoll handelnde Verbraucher seien entscheidend.