Ein Drängler auf der Autobahn im Rückspiegl

Wie die Polizei gegen gefährliche Autobahn-Drängler vorgehen will

Stand: 04.10.2024, 12:47 Uhr

Abstandsverstöße sind mittlerweile die häufigste Ursache für Unfälle mit Personenschaden. NRW will etwas dagegen machen. Doch die Kontrollen sind aufwändig - und so ist der Druck auf Drängler noch immer gering.

Von Felix Mannheim

Als Murat Kacir das erste Mal in seinem Leben links überholt, dauert es nur wenige Momente, bis ihm ein Drängler ganz dicht auf der Stoßstange hängt. Der Fahranfänger guckt nervös in den Rückspiegel.

Murat Kacir ist 18 Jahre alt und hat seine 14. Fahrstunde – die erste auf der Autobahn. "Die fährt aber sehr dicht auf“, sagt er. Das Schild „Fahrschule“ auf dem Dach des Wagens bietet keinen Schutz. Ohne Rücksicht kommt die Fahrerin hinter ihm immer näher.

Fahrlehrer erlebt Drängeln täglich

Dabei fährt Fahrschüler Kacir, wie es erlaubt ist, muss seinen Überholvorgang noch beenden. Der Essener Fahrlehrer Ron Losacker versucht ihn zu beruhigen. Er erlebt solche Situationen fast täglich: "Die Drängler denken gar nicht darüber nach, was da passieren kann, wenn der Vordermann sich erschrickt – oder nur mal ein bisschen härter bremst.“

Murat Kacir bleibt jetzt lieber wieder rechts. Und Ron Losacker schärft ihm ein: Immer den halben Tacho in Metern Abstand halten! Bei nasser Fahrbahn: ganzer Tacho! "Du hast gerade gesehen, wie gefährlich das sonst ist!"

Als Unfallursache unverändert hoch

Statistiken belegen: Drängler sind zum größten Problem auf der Straße geworden. Seit der Wiedervereinigung ist die Zahl der Unfälle mit Personenschaden aufgrund von Alkohol und Tempoverstößen stark zurückgegangen. Bei Abstandsverstößen blieb sie fast unverändert hoch. Heute sind sie die häufigste Unfallursache.

Ursachen von Unfällen mit Personenschaden

Ursachen von Unfällen mit Personenschaden / Grafik: WDR

Auch in NRW. Voriges Jahr sorgten Drängler hier für 7.087 Unfälle mit 10.201 Verunglückten. 16 Menschen starben dabei, 687 wurden schwer verletzt.

Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) kritisiert, dass es zum Drängeln kaum Aufklärungskampagnen gegeben habe, außerdem viel zu wenige Kontrollen. UDV-Leiterin Kirstin Zeidler berichtet aus Befragungen: Jeder fünfte Autofahrer gebe mittlerweile zu, das Drängeln zu seinem "ganz normalen Gebaren" gehöre, es sei längst verbreitet, sich "die linke Spur freizuräumen". Für sie ist es höchste Zeit, dass Politik und Polizei darauf reagieren. NRW will seit diesem Jahr endlich gegensteuern. Das Innenministerium hat Abstandsverstöße zum Kontrollschwerpunkt erklärt.

Unterwegs mit der Autobahnpolizei

Einen Tag konnte das WDR-Magazin Westpol den Verkehrsdienst der Autobahnpolizei Düsseldorf bei Drängler-Kontrollen begleiten: In einem sogenannten ProViDa-Auto, einem mit Videotechnik ausgestatteten Zivil-Fahrzeug auf der Autobahn. Und bei Videokontrollen von der Brücke aus.

Ein Polizeiauto mit ProViDa-Videotechnik

Ein Polizeiauto mit ProViDa-Videotechnik

Dabei wird deutlich: Abstandsverstöße gerichtsfest zu belegen, ist viel schwerer, als bei Tempo-Überschreitungen. Bei denen reicht ein kurzer Moment. Beim Abstand aber muss der Verstoß über eine längere Strecke dokumentiert werden. Das ist deutlich aufwändiger für die Polizei. Gruppenführer Stephan Gertz betont: "Wir brauchen, um einen Verstoß dieser Art gerichtsfest bearbeitet zu haben, ungefähr eine Stunde".

Tempokontrollen sind viel häufiger

Die Folge: Voriges Jahr wurden in NRW nur etwa 59.000 Verstöße bei Abstandskontrollen festgestellt. Bei Geschwindigkeitskontrollen waren es zwei Millionen, also 34 mal so viele. Dieses Jahr sind die Zahlen noch ganz ähnlich. Obwohl die Drängler-Kontrollen doch Schwerpunkt sein sollen.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU)

Herbert Reul (CDU), NRW-Innenminister

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagt: "Offensichtlich brauchen die Menschen Kontrollen, um ihr Verhalten zu verändern." Zugleich gesteht er ein, dass es Nachholbedarf bei der Ausrüstung gebe. Der Drängler-Kontrollschwerpunkt könne erst nach und nach umgesetzt werden. Reul hofft künftig auch auf KI-gestützte Hilfe – kann aber noch nicht einschätzen, wann und wie es diese geben wird.


Der Kontrolldruck bleibt für Drängler also noch immer gering. Fahrschüler Murat Kacir fragt sich, warum so viele schnell vergessen, wie Rücksicht im Verkehr funktioniert: "Es ist paradox, wenn man das, was man in der Fahrschule gelernt hat, nicht anwendet."

Über das Thema berichten wir auch am 6.10.2024 in Westpol im WDR Fernsehen.

Unsere Quellen:

  • Innenministerium NRW
  • Unfallforschung der Versicherer (UDV)
  • Statistisches Bundesamt
  • Statistisches Landesamt NRW
  • Verkehrsdienst der Autobahnpolizei Düsseldorf

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