Fragwürdige Geschäfte mit Reha-Kliniken: Die Justiz kommt nicht hinterher
Stand: 19.01.2025, 16:56 Uhr
Mit Reha-Kliniken für Kinder wollen zwei Unternehmer Geld machen. Jetzt ermitteln Staatsanwälte wegen Insolvenzverschleppung. Doch die Verfahren kommen nicht voran.
Von Anne Bielefeld und Silvia Pauli
Helle Räume, bunte Farben und fröhlich spielende Kinder. So präsentierte die Kids Health Group auf ihrer Internetseite bis vor kurzem eine Reha-Klinik in Kirchhundem bei Olpe. Doch der schöne Schein trügt. Im Mai 2024 musste die Klinik nach knapp zwei Jahren schließen – auf Druck der Deutschen Rentenversicherung. Rund 70 Mitarbeiter standen plötzlich ohne Job da.
Geschlossene Reha-Klinik in Kirchhundem
Auch der Sozialarbeiter Kevin Müller hat in dieser Reha-Klinik gearbeitet. Er erzählt dem WDR-Magazin Westpol, wie es zuletzt dort zugegangen ist: "Es wurde teilweise der Müll über Tage, Wochen, nicht abgeholt. Die Küchenkräfte mussten tricksen, um genug Essen auf den Tisch zu bringen. Am Ende wirkte es definitiv so, als wäre kein Geld mehr dagewesen."
Urteil des Arbeitsgerichts wird ignoriert
Sozialarbeiter Kevin Müller
Und auch viele der Mitarbeiter wurden nicht mehr bezahlt. Kevin Müller fehlt das Gehalt für dreieinhalb Monate. Viel Geld für den Familienvater: "Ich bin kurz vor einer Privatinsolvenz gewesen, die ich gerade so noch abweisen konnte." Auch andere traf es hart: "Ich weiß von Kolleginnen und Kollegen, die mittlerweile in Behandlung sind."
Vor dem Arbeitsgericht in Siegen hat Kevin Müller zwar Recht bekommen, doch Geld hat er bis heute nicht gesehen. Sein Anwalt suche bislang vergeblich nach den aktuellen Meldeadressen der verantwortlichen Unternehmer, um die Forderung geltend zu machen.
Undurchschaubares Firmengeflecht
Unternehmer Stephan Böhme 2023 im WDR-Interview
Die Unternehmer, das sind Stephan Böhme, ein Kaufmann aus Bonn, und Eike Steppe, Steuerberater aus Offenbach. Westpol-Recherchen zeigen: Als Gesellschafter der Holding The Healthcare Company AG (HCC AG) mit Sitz in Frankfurt am Main haben sie ein ganzes Netzwerk von Tochterfirmen geschaffen, mit ständig wechselnden Geschäftsführern und Adressen.
Auf Westpol-Anfrage bestreiten die beiden Unternehmer, etwas mit den Vorgängen in der Reha-Klinik zu tun zu haben. Sie beschuldigen stattdessen den Rechtsanwalt Torsten Stakemeier, den sie selbst als Geschäftsführer mehrerer Unternehmen eingesetzt hatten.
"Ich hatte irgendwann den Eindruck, dass man mir das im Prinzip unterschieben wollte", sagt dagegen Stakemeier im Westpol-Interview. Er sei zwar Geschäftsführer gewesen, habe aber noch nicht einmal Kontovollmacht gehabt.
Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Insolvenzverschleppung
Rechtsanwalt Torsten Stakemeier
Er vermutet, dass die Firmen von Böhme und Steppe, für die er als Geschäftsführer tätig war, schon länger nicht mehr zahlungsfähig waren. Insolvenz angemeldet haben die beiden allerdings bis heute nicht. Deshalb hat der Rechtsanwalt beide nach seinem Ausscheiden Ende November 2023 wegen Insolvenzverschleppung und Kreditbetrug angezeigt. Seitdem läuft ein Ermittlungsverfahren, wie uns die Staatsanwaltschaft Köln bestätigt. Allerdings bisher ohne jeden sichtbaren Fortschritt.
Stephan Böhme ist allerdings schon vor einigen Monaten wegen Untreue und Betrug in einer früheren Sache zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden.
Unternehmer werben mit weiteren Projekten
Doch Ermittlungen und Gerichtsurteile scheinen Böhme und Steppe nicht daran zu hindern, das Geschäftsmodell fortzuführen. Die Holding der beiden ist zwar kürzlich umbenannt worden, Ort und Akteure sind jedoch dieselben.
Im Internet werben sie mit weiteren glanzvollen Objekten wie Schloss Haniel in Wermelskirchen oder einem Kloster in der Eifel. Auch dort wollen sie angeblich Reha-Kliniken für übergewichtige Kinder und Jugendliche eröffnen.
Doch keine Reha-Klinik für Kinder mit Adipositas in Wermelskirchen?
Lokalzeit Bergisches Land. 16.08.2024. 06:35 Min.. Verfügbar bis 16.08.2026. WDR. Von Silvia Pauli.
Doch in der alten Villa in Wermelskirchen ist das Klinik-Projekt bereits an den Auflagen der Deutschen Rentenversicherung für einen solchen Betrieb gescheitert. Für den notwendigen großen Aufzug gibt es in dem Gebäude nicht genug Platz und eine Turnhalle darf nicht gebaut werden. Denn Schloss Haniel liegt in einem Naturschutzgebiet. Bauen ist dort nicht erlaubt.
Handwerker fordern zehntausende Euro
Fundament der Heizungsanlage Schloss Haniel 2024
Trotz fehlender Genehmigung hatte Stephan Böhme neben der Villa schon das Fundament für ein großes Heizhaus errichten lassen. Die Stadt Wermelskirchen verlangt seitdem den Rückbau des Fundaments – bislang ohne Erfolg.
Auch bei diesem Projekt wurden offenbar Mitarbeiter geschädigt, die die Unternehmer für den Klinikbetrieb bereits eingestellt, jedoch nicht vollständig bezahlt hatten. Dazu kommen einige Handwerksunternehmen, die nach eigenen Angaben auf Rechnungen sitzen geblieben sind und deshalb vor dem Landgericht Köln klagen. Es geht um zehntausende Euro. Böhme und Steppe bestreiten auf Anfrage, damit etwas zu tun zu haben. Doch auch hier gehören die beteiligten Tochterfirmen ihrer Holding.
Experte spricht von "GmbH-Stafetten"
Prof. Heribert Hirte, Wirtschaftsrechtler Uni Hamburg
Der Professor für Wirtschaftsrecht und frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Heribert Hirte kennt ähnliche verschachtelte Firmenkonstruktionen. Er spricht von GMBH-Stafetten: "Da wird eine Gesellschaft gegründet. Und kurz bevor sie richtig bekannt wird, wird sie auch schon wieder liqudiert und die Vermögenswerte transferiert. Das ist sozusagen eine Betrugsmasche, die man seit Jahrzehnten beobachten kann."
Das Problem sei aber, einem Betrugsverdacht rechtsstaatlich korrekt nachzugehen. Aus der Vergangenheit weiß Hirte, wie schwierig und zeitaufwendig Ermittlungen in solchen Fällen sein können. Cum-EX oder Diesel-Gate seien da nur zwei der prominentesten Beispiele. Hier sei die Politik gefordert: "Das braucht Personalaufwand vor Ort. Und das ist eine Entscheidung, die auf jeder Behördenebene getroffen wird, oder auf jeder Fachebene eines Ministeriums. Diese Akzentsetzung ist eine politische Entscheidung."
NRW-Justizministerium: Durchschnittliche Verfahrensdauer "angemessen"
Doch im NRW-Justizministerium scheint das nicht als Problem wahrgenommen zu werden. Ein Interview mit Westpol dazu lehnt Justizminister Benjamin Limbach ab. Schriftlich teilt sein Ministerium mit, die allgemeine Bearbeitungsdauer bei den NRW-Staatsanwaltschaften betrage etwa zwei Monate. Das sei angemessen.
Erst auf Nachfrage räumt das Ministerium ein, dass komplizierte Wirtschaftsstrafermittlungen im Schnitt knapp 18 Monate dauern. Das betreffe nur einen Bruchteil aller Verfahren. Die Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft Köln wegen der Vorgänge rund um die Reha-Klinik in Kirchhundem haben allerdings bis heute noch gar kein sichtbares Ergebnis gebracht.
Unsere Quellen:
- Gerichtsunterlagen
- Auszüge aus Handelsregistern
- eigene Recherchen der Autoren
- Antworten von Staatsanwaltschaften und NRW-Justizministerium