Pensionsfonds: Wie NRW seine Rücklagen grüner aussehen lässt, als sie sind
Stand: 19.06.2022, 06:00 Uhr
14 Millarden Euro: so viel hat das Land in einem Pensionsfonds für die Beamten in NRW angespart - und verspricht künftigen Pensionären, dass das Geld nachhaltig angelegt ist. Stimmt das so?
Von Christin Latniak, Katharina Wallrafen und Erik Rönicke
Die 31 Jahre alte Lehrerin Linda Engels nutzt auf dem Weg zur Schule gerne ihr Fahrrad - denn Nachhaltigkeit ist ihr wichtig. Sie vermeidet Plastik, nutzt Mehrwegbecher. Und so findet sie es natürlich auch gut, dass ihr Dienstherr, das Land Nordrhein-Westfalen, verspricht: Auch die Rücklagen für ihre Altersversorgung im Pensionsfonds des Landes werden nachhaltig investiert. Mit dem Fonds bildet das Finanzministerium einen Puffer, für die Zeit, in der es die Ruhegehälter an junge Beamte wie Linda Engels zahlen muss. Momentan werden diese direkt aus dem Landes-Haushalt ausgeschüttet.
Wachsende Bedeutung von Aktien
In den Pensionsfonds zahlt das Land jedes Jahr mindestens 200 Millionen Euro aus dem Landes-Haushalt. Meist kommen nach Auskunft des Finanzministeriums nochmals 50 bis 70 Millionen Euro durch Einnahmen aus Versorgungszuschlägen und ähnlichen Quellen hinzu.
So ist der Pensionsfonds mittlerweile auf eine Größe von über 14 Milliarden Euro angewachsen. Doch: Dieses Geld muss irgendwo hin. Das Finanzministerium investiert über seine Dienstleister die Mittel aus dem Pensionsfonds unter anderem in Staats- oder Unternehmensanleihen. Ein weitaus größerer Teil fließt aber in Aktien.
Bereits heute ist etwa ein Drittel des Fonds, also circa vier Milliarden Euro, in Wertpapiere investiert. Gegenüber dem WDR teilt das Finanzministerium mit: Langfristig soll die Aktienquote noch weiter auf bis zu 50 Prozent des Fonds steigen. Damit verknüpft ist das Versprechen, Mittel aus dem Pensionsfonds nur in Aktien nachhaltig wirtschaftender Unternehmen zu stecken.
Investitionen sollen nachhaltig werden
Das Versprechen stammt aus dem Jahr 2017. Unter dem damaligen Finanzminister Norbert-Walter Borjans (SPD) gab sich das Land Regeln für eine sozial und ökologisch nachhaltige Anlage seiner Mittel für den Pensionsfonds. Unternehmen, die zum Beispiel mehr als fünf Prozent ihres Umsatzes mit der Produktion von Waffen oder dem Betrieb von Kernkraftwerken verdienen, sind von dieser Anlagestrategie ausgeschlossen.
Unter der schwarz-gelben Landesregierung folgte im Jahr 2019 eine Veränderung der Regeln, die das Finanzministerium "Anpassung" oder "Präzisierung" nennt. Man habe sich mit den Ländern Baden-Württemberg, Hessen und Brandenburg auf gemeinsame Kriterien zur Erstellung nachhaltiger Aktienindizes geeinigt, heißt es dazu in einer Pressemitteilung.
In der Umsetzung bringt diese Regelveränderung aber eine Verwässerung nachhaltiger Kriterien mit sich: Erlaubt sind seitdem zum Beispiel wieder Investments in Atomkonzerne, solange diese mehr Geld mit der Erzeugung erneuerbarer Energie verdienen. Und auch Investments in Hersteller "konventioneller" Waffen sind wieder möglich. Nordrhein-Westfalen entscheidet sich darüber hinaus bis heute dazu, im Euroraum eine Variante der gemeinsamen Aktienindizes zu nutzen, die Hersteller fossiler Energie (z.B. Braunkohle) nicht ausschließt.
Expertin: Regelveränderung = "Greenwashing"
"Greenwashing" nennt Magdalena Senn vom Verein "Finanzwende" das Vorgehen des Finanzministeriums: "Die Kommunikation ist: Es wird nachhaltig und fair investiert und am Ende können Öl, Kohle und Autohersteller drin sein." Sie fordert ein Umdenken bei öffentlichen Finanzinvestitionen, damit diese den Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen entsprechen.
Schwache Regeln = fragwürdige Investments?
Dem WDR liegt eine Auflistung der Unternehmen vor, von denen momentan über Gelder aus dem Pensionsfonds Aktien gehalten werden. Mithilfe des "Climate-Search-Tools" des Finanzdienstleisters MSCI hat das Magazin Westpol überprüft, ob das Handeln der enthaltenen Unternehmen mit dem 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Klimaabkommen kompatibel ist.
Das Ergebnis: Der überwiegende Teil der öffentlichen Gelder fließt derzeit in Unternehmen, deren Handeln mit dem 1,5-Grad-Ziel nicht vereinbar ist. Derzeit investiert das Land mindestens 2,58 Milliarden Euro (Stichtag: 31.12.2021) in Unternehmen, deren Unternehmenspraktiken nach der Berechnung zu einer Erderwärmung von über 1,5 Grad beitragen würden.
Pensionsfonds: Zündstoff für die Koalitionsverhandlungen
Die anderen Bundesländer Hessen, Brandenburg und Baden-Württemberg, mit denen die gemeinsamen Anlageregeln erarbeitet wurden, zeigen: Auch strengere Unternehmensausschlüsse sind möglich: Die von den Grünen (mit-)regierten Länder wählen bei ihren Investitionen Aktienindizes, in denen fossile Energieerzeuger ausgeschlossen sind. Die Grünen in NRW wollen sich derzeit nicht zu dieser Frage äußern. Zumindest nicht, während der noch laufenden Koalitionsverhandlungen mit der CDU.
Das von den Christdemokraten geführte Finanzministerium will die aktuell genutzten Aktienindizes jedenfalls nicht tauschen und teilt auf Anfrage mit: “Die Allgemeinen Anlagerichtlinien des Pensionsfonds gewährleisten nach Überzeugung der Landesregierung sowohl die Sicherheit und Rentabilität der Kapitalanlagen als auch die Nachhaltigkeit.”
Linda Engels wünscht sich von der neuen Landesregierung strengere Investitionsregeln. Das Thema gehöre auf die Tagesordnung und vor allen Dingen seien die Prinzipien dann auch zu verändern, sagt sie. Ob ihr Wunsch gehört wird, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.