NRW und das Neun-Euro-Ticket: Was kommt danach?

Stand: 08.08.2022, 16:41 Uhr

Das Neun-Euro-Ticket für Bus und Bahn gilt als Erfolg. Ende August läuft die Aktion ab. Jetzt ist, auch in NRW, die Diskussion um ein Nachfolgemodell entbrannt - und wer es bezahlen soll.

Von Nina Magoley

Wer in den vergangenen Wochen mit Regionalzügen der Bahn in NRW unterwegs war, hat es mitbekommen: Die Züge sind voll. Sehr voll. Mit dem Start des Neun-Euro-Tickets am 1. Juni sind offenbar einige Menschen auf den ÖPNV umgestiegen - das Ticket gilt als Erfolg. Allein die Organisation bei der Bahn hinkte womöglich etwas hinterher.

Als Teil der staatlichen Entlastungspakete, mit denen die gestiegenen Spritpreise für Verbraucher kompensiert werden sollen, garantiert das Neun-Euro-Ticket jeweils für einen Kalendermonat freie Fahrt in allen Regionalzügen, Bussen und Straßenbahnen. Allerdings ist die Aktion zunächst befristet - zum 31. August ist erstmal Schluss.

Dienstwagen contra ÖPNV-Ticket?

Einig ist sich die Politik darin, die erfolgreiche Idee fortzusetzen. Noch ist aber unklar, wie - und wer das Ticket bezahlen soll. Vergangenen Freitag hatten die Grünen im Bund ein mögliches Konzept vorgestellt. Demnach könnte es künftig ein Regionalticket für 29 Euro und eine bundesweit im ÖPNV geltende Fahrkarte für 49 Euro geben. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte, die voraussichtlichen Kosten von rund fünf Milliarden Euro könnten durch eine "ökologische Reform" des Dienstwagenprivilegs finanziert werden - steuerliche Vergünstigungen abhängig vom CO2-Ausstoß. Damit könnte der Bund Dröge zufolge Mehreinnahmen von etwa drei Milliarden Euro erzielen, 60 Prozent des neuen Tickets müssten die Länder selber finanzieren.

Dass die Länder sich an den Kosten für eine Fortsetzung des Pauschal-Tickets beteiligen sollen, hatte auch die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz Maike Schaefer (Grüne) gefordert. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) dagegen stellt eine Beteiligung des Bundes in Frage: "Es stehen in der Finanzplanung für eine Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets keinerlei Mittel zur Verfügung", zitiert ihn die "Augsburger Allgemeine" am Montag, jeder Euro müsse "durch Kürzung anderswo mobilisiert werden". Lindner kritisierte demnach eine "Gratismentalität à la bedingungsloses Grundeinkommen" auch im Öffentlichen Nahverkehr. Außerdem sei es unfair, wenn "Menschen auf dem Land, die keinen Bahnhof in der Nähe haben und auf das Auto angewiesen sind, den günstigen Nahverkehr subventionieren".

NRW-Verkehrsminister: Lindner-Vorwürfe "absurd"

Oliver Krischer im Porträt

NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne)

NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) hat kein Verständnis für diese Kritik. Lindner sperre sich mit "unsachlichen Argumenten", sagte Krischer am Montag dem WDR. Wie seine Grünen-Kollegin auf Bundesebene plädiert auch er für den Abbau des Dienstwagenprivilegs, um damit ein Nachfolgemodell für das Neun-Euro-Ticket zu finanzieren. Lindners Vorwurf einer "Gratismentalität" bezeichnet Krischer als "absurd". Ein Rabatt-Ticket in der Dimension des Neun-Euro-Tickets sei nur gemeinsam mit dem Bund zu machen. Aber die Länder würden "ihren Teil dazu tun".

SPD: "Man nennt das Solidarität"

Dass Lindner in der Debatte um das Ticket von einer Gratismentalität spricht, nennt der SPD-Fraktionsvorsitzende im NRW-Landtag, Thomas Kutschaty, einen "derben Vorwurf". Dieser richte sich "an alle, die auf ein solches Ticket angewiesen sind". Er finde es richtig, auch die Bundesländer mehr zur Verantwortung zu ziehen, teilte Kutschaty dem WDR mit. "Gerade in NRW hat sich die Regierung Wüst ja schon sehr daran gewöhnt, die Hände aufzuhalten und immer nur nach Berlin zu zeigen."

Dass möglicherweise auch Menschen, die nicht von dem Ticket profitieren, dafür mitbezahlen - dafür gebe es einen Namen, so Kutschaty: "Man nennt das Solidarität." Dieser Aspekt solle bei der aktuellen Diskussion "mal etwas mehr in den Vordergrund gerückt werden".

Kosten des Neun-Euro-Tickets noch unklar

Eine Art Kassensturz der Verkehrsbetriebe zu den Kosten des Neun-Euro-Tickets gebe es bislang noch nicht, sagt eine Sprecherin des Verkehrverbunds Rhein-Sieg (VRS). Sie rechnet vor: Im Jahr 2019, also vor Corona, nahm der VRS über den Ticketverkauf 695 Millionen Euro ein. Die tatsächlichen Ausgaben des VRS lagen im selben Jahr bei einer Millarde Euro. Fast ein Drittel der Kosten mussten also im Normalbetrieb bisher durch die öffentliche Hand finanziert werden - Bund, Länder oder Kommunen. Bei einem 49-Euro-Ticket müsse die öffentliche Hand noch stärker einspringen. "Die Kommunen sind aber alle am Limit", sagt die Sprecherin, also müssten erhebliche Zuschüsse vom Land oder dem Bund kommen.

"ÖPNV-Ausbau darf nicht unter den Tisch fallen"

Und sie warnt: Der Ausbau des ÖPNV sei dringend notwendig, "wir sind da mit unseren Kapazitäten an die Grenze gekommen". Während der extremen Belastungen durch das Neun-Euro-Ticket habe sich das noch einmal deutlich gezeigt. Wenn der Staat jetzt ein weiteres Rabatt-Ticket subventioniere, dürfe das auf keinen Fall zulasten des Ausbaus von Bahn- und Schienenverkehr gehen - zumal der auch zum Erreichen der Klimaziele 2030 zählt.

38 Millionen Tickets verkauft

Der Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) gab am Montag bekannt, dass seit dem Verkaufsstart Ende Mai bis heute bundesweit etwa 38 Millionen Neun-Euro-Tickets verkauft wurden. Wie viele davon spezifisch in NRW verkauft wurden, kann der VDV nach eigener Aussage nicht ermitteln.
Deutschlandweit kämen zu den Verkäufen des Neun-Euro-Tickets noch etwa zehn Millionen Abonnenten hinzu, die monatlich das vergünstigte Ticket automatisch erhalten. Mehr als ein Drittel der Befragten hätten angegeben, das Ticket gekauft zu haben, um aufs Auto zu verzichten.

Gerade mit Blick auf diese Zielgruppe hatte der VDV bereits im Juli ein bundesweit gültiges "ÖPNV-Klimaticket" für 69 Euro pro Monat vorgeschlagen. Ein so starker Andrang wie beim Neun-Euro-Ticket würde damit "auf einem vertretbaren Maß gehalten", hatte Verbandschef Oliver Wolff gesagt. Ab 1. September könnten die Verkehrsverbände damit starten - mit dem entsprechenden Auftrag der Politik. Ein 69-Euro-Ticket bedeute Mehrkosten von etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr, rechnet der Verband. Bis Ende 2022 ließe sich diese Summe über den ÖPNV-Rettungsschirm abdecken, "für das neue Jahr braucht es dann eine neue Regelung", so Wolff.

Bahn muss aufrüsten

Das Konzept sei "ökonomisch und verkehrlich sinnvoll", legte Wolff jetzt nach, und er drängt die Politik zu einer Entscheidung: "Je länger eine finale Einigung ausbleibt, desto später kann ein Nachfolgeticket eingeführt werden. Wir brauchen also jetzt sehr zeitnah die nötigen politischen Beschlüsse, denn wir benötigen entsprechenden Vorlauf für eine operative und vertriebliche Umsetzung".

Eine Entscheidung zur Finanzierung löst allerdings ein anderes Problem noch lange nicht: Dass zumindest die Bahn gar nicht eingestellt ist auf mehr Bahnfahrer, hat sich spätestens mit dem Andrang der Neun-Euro-Ticket-Kunden gezeigt: Überfüllte Züge, ausgefallene Verbindungen, ein heillos überfordertes Kommunikationsmanagement bei der Bahn.

Parallel zu politischen Diskussion über eine Fortsetzung des Rabatt-Tickets haben mehrere Verkehrsverbunde in NRW ihren Kunden bereits ein eigenes Angebot unterbreitet: Wer ein Abo-Ticket besitzt, kann damit im September und Oktober über den eigentlichen Geltungsbereich hinaus an den Wochenenden und in den Herbstferien den Nahverkehr in ganz NRW nutzen. Das gelte für Abo-​Tickets des AVV, VRR, VRS, WestfalenTarifs oder NRW-​Tarifs.