Aufarbeitung Messerstiche Duisburg
Aktuelle Stunde . 14.03.2024. 35:39 Min.. UT. Verfügbar bis 14.03.2026. WDR. Von Alexander Roettig.
Messerattacke Duisburg: Polizei und Justiz wussten von Mordplänen
Stand: 14.03.2024, 17:22 Uhr
Zwei Kinder sind bei einer Messerattacke in Duisburg schwer verletzt worden. Dabei waren Polizei und Justiz vor dem mutmaßlichen Täter gewarnt worden. Und hatten ihn selbst schon als "Risiko" eingestuft.
Von Sabine Tenta
Hätte die Messer- und Hammerattacke auf zwei Grundschulkinder in Duisburg-Marxloh am 28. Februar verhindert werden können? Diese Frage stellt sich angesichts von Berichten von NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) für den Rechts - und Innenausschuss des Landtags. Darin schildert der Minister nicht nur den Stand der Ermittlungen, sondern eine möglicherweise folgenreiche Fehleinschätzung der Justiz. Die Behörden versuchen nun, sich gegenseitig die Schuld zu geben.
Mutmaßlicher Täter war "Person mit Risikopotenzial"
Aus einem der beiden Berichte geht hervor, dass der 21-Jährige mutmaßliche Täter bereits im Februar 2023 einem Arzt gegenüber eine Gewalttat gegen seine Mutter angekündigt habe. Daraufhin sei er in das Frühwarnsystem Periskop (Personen mit Risikopotenzial) aufgenommen worden. Doch nach einer zwischenzeitlichen Aussöhnung mit seiner Mutter und dem danach gewaltfreien Zusammenleben sei er im Oktober 2023 wieder ausgestuft worden. Im Januar 2024 seien dann aber zwei Fälle von Gewalt gegen seine Mutter bekannt geworden.
Frühe Hinweise auf Mordpläne
Ebenfalls im Januar gab es laut Bericht des Justizministeriums alarmierende Hinweise auf die Tat in Duisburg. Doch eine Hausdurchsuchung beim Tatverdächtigen verzögerte sich.
Der Ablauf der Warnkette bei Polizei und Justiz
Der Reihe nach: Am 08.01.2024 wandte sich laut Bericht ein Zeuge im bayerischen Straubing an die dortige Polizei. Der Zeuge berichtete, dass ein Bekannter von ihm durch einen Chatkontakt erfahren habe, dass der Tatverdächtige aus Duisburg einen "Mordanschlag" für September 2024 angekündigt habe. Auch die geplanten Tatwaffen - ein Messer und ein Hammer - seien im Bild zu sehen gewesen. Es habe zudem Hinweise gegeben, dass der mutmaßliche Täter von Duisburg Serienmörder verherrliche, das zeige ein Youtube-Video.
Von Straubing nach Duisburg - mit oder ohne Eile?
Laut Bericht des Justizministeriums ermittelte die Polizei in Straubing "den sehr wahrscheinlichen Urheber" der Chatnachricht und schickte die Akten an die Staatsanwaltschaft in Bayern, die sie wiederum nach Duisburg weiterleiteten. Dort seien die Akten am 15.02.2024 angekommen - jedoch ohne ein Deckblatt, das auf eine besondere Eilbedürftigkeit der Sache hingewiesen habe. Erst am 20. Februar habe die zuständige Dezernentin in Duisburg bei der Polizei in Straubing nachgehakt. Diese habe aber weder das Youtube-Video gesichert, noch eine Eilbedürftigkeit für die Gefahrenabwehr gesehen.
Widersprüche bei Vermerk
Die Staatsanwaltschaft Regensburg widerspricht dieser Darstellung. Dem WDR sagte ein Sprecher, dass die Akten nach Duisburg mit einem Vermerk oben rechts auf dem Aktendeckel geschickt worden sein: "Eilt sehr!" habe dort gestanden.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg bleibt hingegen bei ihrer Darstellung: Das Übersendungsdeckblatt von der Staatsanwaltschaft Regensburg sei nicht mit einem Eil-Vermerk versehen gewesen. Daher seien die Akten nach Eingang am 15. Februar "in den üblichen Geschäftsgang gelangt" und am 20.02. erfasst und der zuständigen Dezernentin vorgelegt worden.
BDK: "Behörden müssen digitaler werden"
Für Oliver Huth, NRW-Landesvorsitzender beim Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), macht dieser mögliche Vermerk den entscheidenden Unterschied: "Wenn da ein Eil-Vermerk gestanden hat, muss eine Dezernentin das zügig bearbeiten", erklärt er auf Anfrage des WDR. Grundsätzlich müssten Behörden deutlich digitaler werden und enger zusammenarbeiten - wie der Fall belege. "Strafverfolgung darf nicht erst eintreten, wenn der Postbote kommt, sondern wir müssen Akten digital miteinander teilen." Das sei in der Wirtschaft längst Standard und müsse auch bei Behörden möglich sein.
Durchsuchungsantrag kommt zu spät
Die Dezernentin in Duisburg forderte, nachdem sie die Akten erhalten hatte, noch am selben Tag weitere gegen den Beschuldigten anhängige Verfahren an. Das Ergebnis: alles Gewaltdelikte im familiären Umfeld. So schreibt es die Staatsanwaltschaft Duisburg auf Anfrage des WDR.
Die Dezernentin kam zu dem Schluss, dass die Sache eilt und übersandte am 22. Februar, also sechs Tage vor der Tat, dem Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Duisburg einen Antrag auf Durchsuchung der Wohnung und auf Beschlagnahme seiner Kommunikationsgeräte.
Laut dem Amtsgericht übergeordneten Landgericht war der Durchsuchungsantrag aber "ohne Darstellung des Tatvorwurfs oder des Sachverhalts". Es sei lediglich auf den Bericht der Polizei Straubing verwiesen worden. So schildert es der Präsident des Landgerichts Duisburg dem NRW-Justizministerium.
Dem entgegnet die Staatsanwaltschaft Duisburg auf WDR-Anfrage: Der Sachverhalt sei "überschaubar" gewesen, sodass wegen der "Eilbedürftigkeit auf eine eine zusammenfassende Darstellung verzichtet wurde."
Der Antrag jedenfalls wurde im System erfasst und "per Wachtmeister am nächsten Tag" dem Ermittlungsrichter überbracht. Der habe am 23.02., einem Freitag, "bei einer ersten Durchsicht" sinngemäß nicht alle Details erfasst und erst bei einer nochmaligen Durchsicht am Montag einen Instagram-Screenshot entdeckt mit diesem Text: "Tag 15 in der Freiheit, demnächst plane ich weitere Tödliche Verletzungen an irgendwelchen dummen Randoms, diesmal lasse ich mich nicht erwischen."
Daraufhin erließ er am 26.02. einen Durchsuchungsbeschluss "und brachte die Akte in den Geschäftsgang", wie im Bericht des Justizministeriums zu lesen ist. Die Akte sei bei der Polizei in Duisburg am 29. Februar eingegangen - also einen Tag nach der Tat.
Das falsche Aktenzeichen
Die zuständige Dezernentin, die mit dem Fall befasst war, hatte sich den Fall "auf Wiedervorlage" gelegt und hakte am Montag (26.02.) nach. Verzögert wurde die Angelegenheit jedoch "aufgrund eines Geschäftsstellenversehens". Das bestand darin, dass das Aktenzeichen "nicht (vollständig) zutreffend vermerkt worden" war. Darum ist wohl ihr Nachhaken ins Leere gelaufen.
Was sagt die Justiz zu den Vorgängen?
Der Justizminister schildert in seinem Bericht auch die Reaktion der Leitenden Oberstaatsanwältin in Duisburg zum Ablauf der Ereignisse. Demnach hält sie die zeitlichen Abläufe in ihrer Behörde "für vertretbar". Sie habe aber alle Dezernentinnen und Dezernenten dafür sensibilisiert, künftig in Zweifelsfällen "vorsorglich unmittelbar und unverzüglich" die zuständige Polizeibehörde zu kontaktieren.
Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf hat laut Bericht des Justizministeriums "keine Bedenken" wegen der "Sachbehandlung" der Oberstaatsanwältin in Duisburg.
Der Präsident des Landgerichts Duisburg habe von einer abschließenden Bewertung abgesehen, eine "umfassende dienstaufsichtsrechtliche Prüfung der Angelegenheit" dauere noch an.
SPD: "Das ist unfassbar"
Auch die SPD-Abgeordnete Elisabeth Müller-Witt sagte dem WDR, es stelle sich die Frage, wie eng die Behörden der Bundesländer zusammenarbeiten "und wie ernst nehmen dann die empfangenden Länder die Nachrichten". Es sei "einfach unfassbar, dass man so nachlässig mit so einer wichtigen Mitteilung umgeht". In der heutigen Zeit gebe es wirklich gute, elektronische Medienmöglichkeiten, "die solche Dinge frühzeitig erkennen und verhindern". Für Müller-Witt "ist das ein Verhalten wie in alter Zeit, als Briefe geschrieben wurden".
Ihr Kollege Sven Wolf ergänzt: "Wenn es einen konkreten Hinweis eines Bürgers auf eine Gefährdung gibt, dann darf es nicht 51 Tage dauern, bis die zuständigen Behörden konkrete Maßnahmen ergreifen. Erst recht nicht, wenn es sich bei dem Gefährder um eine polizeibekannte Person handelt."
CDU: "Wir haben Aufholbedarf"
Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag, Christos Katzidis, räumt auf WDR-Anfrage ein, dass die Behörden in NRW in Sachen Digitalisierung "Aufholbedarf" haben. Doch technische Lösungen müssten mit allen Bundesländern abgestimmt werden, damit es an den Schnittstellen auch kompatibel sei und nicht "jeder sein eigenes Ding mache".
Über dieses Thema berichten wir auch in der Aktuellen Stunde im WDR-Fernsehen ab 18:45 Uhr sowie auf WDR5 im Landesmagazin Westblick ab 17.04 Uhr.
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