Während sich in den vergangenen Jahren immer mehr Unternehmen aus Tarifverträgen verabschieden, gibt es neue Unternehmen, die Tarifverträge kategorisch ablehnen. Der Online Lieferdienst Lieferando ist so ein Beispiel. Florian Neuß fährt seit vier Jahren Essen mit dem Fahrrad in Dortmund aus. Der Job macht ihm Spaß und er ist viel an der frischen Luft.
Mit den Arbeitsbedingungen ist er aber weniger zufrieden. Denn sein Lohn unterliegt starken Schwankungen. Ein Bonussystem entscheidet, ob er 12 oder 14 Euro pro Stunde verdient. Das hänge auch von der Auftragslage ab. "Das unternehmerische Risiko wird an die Fahrer weitergegeben. Auch wenn mal wenig Aufträge reinkommen oder das System ausfällt, baden es wir Fahrer aus. Ich weiß am Monatsanfang nie, was ich am Monatsende raus habe", sagt Neuß.
Beispiele Lieferando und Amazon
Fahradbote vom Lieferdienst "Lieferando"
Der 35-jährige Familienvater engagiert sich in der Gewerkschaft NGG. Die fordert seit diesem Jahr einen Tarifvertrag für die Beschäftigten, der Arbeitszeiten und Lohn besser regelt. Doch Lieferando weigert sich, einen Tarifvertrag einzugehen. Das Unternehmen verweist auf WDR-Anfrage auf die guten Arbeitsbedingungen und hohen Stundenlöhne, ein Tarifvertrag würde einen Wettbewerbsnachteil in der Branche bedeuten.
Ähnlich argumentiert auch der Branchenriese Amazon. Schon seit 10 Jahren fordern die Beschäftigten einen Tarifvertrag. Aziz von Kralik-El Boutaybi ist Betriebsrat bei Amazon in Werne. Er wünscht sich mehr Sicherheit durch einen Tarifvertrag, der zum Beispiel auch Überstunden regelt. Denn davon fallen in der Vorweihnachtszeit einige an, sagt er.
Ohne Tarifvertrag oft weniger Geld und mehr Arbeit
Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung verdienen Beschäftigte ohne Tarifvertrag im Schnitt 600 Euro weniger und arbeiten rund eine Stunde mehr pro Woche. Dass mittlerweile nur noch 57 Prozent der Beschäftigten in NRW durch einen Tarifvertrag abgesichert sind, sei eine bedenkliche Entwicklung, sagt Anja Weber, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes NRW.
Anja Weber, DGB-Vorsitzende in NRW
Sie fordert, dass die Landesregierung gegensteuert. "Das Erste ist, dass wenn öffentliche Gelder ausgeschrieben werden, dass dann vorgeschrieben werden muss, dass dann auch nach Tarif bezahlt wird. Wir brauchen ein Tariftreuegesetz in Nordrhein-Westfalen."
Auch NRW-Arbeitsminister Karl Josef Laumann (CDU) beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Die schwarz-grüne Landesregierung hat im Koalitionsvertrag klar erklärt, sie wolle bei der"öffentlichen Vergabe tarifgebundene Firmen bevorzugen". Das sei allerdings nicht in allen Bereichen einfach zu kontrollieren.
Doch gerade beim Bau durch öffentliche Träger will er, dass nicht nur das beauftragte Unternehmen, sondern auch die Subunternehmer nach Tarif zahlen. Doch wie das umgesetzt werden kann, weiß Laumann nicht. Viele der Tariftreuegesetze aus den anderen Bundesländern hält Laumann für schwer kontrollierbar: "Ich mache nur dann was, was man auch kontrollieren kann und nichts, was auf dem Papier steht und sich schön anhört."
Andere Länder und der Bund legen vor
Mecklenburg-Vorpommern hat gerade als sechstes Bundesland ein Tariftreuegesetz beschlossen. Ab Januar dürfen öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen mit einem Tarifvertrag und Mindestlohn von 13,50 Euro vergeben werden. Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will ein vergleichbares Gesetz noch in diesem Jahr vorstellen.
In NRW gab es schon mal ein Tariftreuegesetz, das 2017 abgeschafft wurde, weil FDP und CDU es für zu bürokratisch hielten. Johannes Pöttering, Hauptgeschäftsführer von Unternehmer NRW, hält das auch heute noch für richtig. Das Gesetz habe keineswegs zu mehr Tarifbindung geführt, sondern nur zu weniger Wettbewerb und mehr Bürokratie. Unternehmen ohne Tarifbindung hätten sich an den Auftragsvergaben nicht mehr beteiligt, "Aufträge wurden dadurch teurer und der Steuerzahler musste es am Ende zahlen", so Pöttering.
Gewerkschaften haben in „neuen Branchen“ weniger Mitglieder
Auffällig ist, dass die Tarifbindung in NRW in Bereichen wie Metall und Stahl sehr hoch ist, aber beispielsweise im Einzelhandel mit nur 34 Prozent sehr gering. Für mehr Tarifbindung sei es auch wichtig, dass die Gewerkschaften auch in den "neuen Branchen mehr Mitglieder gewinnen", sagt der NRW-Arbeitsminister. Das sieht auch Florian Neuß so. Vor ein paar Jahren war der der achte Betriebsrat bei Lieferando. Mittlerweile gibt es über 20.
Über dieses Thema berichten wir am Sonntag in der TV-Sendung Westpol, ab 19:30 Uhr.