Mehr Weizen aus NRW, aber wie?
Weil Getreide aus der Ukraine fehlt, will die EU mehr Weizen anbauen. Dafür wird sogar die Stilllegung von Flächen ausgesetzt. Agrarwissenschaftler sehen das Problem aber nicht bei Flächen, sondern in zu hohen Qualitätsstandards für Backweizen.
Von Anett Selle und Anne Bielefeld
Erst kam der Ukraine-Krieg, dann kam die Dürre: der Weizenmarkt ist in diesem Jahr gleich doppelt unter Druck. Aufgrund der Hitze und Trockenheit, landet zum Beispiel ein Teil des Weizens von Landwirt Jörg Klingenmaier aus Kerpen nicht im Teig, sondern im Futtertrog:
“Ein Teil unserer Ernte ist zu Futterweizen erklärt worden, obwohl es Brotweizen-Sorten waren”, sagt Klingenmaier, der insgesamt 200 Hektar Land bewirtschaftet. “Wir haben die Proteingehalte nicht erreicht. Das sind dann direkt pro Tonne zwanzig Euro weniger.” Tausende Euro habe Klingenmaier dadurch weniger eingenommen. Was er nicht verkauft hat, fressen jetzt seine Hühner.
Probleme bei der Weizenqualität
Und mit diesem Problem steht er nicht alleine da: Nach Angaben der Landwirtschaftsverbände fiel die Weizen-Ernte bislang mengenmäßig gut aus. Die Qualität sei aber vielerorts zu schlecht, der Protein-Gehalt zu niedrig für Backweizen.
“Der Klimawandel in der Form nimmt uns schon sehr mit”, sagt Klingenmaier. “Wir leben von der Natur, aber es wird immer schwieriger, die Erträge zu erzielen. Und das obliegt ja uns nicht selber. Wenn so eine Hitze und Trockenheit ist, da können wir nichts dran ändern.”
Mehr Getreide statt Artenschutz
Silke Gorißen (CDU)
Dabei sollen die Landwirte eigentlich mehr und nicht weniger Brotweizen produzieren. Die EU hat dafür extra Vorschriften zum Artenschutz ausgesetzt. Eigentlich sollten im nächsten Jahr vier Prozent der Anbauflächen stillgelegt werden, damit dort beispielsweise Wildwiesen wachsen. Jetzt dürfen die Bauern diese Flächen doch weiter nutzen. Auch NRW-Landwirtschaftsministerin ist dafür.
Für den Grünen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir war die Zwangspause für den Artenschutz eine schwere Entscheidung, die er daran geknüpft hat, dass “für den Teller” produziert würde, nicht für “Tank und Trog”.
Mehr Anbaufläche, mehr Backweizen?
Landwirte sorgen sich um die Bewirtschaftung ihrer Flächen
Doch Agrarwissenschaftler bezweifeln, dass diese Rechnung aufgeht, weil die Landwirte ohnehin eher schlechte Flächen still gelegt hätten: “Wir gewinnen Flächen dazu, die nicht die produktivsten sind: Es ist hauptsächlich Futtergetreide, was da wahrscheinlich bei rauskommt.”, schätzt Sebastian Lakner, Professor für Agrarökonomie an der Universität Rostock. Was seiner Ansicht nach besser helfen würde: Den Mindest-Proteingehalt von Backweizen zu senken, sodass weniger Weizen als Futtermittel aussortiert werden muss.
“Die reine Fokussierung auf den Proteingehalt greift zu kurz”, sagt Lakner. “Das zeigen auch immer wieder Hinweise von den Kollegen, die zu Weizenzüchtung forschen. Die sagen, ein ganz großer Teil unserer Weizen-Produktion wäre backfähig, wenn wir das wollen.” Gut beobachten ließe sich das im Bio-Landbau. “Da sieht man: Wir bekommen auch mit weniger Proteinen durchaus gute Backwaren hin.”
Landwirte fordern Absenkung der Standards für Backweizen
Auch Landwirt Jörg Klingenmaier fände eine Absenkung des Proteingehalts sinnvoll. Und NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen sagt, mittlerweile wären einige Landwirte mit diesem Vorschlag an sie herangetreten. Im Westpol-Interview kündigt sie an, diese Möglichkeit politisch zu diskutieren. Denn bleiben die Qualitätsansprüche, wie sie sind, muss Jörg Klingenmaier wohl auch im nächsten Jahr eigentlich backfähigen Weizen an seine Hühner verfüttern.
Zu diesem Thema berichtete der WDR unter anderem auch im Westblick auf WDR5 und in der Fernsehsendung Westpol am 14.08.2022.