Wahlkampf in NRW: Welche Kontakte nach Russland hatten die Parteien?
Stand: 28.04.2022, 18:00 Uhr
Der Wahlkampf hat gerade begonnen - und artet bereits zur Schlammschlacht aus. CDU und SPD werfen sich gegenseitig enge Beziehungen zu Russland vor. Was ist dran an den Behauptungen?
Von Lucas Tenberg und Nina Magoley
Drei Wochen vor der Landtagswahl in NRW streiten CDU und SPD über die Frage, wer engere Beziehungen zu Russland hatte und noch unterhält. So unterstellen die Christdemokraten Thomas Kutschaty, dem SPD-Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt, ein "Putin-Problem".
Der kontert: "So russlandfreundlich wie die NRW-CDU war ansonsten nur die CSU", die seit 2014 regelmäßig das Ende der Russland-Sanktionen gefordert habe. Der ehemalige Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sei derjenige, dem die Distanz zu Moskau gefehlt habe. Dieser habe sich immer wieder für das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 eingesetzt – und den russischen Einsatz in Syrien verteidigt.
Was ist dran an den gegenseitigen Vorwürfen?
Politikwissenschaftler sieht Fehler auf beiden Seiten
Die CDU stützt ihre Argumentation auf Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD), der nicht nur ein Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putins ist, sondern auch Aufsichtsratsvorsitzender der Nord Stream AG und des russischen Gaskonzerns Rosneft. Und der sich auch nach dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht von Putin distanzierte.
Oder auf die Sozialdemokratin Manuela Schwesig, die als Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern verstrickt ist in eine Stiftung, die die Gaspipeline Nord Stream 2 mitfinanziert.
Beide Politiker kommen nicht aus Nordrhein-Westfalen - doch Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ist sich sicher: "Das 'Russland-Problem' der SPD zieht sich bis nach NRW."
Dieser Vorwuf sei "konstruiert", sagt Volker Kronenberg, Professor für Politikwissenschaft an der Uni Bonn. Kutschaty habe der CDU allerdings eine Steilvorlage für die jüngsten Angriffe geliefert, indem er sich zunächst demonstrativ an die Seite von Schwesig stellte, als die wegen Nord Stream 2 in die Kritik geriet. "Das war völlig unnötig und ein strategischer Fehler", sagt der Parteienforscher.
Tobias Blasius, langjähriger Politikjournalist und Chef der Landespressekonferenz, hält den Vorwurf der CDU in Richtung SPD sogar für "absurd": Gerade CDU-Ministerpräsident Laschet habe lange im Ruf des "Putin-Verstehers" gestanden. "Laschet war überzeugt davon, dass sich größere Probleme nicht lösen lassen, ohne mit Russland zu sprechen." NRW habe russisches Gas haben wollen, und für Laschet sei immer klar gewesen, dass man als "energiehungriges Bundesland für ein auskömmliches Verhältnis mit Russland sorgen muss".
Der "Wandel durch Annäherung" ist seit Jahrzehnten Konsens
Dass das Thema Russland selbst in NRW wahlkampftauglich ist, sei nicht verwunderlich, sagt Politikforscher Kronenberg: "Es ist das zentrale Thema, das die Menschen bewegt, einschließlich der Frage, welche Auswirkung es auf unser Leben haben wird." Hier einen "feinsinnigen" Unterschied zwischen Land und Bund zu machen, gehe "an der Befindlichkeit der Menschen vorbei".
Er sagt aber auch: Dass Deutschland mit der Atommacht Russland möglichst auf allen Ebenen diplomatisch in Kontakt stehen sollte, darüber bestehe seit der Ära Willy Brandt parteiübergreifend Konsens. "Wandel durch Annäherung" - das habe in der deutschen Politik zumindest bis zum Angriffskrieg auf die Ukraine gegolten.
Welche Verbindungen gab und gibt es aus NRW nach Russland?
Doch wie eng waren die Kontakte der NRW-Landtagsfraktionen nach Russland in den vergangenen Jahren? WDR-Recherchen zeigen, dass sie alle bis zum Ausbruch des Krieges in der Ukraine Kontakte nach Russland pflegten. Die Verbindungen der aktuellen Landesregierung waren dabei etwas intensiver als die der Oppositionsparteien, was sich aber mit Repräsentationsaufgaben begründen lässt.
Die schwarz-gelbe Landesregierung unter Armin Laschet hatte ab 2017 nach eigener Formulierung "enge Kontakte" nach Russland, "vor allem in den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft". So geht beispielsweise aus einem Bericht der Landesregierung über die europäische und internationale Zusammenarbeit hervor, dass Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) 2019 mit einer 40-köpfigen Delegation nach Sankt Petersburg reiste.
Wirtschaftsminister Pinkwart (3.v.r.) in St. Petersburg
Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) fuhr mehrmals nach Moskau, um "die bilateralen Beziehungen in Kultur und Wissenschaft" sowie "gemeinsame Kulturprojekte" zu unterstützen, wie es heißt. Das Land NRW unterhält in Moskau seit 2007 - damals ebenfalls CDU-regiert - zudem ein Kontaktbüro für Forschungs- und Hochschulkooperationen.
Ministerpräsident Laschet (li.) und der russische Außenminister Lawrow (re.)
Laschet und Pinkwart nahmen zudem an zahlreichen deutsch-russischen Treffen, Konferenzen und Hintergrundgesprächen teil. Laschet traf auch wiederholt den russischen Außenminister Sergej Lawrow - so etwa im Juni 2019 am Rande des Petersburger Dialogs.
Es seien aber in der aktuellen Legislaturperiode keine dienstlichen Reisen nach Russland von der CDU-Fraktion organisiert oder unternommen wurden, betont die Partei auf Nachfrage. Gleiches gilt für die Landtagsfraktionen von SPD, FDP und Grünen.
Wobei die Grünen betonen, es habe "vereinzelte Austausche, gerade mit der russischen Zivilgesellschaft, gegeben". So habe zum Beispiel der Abgeordnete Stefan Engstfeld jüngst auf einer Anti-Kriegsdemo gesprochen, die von Putin-kritischen, russischstämmigen Menschen organisiert gewesen sei. Der Abgeordnete Mehrdad Mostofizadeh habe 2019 eine zehnköpfige Besuchergruppe aus Russland, zu der auch Lokaljournalisten gehörten, getroffen.
Kontakte auch in der Amtszeit von Hannelore Kraft
In der rot-grün geführten Amtszeit von Hannelore Kraft (SPD) hat es laut Parlamentsberichten offenbar keine größeren Delegationsreisen nach Russland gegeben. Dafür gab es diverse Veranstaltungen, in denen russische und nordrhein-westfälische Vertreter miteinander diskutierten.
"Trotz der angespannten Beziehungen zur Russischen Föderation und der Sanktionspolitik der Europäischen Union hat die Landesregierung auch im Jahr 2014 die bestehenden Fachkontakte fortgeführt", heißt dazu in einem Parlamentsbericht. Eine geplante Unternehmerreise allerdings wurde abgesagt. Dafür reiste der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Günther Horzetzky, etwa 2014 und 2015 zum Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg.
2016 fand in Münster die 1. Russisch-Nordrhein-Westfälische Wissenschaftskonferenz statt. Und 2012 gründete die rot-grüne Landesregierung in Sankt Petersburg ein Kontaktbüro der landeseigenen Wirtschaftsförderungsgesellschaft NRW.INVEST, seit 2013 auch eins in Moskau. Deren Aktivitäten "ruhen" derzeit.
Eine besondere Russlandnähe könne man der rot-grünen Regierung unter Hannlore Kraft kaum attestieren, sagt Politikjournalist Blasius rückblickend. "Kraft hat nie zum Netz der Russlandfreunde bei der SPD gehört." Sie sei eher auf transatlantische Kontakte fokussiert gewesen.
Umstrittene Äußerungen führender Politiker in NRW
Neben den vielfältigen Kontakten hat es in den vergangenen Jahren immer wieder auch umstrittene Äußerungen führender Politiker gegeben. So twitterte Laschet 2015, damals noch als Fraktionsvorsitzender der CDU in NRW, eine Lösung im Syrien-Konflike könne es nur mit Russland geben. In der Talkshow bei Anne Will bekräftigte er: "Es ist gut, dass Putin in Syrien mitwirkt."
Der ehemalige Düsseldorfer SPD-Oberbürgermeister Thomas Geisel erhielt gerade mal sieben Tage vor Beginn des Kriegs in der Ukraine im russischen Generalkonsulat in Bonn eine Auszeichnung für seinen "großen Beitrag zur Entwicklung der Partnerschaften mit Moskau" während seiner Amtszeit, wie das Konsulat twitterte:
Mitte April griff Geisel den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk in einem Blog-Eintrag scharf an. Er bezeichnete ihn als "PR-Profi" und warf ihm vor, die Lage in der Ukraine durch gezielte Rhetorik dramatischer darzustellen, als sie tatsächlich sei.
SPD-Spitzenkandidat Kutschaty forderte Geisel dazu auf, den Eintrag wieder zu löschen. Offenbar mit Erfolg: Der Eintrag ist mittlerweile offline.
Der Zankapfel Nord Stream 2
Das umstrittene Pipelineprojekt Nord Stream 2 wurde über Jahre von zahlreichen SPD-, CDU- und CSU-Politikern sowie von der FDP unterstützt. Als NRW-Ministerpräsident hatte Armin Laschet das Projekt in vielen Talk-Runden als Argument für den Kohleausstieg verteidigt, auch noch nach dem Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Nawalny im August 2020. Die Bundes-FDP hingegen forderte damals ein Moratorium bis zur Aufklärung des Anschlags. Die Landtagsfraktion in NRW schloss sich dem an.
Die SPD in NRW hatte sich in der Vergangenheit nicht explizit zu Nord Stream 2 positioniert. Inzwischen heißt es aus der SPD-Landtagsfraktion, man stehe "voll und ganz hinter der Entscheidung der Bundesregierung vom 22. Februar, die Pipeline Nord Stream 2 zu stoppen, nachdem der russische Präsident Putin die Separatistengebiete Donezk und Luhansk als unabhängig anerkannt hat".
Die Fraktion der Grünen gibt an, den Bau der Pipeline "seit jeher kritisiert" zu haben, weil sie "klimapolitisch falsch" gewesen sei und "die Abhängigkeit von Russland weiter erhöht hätte".
Keine Partei nahm Spenden aus Russland an
Spenden aus Russland würden die Parteien in größere Erklärungsnot bringen. Auf Anfrage sagen die Grünen in NRW, der Landesverband habe seit 2017 "keine Spenden von eindeutig erkennbaren russischen Unternehmen beziehungsweise deren deutschen Ablegern" erhalten. Sicher, keine solche Spenden erhaben zu haben, sind sich auch die Landesverbände von CDU, FDP, SPD und AfD.
Sonderfall AfD: Die Reisegruppe Krim
Eine Sonderrolle in der Debatte um Kontakte nach Russland nimmt die AfD ein. Die Partei pflegte aus NRW heraus auch noch nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 enge Beziehungen nach Russland. So reisten etwa 2018 NRW-Parlamentarier auf die Krim. Dort sprach der ehemalige NRW-Landtagsabgeordnete Roger Beckamp - mittlerweile für die AfD im Bundestag - davon, dass die Krim nicht besetzt, sondern jetzt wieder Teil von Russland sei. Die meisten Menschen, die sie getroffen hätten, seien "glücklich, wieder daheim in Russland zu sein". Mittlerweile hat Beckamp den russischen Angriff auf die Ukraine aber verurteilt.
Gegenüber dem WDR sprach die NRW-Landtagsfraktion der AfD von einer Informationsreise, deren Ziel es gewesen sei, wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf die ukrainisch-russischen Beziehungen zu gewinnen.
Ebenfalls zu einer der ersten AfD-Reisegruppen auf die Krim gehörte Eugen Schmidt, der als "Landesbeauftragter für Russlanddeutsche" fungiert und das Netzwerk "Russlanddeutsche in der AfD" managt. Laut dem ARD-Magazin Kontraste beendete Schmidt vor Beginn des Krieges, am 17. Februar, eine Rede im Bundestag auf Russisch mit den Worten "Wollen die Russen Krieg? Nein!" Diese Äußerung deckte sich mit den damaligen Aussagen des Kreml und wurde von russischen Medien danach vielfach zitiert.
Anfang April sorgte der Krefelder AfD-Politiker Eugen Walter für Aufregung. Ein Video zeigt, wie er bei einem Treffen der AfD-Fraktion mit Russlanddeutschen im Landtag wörtlich sagt: "Jeder weitere ukrainische Flüchtling, der nach Deutschland kommt, ist eine Gefahr für uns Russlanddeutsche, für unsere Frauen, für unsere Kinder, für unsere Väter. Ich will nicht, dass weitere Flüchtlinge hier hinkommen und ich werde dafür kämpfen."
Im WDR distanzierte sich der NRW-Parteivorsitzende Martin Vincentz von den Aussagen und kündigte Parteiordnungsmaßnahmen gegen Walter an.
Fazit: Die Russlandnähe war von SPD und CDU gewollt
Politikforscher Kronenberg warnt davor, Kontakte zwischen NRW und Russland generell als verwerflich zu brandmarken und damit Wahlkampf zu machen. Kritikwürdig sei eine solche Nähe mit Blick auf umstrittene Figuren wie Altkanzler Schröder oder Schwesig aber durchaus.
Russlandnähe sei jedoch "sicher kein exklusives SPD-Merkmal", sagt der Chef der Landespressekonferenz, Tobias Blasius. Das Motiv eines "Wandels durch Handel" sei in weiten Teilen der CDU in NRW ebenso fest verankert. Die Russland-Kontakte der Landesregierung seien legitim gewesen und hätten ein Ziel gehabt: "Man hat es als gegenseitiges Geschäft verstanden: Über energiewirtschaftlichen Handel auch zu politischen Veränderungen zu kommen" - durchaus mit Profit für NRW.
Man könne der Landesregierung den Vorwurf machen, zu lange an dieser Haltung festgehalten zu haben - "auch noch, als der energiewirtschaftliche Hebel längst nicht mehr reichte, um bei Putin etwas zu erreichen", sagt Blasius.
Die Einzigen, die Russland gegenüber immer skeptisch gewesen seien, seien die Grünen gewesen. Die hätten Nord Stream 2 kritisch gegenüber gestanden und stattdessen für einen Ausbau der Erneubaren Energien plädiert. Wenn eine Partei mit dem Vorwurf der Russland-Nähe Wahlkampf machen wollte, dann hätten es die Grünen sein können.