Klinikkeime in der Umwelt

Westpol 17.12.2023 UT DGS Verfügbar bis 17.12.2028 WDR

Klinikabwässer: Wie gefährliche Keime in Flüsse und Seen gelangen 

Stand: 20.12.2023, 10:51 Uhr

Multiresistente Keime können lebensgefährlich sein. Häufig findet man sie in Kliniken. Experten legen jetzt den Fokus auf eine wenig bekannte Gefahr: Klinikabwasser. Darüber gelangen Keime in Flüsse und Seen.

Von Sharin Santhiraraja-Abresch, Lukas Bartsch und Sophie Kuhlmann

Es war ein Fall, der Aufsehen erregt hat: Im März 2017 stürzt ein angetrunkener Mann in der Nähe von Frankfurt in einen Bach. Wasser und Partikel von Blättern und Erde gelangen in seine Lunge. Er ertrinkt fast, wird jedoch gerettet und in eine Klinik gebracht. Dennoch stirbt er wenig später. Die behandelnden Ärzte machen einen erschreckenden Fund in seiner Lunge: 4MRGN. Ein multiresistenter Keim, den man sich sonst eigentlich nur in Kliniken einfangen kann.

Das verhängnisvolle Problem: Dieser Keim ist gegen alle vier vorhandenen Antibiotika-Klassen resistent - eine Auswirkung moderner Medizin am Menschen mit hohem Antibiotikaeinsatz. Auch ein Reserveantibiotikum schlägt bei dem Mann nicht an. Die Infektion verläuft tödlich. Daraufhin untersucht das Gesundheitsamt den Bach und findet dort 4MRGN. Der Krankenhauskeim war in die Umwelt gelangt.

Neue Studie legt Keimbelastung offen

Wie verbreitet besonders gefährliche Keime sind, lag lange unter dem Radar der Umweltbehörden. Nachdem Experten nicht müde wurden, bessere Übersichten zu fordern, brachten Studien zutage, dass zum Beispiel durch die Landwirtschaft verschiedene resistente Keime in Badeseen oder Bäche gelangen. Antibiotika werden vielfach in der Tierzucht eingesetzt.

Porträtaufnahme von Prof. Martin Exner.

Martin Exner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene

Nun wird klar: Auch die 4MRGN aus der Humanmedizin lassen sich an vielen Stellen fernab der Kliniken nachweisen. Das zeigen aktuelle Ergebnisse einer Studie des Landesamtes für Natur- und Verbraucherschutz in NRW (LANUV), die dem WDR vorliegen. Über einen längeren Zeitraum konnten in Zu- und Abläufen von Klärwerken, die an Kliniken angebunden sind, 4MRGN nachgewiesen werden. "Speziell die Krankenhaus-Abwässer […] sind die wichtigste Quelle für die Belastung unserer Umwelt mit hochresistenten Erregern“, erklärt Martin Exner, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene.

Der Weg des Keims

Waschbecken in der Uniklinik Bonn

Waschbecken in der Uniklinik Bonn

Der Weg des Keims beginnt schon im Patientenzimmer: "Patienten und Personal waschen sich am Waschbecken die Hände. Mit dem Händewaschen können Mikroorganismen abgewaschen werden", erklärt Thomas Kistemann, stellvertretender Direktor am Institut für Hygiene und öffentliche Gesundheit/Public Health der Uniklinik Bonn. "Und dann gelangen sie über das Wasser, das ins Waschbecken fällt, in den Siphon. Das können auch multiresistente Mikroorganismen sein."

So gelangt das mit Keimen belastete Abwasser in die Kläranlagen. Doch hier fehlen Filter, um das Wasser keimfrei zu machen: "Kläranlagen sind noch nicht mal so aufgebaut, um generell Bakterien zurückzuhalten", erklärt Nicole Zacharias, Bereichsleiterin der Umweltmikrobiologie an der Uniklinik Bonn. "Das heißt, ein Risiko, dass solche Erreger im Abwasser und Gewässer landen, ist vorhanden."

Nicole Zacharias in der Uniklinik Bonn

Mikrobiologin Nicole Zacharias

Zacharias nimmt im Rahmen ihrer Forschung Umweltproben und untersucht sie auf multiresistente Erreger. Sie konnte nicht nur 4MRGN im Rohabwasser der Uniklinik Bonn und an den Zu- und Abläufen der Kläranlage Bonn nachweisen, sondern auch – schwächer konzentriert – direkt am Rhein, wo das geklärte Abwasser eingeleitet wird.

Gefahr für den Menschen

Noch ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich außerhalb des Krankenhauses mit einem 4MRGN infiziert, für einen gesunden Menschen mit ausreichender Hygiene gering, sagt Infektiologe Exner. Dennoch müsse etwas passieren. "Wir müssen jetzt vermeiden, dass es zu einem Aufschaukeln von solchen Antibiotikaresistenzen in der Umwelt kommt", warnt er. Denn bei einer Infektion mit 4MRGN helfen nur noch sogenannte Reserveantibiotika – wenn dagegen nicht auch schon Resistenzen vorliegen. Jährlich infizieren sich 5.000 Menschen mit 4MRGN, die meisten in Krankenhäusern. Jeder Dritte stirbt innerhalb der ersten drei Monate daran.

Politik tut noch zu wenig

Klinikabwasser müsste deshalb besser geklärt werden, indem besonders betroffener Kläranlagen technisch aufgerüstet werden. Die Landesregierung NRW hat das Problem erkannt und im November 2023 eine Förderrichtlinie eingeführt, die die Verbesserung der Klärwerke fördert. Allerdings ermöglicht sie nur Zuschüsse von bis zu 50 Prozent der Kosten und beruht auf Freiwilligkeit. Heißt: Einen Teil der Kosten müssen die Kommunen selbst tragen.

Außerdem gibt es keine Pflicht zur verstärkten Filterung von Keimen. "Die Förderrichtlinie ist eine sehr allgemein gehaltene Richtlinie", kritisiert Exner. Landesweite Monitorings, Grenzwerte und Vorgaben des Gesetzgebers, um Kliniken und kritische Klärwerke zu erfassen, damit die Verbreitung der Antibiotikaresistenzen großflächig und gezielt eingedämmt wird, fehlen weiterhin. "Diese müssten auch als Kriterien für die technische Aufrüstung hinzugezogen werden."

Gefährliche Klinikkeime belasten die Umwelt

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Sauberes Wasser zu höheren Gebühren

Auf Nachfrage des WDR-Magazins Westpol rechnet das Klärwerk Bonn mit Mehrkosten von zehn Euro pro Bürger im Monat, wenn die Anlage so ausgestattet würde, dass sie Antibiotikarückstände und Keime herausfiltern kann. Höhere Abwassergebühren für mehr Sicherheit: Die WHO schätzt Antibiotikaresistenzen als "globale Bedrohung" sowohl für die öffentliche Gesundheit als auch die Wirtschaft ein. Laut EU-Gesundheitsbehörde ECDC starben 2013 noch 25.000 Menschen in Europa durch multiresistente Keime, mittlerweile sind es über 35.000 pro Jahr.

Über das Thema berichten wir am Sonntag, 17.12.2023, in Westpol im WDR Fernsehen.

Hygiene – Der Kampf gegen Keime

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