Machtmissbrauch an Hochschulen: Die alltägliche Schikane
Stand: 23.04.2023, 18:47 Uhr
Belästigung, Demütigung, Mobbing - Kritiker sagen, der Hochschulbetrieb sei dafür besonders anfällig. NRW-Wissenschaftsministerin Brandes fordert jetzt strukturelle Veränderungen.
Von Daniela Becker und Mathea Schülke
Nina, eine junge Geisteswissenschaftlerin, hat an einer Hochschule in NRW gearbeitet. Sie heißt eigentlich anders, möchte nicht erkannt werden. Sie ist eine der wenigen aus dem Hochschulbetrieb, die es wagen, dem WDR-Magazin „Westpol“ offen von Schikanen an ihrem alten Arbeitsplatz zu berichten.
Von ihrer Professorin, sagt Nina, sei sie über einen längeren Zeitpunkt gedemütigt, überlastet und unfair behandelt worden. Ihre Forschung sei absichtlich in eine falsche Richtung gelenkt worden. Die Lorbeeren für wissenschaftliche Arbeiten, die sie erledigt habe, habe dann aber ihre Professorin eingeheimst.
Aus Sorge um Vertragsverlängerung werde "geschluckt und gebuckelt"
So sollte sie beispielsweise einen Forschungsantrag für ein bestimmtes Projekt schreiben. "Den Antrag habe ich dann auch geschrieben", erzählt sie, "es ging um interne Forschungsgelder an der Uni - und sie hat den dann in ihrem Namen eingereicht."
Nina versucht mit ihrer Professorin zu reden. Doch die habe sich unberührt gezeigt. So erduldet die junge Wissenschaftlerin den Machtmissbrauch lange, denn sie fürchtet um ihre wissenschaftliche Karriere: "Da ich in diesem Abhängigkeitsverhältnis bin von ihr, musste ich mich dem Druck ergeben." Aus Angst, dass ihr befristeter Vertrag nicht verlängert wird, habe sie "eher geschluckt und gebuckelt."
100 Professorinnen und Professoren unterschreiben offenen Brief
Nina ist kein Einzelfall. Bei einer Umfrage aus dem Jahr 2020 unter 1.339 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Psychologie haben 61 Prozent Machtmissbrauch im näheren Umfeld beobachtet, 46 Prozent waren selbst von Schikanen und Fehlverhalten betroffen.
Prof. Christine Gundermann, Universität Köln
Der Wissenschaftsbetrieb ist aus Sicht von Betroffenen besonders anfällig für Machtmissbrauch: Verbeamtete Professorinnen und Professoren mit Verträgen auf Lebenszeit stehen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit befristeten Verträgen gegenüber. Dadurch entstehe ein "sehr starkes Abhängigkeitsverhältnis", kritisiert die Historikerin Prof. Christine Gundermann von der Universität Köln.
Auch sie hat einen Offenen Brief unterschrieben, mit dem sich 100 Professorinnen und Professoren Anfang April erstmals an die Politik gewandt haben. Darin beklagen sie selbstkritisch, dass die Strukturen im Wissenschaftsbetrieb geradezu "eine Einladung zum Machtmissbrauch" seien.
Kritik: Die Machtfülle der Professoren sei zu groß
Auch Daniel Leising von der TU Dresden hat den Brief unterzeichnet. Der Psychologie-Professor engagiert sich im "Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft". Er hält die eigene Machtfülle für zu groß: "Ich darf völlig frei darüber bestimmen, was meine Lehrinhalte sind. Ich muss mich um Lehrevaluation nicht groß kümmern, die gibt es zwar, aber wenn ich die ignoriere, passiert mir auch nichts Schlimmes. Ich darf Leute einstellen, ich darf Vertragsverlängerungen gewähren oder verweigern."
In den vergangenen Monaten waren mehrere Fälle an Hochschulen in NRW öffentlich geworden, in denen Betroffene Machtmissbrauch anprangern. Einer Professorin der Universität Köln etwa wird vorgeworfen, eine Mitarbeiterin beleidigt und ausgebeutet zu haben. Sie wehrt sich vor Gericht gegen die Vorwürfe.
Ein Professor der Hochschule Gelsenkirchen soll Studenten bedrängt haben, sie auch in seine Wohnung und sein Bett eingeladen haben. Der Anwalt des Beschuldigten bestreitet die Vorwürfe ganz grundsätzlich. Niemals sei das Verhalten des Professors sexuell motiviert gewesen, sondern ausschließlich "studienbezogen und freundschaftlich".
Ministerin Brandes: Deutsches Wissenschaftssystem ändern
Daniel Leising von der TU Dresden fordert geeignete Maßnahmen gegen die verschiedenen Formen des Machtmissbrauchs. Zuallererst müsse die "Reduzierung des Machtgefälles zwischen Profs und Angestellten" sein. Dieser Meinung ist auch NRW-Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU), die jetzt im Interview mit Westpol auf die jüngsten Fälle von Machtmissbrauch reagiert hat.
Ina Brandes (CDU), NRW-Wissenschaftsministerin
Brandes regt an, dass "beispielsweise derjenige, der die Promotionsschrift betreut und derjenige, der sie begutachtet, immer zwei verschiedene Personen sein müssen". Es müsse einen "fairen, offenen und transparenten Prozess" geben: "In diese Richtung sollte das gesamte deutsche Wissenschaftssystem verändert werden." Opfern von Machtmissbrauch müsse auch schneller und besser geholfen werden.
Ombudsgremien haben keine echte Handhabe
Aktuell fühlen sich Betroffene oft allein gelassen. Das hat auch Nina erlebt, die sich an den Personalrat ihrer Hochschule gewandt hat. Der sei zwar "sehr, sehr offen und sehr verständnisvoll" gewesen, habe aber auch gesagt, dass ihm "die Hände gebunden" seien.
Psychologie-Professor Malte Elson sitzt selbst in einem Ombudsgremium der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, das Opfern von Machtmissbrauch helfen will. Doch selbst er sieht den Handlungsspielraum solcher Stellen als "sehr eingeschränkt". Deshalb sei es kein Wunder, dass nur etwa zehn Prozent aller Betroffenen überhaupt über den Machtmissbrauch berichten. Ihre Angst, die eigene Karriere zu zerstören, sei real.
Die Geisteswissenschaftlerin Nina hat den Machtmissbrauch ihrer Professorin nicht mehr ausgehalten. Er habe sie krank gemacht - sie hatte Schlafstörungen und musste dauernd weinen. Inzwischen hat sie ihre Stelle gekündigt und ist nun arbeitslos.