Kiesgruben-Unglück: Geologischer Dienst hatte Bedenken

Stand: 06.05.2022, 19:27 Uhr

Fehlender Hochwasserschutz führte zur Katastrophe am Tagebau Erftstadt-Blessem. Nun zeigt sich: Der Geologische Dienst NRW hatte frühzeitig Bedenken gegenüber der zuständigen Bezirksregierung geäußert. Heute sagte Wirtschaftsminister Pinkwart im Untersuchungssausschuss aus.

Von Selina MarxSelina MarxTobias ZacherTobias ZacherTorsten ReschkeTorsten Reschke

Auch gut zehn Monate nach der Katastrophe an der Kiesgrube in Erftstadt-Blessem wird noch über den fehlenden Hochwasserschutz am Tagebau gestritten. Der WDR hatte im Februar aufgedeckt, dass Gutachten belegen, dass kein vorgeschriebener Hochwasserschutz an der Südseite der Kiesgrube vorhanden war. Derzeit laufen dazu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln wegen des fahrlässigen Herbeiführens einer Überschwemmung durch Unterlassen und Verstoß gegen das Bergbaugesetz.

Weitere Unterlagen, die dem WDR jetzt vorliegen, belegen zusätzlich, dass der Geologische Dienst NRW (GD NRW) der Bezirksregierung Arnsberg als zuständige Bergbaubehörde gegenüber bereits 2011 und 2012 "erhebliche Bedenken" gegen den damaligen Hauptbetriebsplan geäußert hatte.

Laut Wirtschaftsministerium hat die Bergbehörde diesen Bedenken "Rechnung getragen, in dem sie die Zulassung des 4. Hauptbetriebsplansnur für den Teil 1 erteilt hat, der noch keine endgültige Anlage von Endböschungen vorsieht".

Offiziell war lange alles in Ordnung

Nach Recherchen des WDR hatte die Bezirksregierung Arnsberg gegenüber dem Betreiber tatsächlich fehlende Nachweise über die Standsicherheit der Randböschungen moniert. Allerdings entzog sie dem Tagebau erst im April 2021 die Genehmigung für den Quarzkies- und Quarzsandtagebau.

Auffällig außerdem: Laut den Prüfberichten, die der zuständigen Bezirksregierung Arnsberg seit 2015 vom Betreiber vorgelegt worden waren und die der WDR einsehen konnte, war offiziell immer alles in Ordnung. Und auch die Bezirksregierung selbst hatte bei insgesamt zehn Vor-Ort-Terminen bis ins Frühjahr 2021 nichts zu beanstanden.

Wie das zusammenpasst und ob ausreichende Maßnahmen zur Absicherung der Böschungen und des Hochwasserschutzwalls in diesem Zusammenhang ergriffen wurden, ermittelt aktuell noch die Staatsanwaltschaft Köln. Letzteres wird von den beiden unabhängigen Gutachten, die im Auftrag der Bezirksregierung Arnsberg und der Stadt Erftstadt angefertigt wurden, bezweifelt.

Bedenken bei ansteigendem Grundwasser

Der Geologische Dienst NRW hatte die Bezirksregierung Arnsberg außerdem zu Beginn des Jahres 2021 daraufhin gewiesen, dass die Rand- und Endböschungen einem Grundwasseranstieg nach Beendigung des Abbaubetriebs nicht standhalten würden. So heißt es in einem Schreiben von Februar 2021:

"Von Seiten des GD NRW bestehen starke Bedenken gegen die Standsicherheit des (...) planfestgestellen Aufbaus des Böschungssystems. Die Standsicherheit ist durch keins der bisher eingereichten Gutachten nachgewiesen worden. Alle Gutachten sind hinsichtlich des Baugrundaufbaus (...) lücken- bzw. fehlerhaft." Stellungnahme Geologischer Dienst NRW

Das ist relevant falls die Kiesgrube in Zukunft zu einem See umfunktioniert werden sollte. Die Bezirksregierung Arnsberg teilte dem WDR hierzu mit: "Die den Antragsunterlagen beigefügten Standsicherheitsberechnungen haben die Nachweise erbracht, dass die bestehenden Böschungen standsicher sind. Stichprobenartige Nachberechnungen der Gutachter der Stadt Erftstadt und der Bezirksregierung Arnsberg haben dies 2021 bestätigt."

Minister im U-Ausschuss zur Hochwasser-Katastrophe

Das Landeswirtschaftsministerium teilte dem WDR mit, der Schriftverkehr zwischen Geologischem Dienst und Bezirksregierung vom Frühjahr 2021 sei dem Ministerium bislang nicht bekannt gewesen. Das sagte Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP), auch am Freitag vor dem Untersuchungsausschuss des NRW-Landtags zur Flutkatastrophe aus. Er ist als Leiter der Obersten Bergbehörde für die Sicherheit von Tagebauen zuständig. Aber, so Pinkwart, er sei von der Staatsanwaltschaft gebeten worden, die eigene Aufklärung bis zum Abschluss der Ermittlungen auszusetzen. Die Ermittler gehen dem Verdacht nach, dass der Betrieb der Kiesgrube trotz gravierender Mängel beim Hochwasserschutz genehmigt worden war.

Pinkwart schließt andere Ursachen für das Absacken nicht aus

Pinkwart gab zu bedenken, dass auch noch geklärt werden müsse, ob die Bedenken tatsächlich der später eingestürzten Südseite des Tagebaus gegolten hätten. Er schließe Versäumnisse der Behörden nicht aus, diese seien seinen Fachleuten zufolge aber auch noch nicht erwiesen, sagte Pinkwart. Der betreffende Unternehmer sei verpflichtet gewesen, die Hochwasserschutzanlagen durch fachkundige Personen regelmäßig überprüfen zu lassen. Darüber sei Buch geführt worden und diesen Unterlagen zufolge habe es keine Beanstandungen gegeben. Auch die Ursache für den Einsturz der Kiesgrube sei seines Wissens nach noch unklar. Dieser könne auch durch das Versagen des vorgelagerten Hochwasserschutzes der Erft verursacht worden sein.

Die Flutkatastrophe Mitte Juli 2021

In Erftstadt-Blessem war im Zuge der Flutkatastrophe Erdreich in die Kiesgrube abgesackt, mehrere Häuser stürzten ein. Unwetter mit ungewöhnlich starken Regenfällen hatten Mitte Juli in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen eine Hochwasser-Katastrophe ausgelöst. Ganze Landstriche wurden von den Wassermassen verwüstet. In NRW starben 49 Menschen, die Schäden wurden bei ersten Schätzungen auf etwa 13 Milliarden Euro beziffert.

In einer früheren Version des Artikels hatte der WDR nicht deutlich gemacht, dass sich die Aussagen des Geologischen Dienstes auf den Anstieg des Grundwasserspiegels beziehen.

Über dieses Thema berichtet der WDR in den Radionachrichten, im WDR-Fernsehen bei WDR Aktuell am 06. Mai 2022 und im WDR-5-Westblick ab 17.04 Uhr.

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