In NRW sind mehr als 28.000 Gebäude von Hochwasser bedroht
Stand: 28.02.2024, 17:30 Uhr
Die Versicherungswirtschaft drängt die Politik zu handeln. Denn allein in NRW sind zehntausende Gebäude gefährdet. Der GDV spricht von "Katastrophen auf Wiedervorlage".
Von Sabine Tenta
Der Starkregen Mitte Juli 2021 kostete allein in NRW 49 Menschen das Leben, in ganz Deutschland starben 188 Menschen. Gebäude, Schienen, Straßen wurden zerstört. Die Versicherungswirtschaft verzeichnete einen Schaden in Höhe von 8,2 Milliarden Euro in Deutschland. Und das Land NRW bewilligte 3,8 Milliarden Euro Hochwasserhilfe (Stand Dezember 2023).
Das zeigt das Schadenspotenzial, das in den am Dienstag veröffentlichten Zahlen des Gesamtverbands der Versicherer (GDV) steckt. Demnach befinden sich in NRW 28.052 Gebäude in gefährdeten Hochwasserlagen.
Forderungskatalog des GDV
Der GDV kritisiert: "Wir planen, bauen und sanieren in Deutschland unseren Gebäudebestand auf Basis von Normen, denen der Schutz vor Klimafolgen weitgehend fremd ist." Der Dachverband spricht sogar von "Katastrophen auf Wiedervorlage".
Mit einem Forderungskatalog will der GDV Abhilfe schaffen. Zu seinen vorgeschlagenen Maßnahmen gehören Gesetzesänderungen, die Einführung eines Naturgefahrenausweises für Gebäude, sowie die Aufnahme des Schutzzieles "Klimafolgenanpassung/Extremwetterschutz" in die Musterbauordnungen der Länder.
Bauministerin Scharrenbach: Bauverbot greift
Auf die GDV-Zahlen für NRW angesprochen, sagte Bauministerin Scharrenbach (CDU) dem WDR, es seien "relativ wenig" Fälle, gemessen an der Gesamtzahl der Gebäude in NRW. Das stimmt, laut GDV sind "nur" 0.64 Prozent der Gebäude in NRW betroffen, der Verband spricht auch von "gefährdeten Adressen".
Sie verweist außerdem auf das Bauverbot in Überschwemmungsgebieten, das durch ein Bundesgesetz geregelt wird. Konkret geht es um Paragraf 78 des Wasserhaushaltsgesetzes. "Wir haben das Bauverbot und nach meiner Meinung gehen die Städte und Kommunen damit auch vernünftig um", so die Ministerin.
Ein Bauverbot mit neun Ausnahmen
Das von Ina Scharrenbach angesprochene Bauverbot sieht jedoch viele Ausnahmen vor, die einen weiten Ermessensspielraum für die Kommunen eröffnet, die einen Bau genehmigen. So gibt es beispielsweise die Möglichkeit, den Verlust von "Hochwasserrückhalteraum" an anderer Stelle auszugleichen. Was dem Gebäude im Hochwassergebiet nicht hilft.
Interessant ist hier auch die juristische Unterscheidung zwischen Überschwemmungsgebieten und Hochwassergefährdungsflächen. Für erstere regelt das Wasserhaushaltsrecht, wann und wo gebaut werden darf. Für letztere gibt der Gesetzgeber nur Hinweise. Es gibt keinerlei Sanktionen, wenn diese nicht befolgt werden.
Diese Kreise sind in NRW besonders gefährdet
Die Gefahrenlage ist für NRW betrachtet regional sehr unterschiedlich verteilt. Zu den besonders gefährdeten Gebieten gehören der Kreis Euskirchen und der Rhein-Sieg-Kreis - beide stark betroffen von der Flut 2021 - sowie die Kreise Höxter und Minden-Lübbecke.
Hochwasserexperte: Zu viele Ausnahmen beim Bauverbot
Holger Schüttrumpf bei Versuchen zu Hochwasser
Holger Schüttrumpf ist Hochwasserexperte und Inhaber des Lehrstuhls für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen. Seiner Auffassung nach gibt es zu viele Ausnahmen beim Bauverbot. Er plädiert im Gespräch mit dem WDR dafür, "so weit wie möglich nicht in Überschwemmungsgebieten zu bauen, insbesondere keine Wohnbebauung". Und auf gar keinen Fall kritische Infrastruktur wie Polizei, Feuerwehr, THW oder Krankenhäuser. Denn die seien im Katastrophenfall besonders gefragt.
Wie sinnvoll ist ein Neubau nach der Katastrophe?
Aber Holger Schüttrumpf sieht durchaus auch sinnvolle Ausnahmen. Er nennt als Beispiel einen Betroffenen im Ahrtal, der gerne sein Restaurant an alter Stelle wiederaufbauen möchte. "Was nützt ihm das Restaurant auf dem Berg, wenn die Wanderer und Radfahrer unten im Tal sind?", fragt Schüttrumpf.
Kein Verständnis hat der Hochwasserexperte jedoch dafür, wenn Kommunen Baugebiete in Gefährdungslagen ausweisen. Auch wenn die Gründe dafür, wie die Kosten und der Siedlungsdruck, nachvollziehbar seien.
Tausende Neubauten in Überschwemmungsgebieten
Der Gesamtverband der Versicherer nennt auch Zahlen zu den Neubauten in Überschwemmungsgebieten. Demnach ist ihr Anteil an allen neuen Wohngebäuden seit dem Jahr 2000 sogar leicht gestiegen. Pro Jahr seien seitdem deutschlandweit zwischen 1.000 und 2.400 neue Wohngebäude in Risikogebieten entstanden.
Problem "Katastrophendemenz"
Verschließen wir zu sehr die Augen vor den Hochwassergefahren? Holger Schüttrumpf spricht von der "Katastrophendemenz": "Es ist ein großes Problem, dass wir die Hochwasser-Ereignisse schnell wieder vergessen. Das passiert in der Bevölkerung und die Politik vergisst noch schneller."
Drei zentrale Maßnahmen für den Hochwasserschutz
Ähnlich wie der GDV sieht auch Holger Schüttrumpf von der RWTH Aachen dringenden Handlungsbedarf bei der Klimafolgenanpassung. Er sagt, wirksame Prävention umfasse drei Ebenen: Es brauche Rückhalteflächen für das Wasser, Raum für die Flüsse, sich auszudehnen und einen Objektschutz für die Gebäude. Und der könne bereits mit minimalen Maßnahmen sehr viel bewirken. Zum Beispiel, wenn Lichtschächte oder Garageneinfahrten vor eindringendem Wasser geschützt werden.