Langsam spitzt sich die Lage zu: Gas aus Russland wird knapp. Der russische Energieriese Gazprom hat seine Gaslieferungen nach Deutschland durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 in den vergangenen Tagen deutlich reduziert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nannte es eine "bittere Wahrheit", dass Deutschland noch immer auf Gas aus Russland angewiesen ist. Zur Not müsse man gesetzliche Maßnahmen zum Energiesparen ergreifen, kündigte er an.
Energie sparen, den Gashahn abdrehen, explodierende Preise - für Stefan Hoffmann in Wachtendonk am Niederrhein wäre das eine Katastrophe: Er züchtet Auberginen, und sein Gemüse braucht zwischen 25 und 28 Grad, um zu gedeihen. An kühleren Tagen muss er also heizen - überwiegend mit Gas. Sollte das knapp werden und die Gaspreise weiter steigen, wird es eng für den Familienbetrieb in der vierten Generation: Nicht nur Frau und Kinder, auch die Eltern leben von den Einnahmen.
Von Kohle zum Gas: Verhängnisvolle Entscheidung
Zwischen seinen Auberginen: Gemüsezüchter Stefan Hoffmann
Neben Auberginen wachsen in den Gewächshäusern des Hoffmannschen Betriebs Erdbeeren, Heidelbeeren, Tomaten und Paprika. Alles mit Gas beheizt. Erst vor ein paar Jahren hat die Familie von Kohle auf Gas umgestellt. "Das schien uns damals das Sinnvollste", erinnert sich Hoffmann. Gas war eine unkomplizierte und wartungsarme Heiztechnik. Nie hätte er gedacht, dass ihm diese Entscheidung mal zum Verhängnis werden könnte. "Es geht wirklich an die Existenzgrenze", sagt er heute.
Mehr als 1.100 Gemüsezüchter mit Gewächshäusern gibt es in NRW, die meisten Betriebe stehen am Niederrhein. Der Energieverbrauch ist enorm: Eine Milliarde Kilowattstunden verbrauchen die Glashäuser pro Jahr, das entspricht einer Terrawattstunde. Zum Vergleich: Ganz Deutschland verbraucht 600 Terrawattstunden pro Jahr.
"Keine Perspektive"
Was, wenn der russische Präsident seine Drohung wahr macht, und den Gashahn vollständig abdreht? "Dann könnten wir unsere Kultur nicht mehr heizen, die Pflanzen würden vermutlich spätestens Anfang des Herbstes, wenn die Nächte kühler werden, eingehen", stellt Stefan Hoffmann nüchtern fest. Im Moment sehe er keine wirkliche Perspektive - zumindest "nicht von heute auf morgen": Kohle komme aus Nachhaltigkeitsgründen nicht mehr in Frage, eine Umstellung auf Holzpellets sei so schnell nicht finanzierbar.
Typischer Familienbetrieb am Niederrhein
Da kann die Familie Bons in Straelen froh sein, dass sie 2012 auf Holzpellets umgestellt hat. In ihrem Betrieb züchten sie Zierpflanzen - vier Millionen Pflanzen und Blumen wachsen dort jedes Jahr unter Glas. Doch auch Nils Bons steht jetzt vor einem Problem: Die Preise für diese alternative Heizquelle steigen gerade "ins Unendliche", stellt er fest. Seit November liege die Preissteigerung bei etwa 150 bis 200 Euro pro Tonne. "Das ist für unsere Kalkulation fürs nächste Jahr ganz schwierig."
Und jetzt auch noch die Inflation. Bei Luxusgütern wie Zierpflanzen sparen die Menschen am ehesten, weiß Nils Bons. Auch das zerrt an seinen Nerven.
Zierpflanzenzuchten unter Glas wie die der Bons gibt es in NRW mindestens 700. In der Branche herrsche derzeit große Verunsicherung, sagt Eva Kähler-Theuerkauf, Präsidentin des Gartenbauverbands NRW. Mit dem Unsicherheitsfaktor Wetter müssten Gärtner ohnehin immer kalkulieren. "Aber das, was jetzt im Augenblick passiert, übersteigt das Ganze noch mal um ein Vielfaches", sagt sie, "wir haben kein Ausstiegsszenario". Als Betroffene könnten sie nichts unternehmen als den Markt zu beobachten. "Und da sind Sie sehr nervös."
Erdwärme als Rettung?
Forscht an Geothermie: Tomatenzüchter Draek
Auch Matthias Draek, einer der größten Tomaten-Anbauer am Niederrhein, ist ratlos. Seine riesigen Gewächshäuser heizt er im Moment mit Abwärme aus einer Biogasanlage und einem Blockheizkraftwerk. Nur im Winter komme zusätzlich Erdgas und Kohle zum Einsatz. Aber auch beim Biomethan, sagt Draek, steht das Risiko im Raum, dass die Lieferung im Winter eingestellt wird. "Dann bleiben unsere Gewächshäuser kalt, und dann können wir diesen Betrieb dichtmachen." Denn auf den bereits geleisteten Vorkosten - für Jungpflanzen beispielsweise - bliebe er dann sitzen.
Dabei arbeitet Draek bereits an einem Ausweg aus der Abhängigkeit vom Gas und für mehr Nachhaltigkeit: Heizen mit Erdwärme - mit Geothermie. Gemeinsam mit der Stadt Straelen hat er eine Machbarkeitsstudie gestartet, das Ergebnis soll im März 2023 vorliegen. Im besten Fall würde Straelen dann anfangen, Geothermie zu nutzen: Aus bis zu 3.000 Metern Tiefe würde 70 Grad heißes Wasser gefördert, das zum Heizen auch der Gartenbaubetriebe genutzt werden könnte.
Die Idee sei vor zwei Jahren entstanden, erzählt Draek, doch nun überholen ihn die Ereignisse: "Vor zwei Jahren hat noch keiner über Corona oder Krieg nachgedacht - und jetzt sehen wir erst, wie wichtig das ist, Alternativen in Deutschland zu finden, weil wir uns ja komplett abhängig gemacht haben." Wirklich umsetzbar sei die neue Technik - inklusive Genehmigungsverfahren - aber wahrscheinlich erst in fünf Jahren. Für die Zwischenzeit, sagt Draek, fehle ihm im Moment "die passende Idee".
Über dieses Thema berichtet der WDR am Sonntag, 19.06.2022, in der Fernsehsendung Westpol um 19.30 Uhr.