Ganztagsplätze hängen noch vom Wohnort ab

Stand: 19.08.2022, 17:35 Uhr

Ab 2026 gibt es einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule. Dafür fehlen allerdings noch viele Plätze. Der WDR hat bei 36 großen und kleinen Kommunen nachgefragt.

Von Martina Koch

Kommunalpolitikern wie Thomas Kufen (CDU) bereitet die Erfüllung des Rechtsanspruchs richtig Kopfzerbrechen. Kufen ist Essener Oberbürgermeister und auch Vorsitzender des Städtetages NRW.

OGS an Grundschulen

Thomas Kufen (CDU)

"Wir haben weder die Räumlichkeiten noch aktuell das Personal, weil wir jetzt schon im Kita-Bereich Mangelverwaltung haben und händeringend Erzieherinnen und Erzieher suchen", so Kufen. Mehr als hunderttausend zusätzliche Plätze in den Offenen Ganztagsgrundschulen (OGS) könnten notwendig werden, glaubt Kufen. Allerdings ist der Bedarf landesweit sehr unterschiedlich.

Hohe Betreuungsquote und trotzdem Wartelisten

Siegburg hat aktuell für 86 Prozent der Grundschulkinder einen OGS-Platz. Es gibt keine Warteliste, teilt die Stadt dem WDR mit. Köln ist auch schon sehr weit, aber die Betreuungsquote von 83 Prozent reicht trotzdem nicht. 596 Kinder sind ohne OGS-Platz.

Kommunen mit Ganztagsbetreuungsquote über 70%
KommuneOGS Quote
Siegburg86%
Köln83%
Düsseldorf82%
Aachen81%
Minden 79%
Bonn77%
Oberhausen74%
Münster73%
Herford73%

Um den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule ab 2026 zu erfüllen, müssten für mindestens zwei Drittel der Grundschüler Plätze vorhanden sein. Davon gehen verschiedene Studien aus. Doch pauschal stimmt diese Annahme nicht, wie das Beispiel Münster zeigt: Bei einer Betreuungsquote von 73 Prozent haben an drei Schulen insgesamt 50 Kinder keinen Platz gefunden. Wären die Eltern dieser Kinder allerdings bereit, eine andere Schule zu wählen, hätten die Kinder aber durchaus einen Platz, schreibt die Stadt Münster.

Viele Kommunen unter dem Landesschnitt

Landesweit besucht nur knapp jedes zweite Grundschulkind die OGS. Viele Kommunen liegen sogar noch weit darunter. In Borken reicht eine Betreuungsquote von 34 Prozent, weil die Eltern dort vor allem die kürzere Übermittagsbetreuung wählen.

Kommunen mit Ganztagsbetreuungsquote unter 50%
KommuneOGS Quote
Wuppertal40%
Gummersbach39%
Lüdenscheid39%
Warendorf38%
Soest 37%
Coesfeld35%
Borken34%
Meschede30%
Olpe22%

Meschede hat nur für 30 Prozent der Kinder einen OGS-Platz - und auch keine Warteliste. Dort werden alle Kinder aufgenommen und die Gruppen an manchen Schulen deshalb überbelegt. Wie weit man gehe, könne die Stadt allerdings nicht sagen.

Quantität und Qualität muss stimmen

OGS an Grundschulen

Stefanie Coßmann, SCI:Moers gGmbH

Über die Gestaltung des Ganztags entscheidet jede Kommune für sich - landesweite Vorgaben fehlen weitgehend. Und das betrifft nicht nur die Gruppengröße, sondern auch die Qualität der Betreuung und des Personals. In vielen Kommunen organisieren freie Träger die Ganztagsbetreuung an den Grundschulen.

Stefanie Coßmann kümmert sich in Moers um einige Schulen. Sie ist Fachbereichsleiterin bei der SCI:Moers gGmbH, einem gemeinnützigen Träger, der auch zum Paritätischen Wohlfahrtsverband gehört. Schon seit Jahren fordern die Träger vom Land  verbindliche Qualitätsvorgaben, auch was die Ausbildung der Fachkräfte angeht. Stephanie Coßmann kritisiert: "Reden tun wir seit Jahren. Jetzt muss da mehr passieren."

Das sehen auch die Kommunen so. NRW- Schulministerin Dorothee Feller (CDU) braucht dafür aber noch Zeit. Sie will sich zunächst von einem Expertenrat beraten lassen und setzt auf Geld vom Bund.

Eltern brauchen Betreuungssicherheit

Wer in Moers einen Ganztagsplatz erhält, hat ihn nur für ein Jahr sicher, danach müssen sich die Eltern immer wieder neu bewerben. Lisa Akay stresst das sehr. In diesem Jahr wurde die Mutter erst mitten in den Sommerferien darüber informiert, dass sie einen Ganztagsplatz für ihr Kind bekommt. "Ich würde mir wünschen, dass die Eltern da sicher sein könnten." Sie hatte Glück.

Anders Stephanie Kauth aus Jüchen. Die Lehrerin hat drei Kinder und ist noch in Elternzeit. Zum zweiten Halbjahr will sie wieder an ihrer Schule unterrichten, doch daraus wird nichts. Für ihren Sohn Caius, der gerade eingeschult wurde, hat sie keinen OGS-Platz bekommen. "Ich bin ehrlich gesagt entsetzt, weil ich damit in keiner Weise gerechnet habe", ärgert sich die Mutter. Als Lehrerin werde sie doch gebraucht.

Wenn ihr jüngster Sohn eingeschult wird, dann gilt der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. Aber wirklich vorstellen kann sich Stephanie Kauth nicht, dass bis dahin genügend Räume, genügend Personal und Plätze vorhanden sein werden.