Digitalatlas Armut: So wirkt sie sich in NRW aus
Stand: 27.11.2022, 06:00 Uhr
Die Armut in Deutschland wächst - und besonders stark auch in NRW. Das wirkt sich drastisch auf das Leben aus. Der Digitalatlas der WDR-Redaktion Landespolitik zeigt: Ärmere wählen weniger, können sich Pflege nicht mehr leisten und bekommen seltener einen Kita-oder Ganztagsplatz.
16,6 Prozent: So viele Menschen leben in Deutschland laut dem Paritätischen Armutsbericht 2022 in Armut. Das sind umgerechnet 13,8 Millionen Menschen. Vor allem in NRW nimmt die Armut stark zu: Fast jeder Fünfte (18,7%) ist hier von Armut betroffen, in kaum einem anderen Bundesland ist die Armut zuletzt so stark angewachsen wie in NRW.
NRW liegt bei der Armutsquote insgesamt - ebenso wie Thüringen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Bremen - über dem Bundesschnitt. Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg und Schleswig-Holstein liegen darunter. Grundsätzlich ist der Trend aber klar: Die Armut steigt, ganz besonders bei Alleinerziehenden, Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch bei Kindern und Jugendlichen. Der Paritätische Armutsbericht konstatiert: "In der längerfristigen Betrachtung spiegelt sich ein nunmehr 15 Jahre anhaltender, fast ungebrochener Trend zunehmender Armut in Deutschland." Von 11,5 auf 13,8 Millionen Menschen in Armut sei der Wert gewachsen.
Armut definieren wir im Digitalatlas - wie auch der Paritätische Armutsbericht - über die EU-Konvention. Demnach gilt eine Person als einkommensarm, "die mit ihrem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt". Armut wird also über das Einkommen finanziert - Geld gilt davon ausgehend als Schlüsselressource zur Teilhabe am Leben.
Wie sieht es vor Ort aus?
Wir wollen zeigen, was Armut für die Menschen in NRW bedeutet. Deshalb haben wir Daten vom Statistischen Landesamt (IT NRW), aus Regionaldatenbanken und Kommunen ausgewertet. Mit dem Digitalatlas können wir aufzeigen, wie sich Armut in Bereichen wie Bildung und politischer Teilhabe auswirkt. Deutlich wird, dass immer mehr Kinder und Jugendliche betroffen sind - die unter den Folgen teilweise ihr ganzes Leben leiden.
Der Digitalatlas soll aber auch zum Mitmachen anregen: Wie sieht es bei mir Zuhause vor Ort aus? Wie hoch ist die Betreuungsquote in meiner Nachbargemeinde? Wie hoch war die Wahlbeteiligung in meinem Kreis? Sie können sich durchklicken und überprüfen, wie gut sie NRW kennen. Im Digitalatlas findet sich auch etwas Angeberwissen für das nächste Quiz - Sie erfahren etwa, wo in NRW die meisten Einkommensmillionäre leben.
Ruhrgebiet als armutspolitisches Problemgebiet Nr. 1
Weniger überraschend, aber doch dramatisch sind die Daten im Digitalatlas zum Ruhrgebiet. Dieses zeigt sich als armutspolitisches Problemgebiet Nr. 1. 21,1 Prozent aller Menschen leben hier in Armut, also mehr als eine Million Menschen. Hier sind die Betreuungsquoten für Kleinkinder besonders gering, dafür gibt es viele Schulabgänger ohne Abschluss, wie der Digitalatlas zeigt. Auch die Ausgaben der Kreise und Städte für Sozialabgaben steigen in ganz NRW und im Ruhrgebiet ganz besonders - das liegt vor allem daran, dass sich immer mehr ältere Menschen Pflege nicht mehr leisten können und Sozialhilfen beantragen müssen.
Arme Kommunen geraten in einen Teufelskreis
Und auch die ohnehin schon geringe Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl 2022 war in Kommunen mit hoher Arbeitslosigkeit und vielen Schulden noch niedriger als in anderen Teilen NRWs. Für die ohnehin schon klammen Kommunen ist es oft ein Teufelskreis: Ihnen fehlen die Mittel, um in Bildung und Infrastruktur investieren zu können und aus der Armut herauszukommen. Dabei grenzt Armut aus. Wer zu wenig hat, nimmt weniger am Leben teil, kann sich schlechter verwirklichen und leidet unter faktischer Ausgrenzung.
Wie stark der Ukraine-Krieg und die Inflation die Armut noch weiter vorantreiben, zeigen etwa die steigenden Lebensmittelpreise. Viele Daten wurden für das Jahr 2022 aber noch nicht abschließend erhoben oder veröffentlicht. Die Hans-Böckler-Stiftung befürchtet, dass die Inflation "die Gräben weiter vertiefen" werde.
Themen im Digitalatlas Armut:
Methodisches Vorgehen
Wir orientieren uns - wie auch der Paritätische - an der Armutsdefinition nach EU-Konvention. Demnach gilt jede Person als einkommensarm, "die mit ihrem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens liegt". Dabei handelt es sich um das gesamte Nettoeinkommen des Haushaltes inklusive Wohngeld, Kindergeld, Kinderzuschlag, anderer Transferleistungen oder sonstiger Zuwendungen. Grundlage der Erhebungen ist der Mikrozensus, eine Art kleine Volkszählung, in der jährlich knapp ein Prozent aller Deutschen befragt wird.
Über das Thema berichtet der WDR am Sonntag (27.11.2022) u.a. in der Aktuellen Stunde und in Westpol.