Es ist ein Kampf David gegen Goliath: ein Betroffener von sexualisierter Gewalt gegen die mächtige katholische Kirche.
Der David, das ist in diesem Fall Georg Menne. Er wurde als Kind von einem Priester missbraucht. Über mindestens zehn Jahre, mehr als 300 Mal. Der Priester gestand, ist aber verstorben, die Taten verjährt. Georg Menne klagt trotzdem auf Schmerzensgeld, vor einem Zivilgericht, gegen die Kirche. Er will alles in allem 800.000 Euro. Am Dienstag beginnt der Prozess vor dem Kölner Landgericht.
Missbrauch hat Spuren hinterlassen
Die Taten zeichnen sein Leben. Der Missbrauch hat Spuren hinterlassen - körperlich und seelisch. Menne hat einen Behindertengrad von 50 Prozent.
Er ist Pastoralreferent und arbeitet als Krankenhaus-Seelsorger im Erzbistum Köln. Es habe Jahre gedauert, sagt er, bis er sich überhaupt getraut habe, gegen die "heilige Kirche" und einen Kardinal vorzugehen. Noch immer schläft er schlecht, der David in dieser Geschichte.
Dass auch Goliath zittert, belegen interne Papiere, die dem WDR vorliegen. Kurz nachdem Ende August die Klage beim Erzbistum Köln eingeht, schreibt Kardinal Woelki an die Bischofskonferenz. Er bittet, "zeitnah ein Votum aus allen (Erz-) Diözesen einzuholen, wie das Erzbistum Köln vorliegend reagieren sollte".
Das Dilemma der Bischöfe
Die Bischöfe stehen vor einem Dilemma, wie in einem Sitzungsprotokoll einiger Bistumsjustiziare von Ende September 2022 deutlich wird. Entweder sie verzichten im Sinne des Betroffenen darauf, geltend zu machen, dass der Fall verjährt ist – und riskieren, dass die Kirche durch weitere Klagen dieser Art viel Geld zahlen muss. Oder sie pochen auf Verjährung – und machen sich moralisch angreifbar.
Die Meinungen dazu gehen auseinander, das zeigt das Protokoll. Die Kölner Justiziarin scheint sich der Schuld der Kirche durchaus bewusst zu sein. Sie wird mit dem Satz zitiert, "dass es sich um einen relativ 'typischen' Fall mit Versetzung des Täters nach Bekanntwerden der Vorwürfe handele". Auch das Image der Kirche haben sie dabei im Kopf.
Der Vorsitzende der Rechtskommission sagt, es sei "auch die mediale Wirkung der Entscheidung (…) zu berücksichtigen". Sein Kollege aus Essen ergänzt, dass es notwendig sei "insbesondere die Betroffenenperspektive zu berücksichtigen".
Dem gegenüber steht etwa die Meinung des Justiziars aus dem Bistum Limburg. Ein Betroffener begebe sich in solchen Fällen wissentlich vor ein staatliches Gericht. Dann müsse er sich auch den Regeln unterwerfen. Sein Votum: nicht auf die Verjährung zu verzichten.
Kein klares Votum an Woelki
Ein eindeutiges Votum hat der Kölner Kardinal am Ende nicht bekommen. Vielleicht erklärt das die Windungen, die sein Bistum im Vorfeld des Prozesses dreht. Bei Georg Menne ging Ende November ein Schreiben der Anwälte des Erzbistums ein. Man werde sich auf die Verjährung berufen. Ein Tiefschlag. Seinem Arbeitgeber, der Kirche, so war sein Eindruck, scheint Geld wichtiger als Moral.
Auf WDR-Nachfrage sagt das Erzbistum dann aber, das Schreiben sei nur aus "Gründen der Fristwahrung" verschickt worden. Man habe noch nicht abschließend entschieden, sondern prüfe noch weiter "mit größter Sorgfalt".
Verzicht auf Verjährung
Die Prüfung ist erst am Montagabend zu einem Ende gekommen. Und zwar im Sinne von Georg Menne. Erzbischof Woelki teilte mit, dass das Erzbistum die Verjährung der Taten nicht geltend machen werde. Man verzichte darauf, Einrede zu erheben, wie es im Juristendeutsch heißt. Ein staatliches Gericht solle über die Höhe der Schmerzensgeldforderung befinden.
"In diesem besonderem Fall hatte ich den Wunsch, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten", wird Woelki in einer Pressemeldung zitiert. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass es keine Grundsatzentscheidung sei. Die Entscheidung beziehe sich "auf den aktuell verhandelten Fall".
Für Georg Menne ist es ein erster Sieg - im Kampf David gegen Goliath.
Über dieses Thema berichtet unter anderem am Montag, 05.12., die Aktuelle Stunde im WDR Fernsehen um 18:45 Uhr.