Menschen stehen vor brennenden Barrikaden auf der Straße

Dutzende Tote bei Massenprotesten im Iran

Stand: 24.09.2022, 12:46 Uhr

Der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini treibt die Menschen im Iran zu Tausenden auf die Straße. Das Regime geht mit Gewalt dagegen vor - und schaltet das Internet ab.

Es sind die größten Proteste, die der Iran seit Jahren erlebt hat: Nach Angaben des iranischen Staatsfernsehens sind seit Beginn der Unruhen am vergangenen Wochenende 26 Menschen getötet worden, die Organisation Iran Human Rights (IHR) sprach von mindestens 31 toten Zivilisten. In mindestens 13 Städten habe es Demonstrationen gegeben, Hunderttausende sollen auf die Straßen gegangen sein.

Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur "Fars" wurden dabei Parolen wie "Tod dem Diktator" skandiert. Die Sicherheitskräfte des Staates gingen laut Amnesty International mit Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfen gegen die Demonstranten vor.

Großer Unmut in der Bevölkerung entlädt sich

"Es gibt diesen unglaublich großen Unmut in der Bevölkerung", erklärt Katajun Amirpur, Professorin für Islamwissenschaften, gegenüber dem WDR. "Es gibt Probleme, die von den Menschen angesprochen werden möchten, aber sie haben keine Möglichkeit - nicht durch die Presse und nicht durch das Parlament. Deshalb entlädt sich das immer wieder an solchen Ereignissen."

Es habe immer wieder Proteste im Iran gegeben - entzündet an verschiedenen Sachen. "Seit 2009 hat das eigentlich nie aufgehört." Aber dieser Fall spreche jetzt sogar Leute an, die die staatlichen Verordnungen in diesem Land akzeptieren.

Ungeklärter Tod einer 22-Jährigen als Auslöser

Auslöser der Unruhen war die Festnahme der 22-jährigen Mahsa Amini. Sie war vergangenen Freitag durch die iranische "Sittenpolizei" festgenommen worden - angeblich weil ihr Kopftuch nicht richtig saß. Auf der Polizeiwache fiel sie laut Polizei wegen Herzversagens zunächst in Ohnmacht und dann ins Koma. Sie starb in einem Krankenhaus.

Die Klinik, in der die 22-Jährige behandelt wurde, hatte nach Aminis Tod allerdings in einem inzwischen gelöschten Post bei Instagram geschrieben, dass sie bereits bei der Aufnahme hirntot gewesen sei. Das entspricht einer im Internet kursierenden Version der Geschehnisse. Laut dieser soll Amini bei der Festnahme so schwer verprügelt worden sein, dass sie daran starb. Die iranische Polizei dementiert diese Darstellung.

Iranische Regierung schaltet Internet ab

Als Reaktion auf die Proteste hat die iranische Regierung nahezu alle sozialen Netzwerke gesperrt und das mobile Internet abgeschaltet. Einige reichweitenstarke iranische Nachrichtenportale, die über die Proteste berichtet hatten, waren auch im Ausland nicht mehr erreichbar. Auf den Webseiten der staatlichen Medien wurden die Demonstrationen wenig oder gar nicht thematisiert.

Beobachter, wie der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani, fürchten, dass es nun zu noch mehr Gewalt kommen könnte. Für ihn wird mit den Protesten das ganze System in Frage gestellt: "Das ist eine Absage an die herrschende Elite", sagte er der ARD. Die Regierung hat abgekündigt, hart gegen regierungskritische Demonstranten vorzugehen. Die iranische Armee werde dem Feind die Stirn bieten, um für Sicherheit im Land zu sorgen, teilte ein Sprecher am Freitag mit.

Regierungsanhänger gehen ebenfalls auf die Straße

Im Anschluss an das Freitagsgebet sind nach Angaben der Staatsmedien Tausende Menschen auf die Straßen gegangen, um sich mit dem Staatskurs zu solidarisieren. Bei den von der Regierung organisierten Demonstrationen marschierten Anhänger durch mehrere Städte, wie auf Bildern des Staatsfernsehens zu sehen war. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Irna riefen die Demonstranten dabei Slogans wie "Tod Amerika" oder "Tod Israel" sowie "Unser Volk ist wach und hasst Unruhestifter".

Hackergruppe Anonymous unterstützt Proteste

Die Hacker-Organisation Anonymous hat sich auf die Seite der Protestierenden im Iran gestellt und versucht den Zugang zum Internet wieder herzustellen. Über Twitter informiert sie mit dem Hashtag #opiran, wo im Iran es WLAN gibt und auf welchem Weg Nachrichten geschickt werden können. Zudem soll versucht werden, Regierungsseiten zu hacken und zu blockieren.

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Ex-Bundesligaspieler Karimi bekundet Solidarität

Viele Iraner im Exil solidarisieren sich mit der Protestbewegung. Auch im Iran wurden Stimmen laut, die sich ungewöhnlich scharf gegen den Kurs der Regierung stemmten. Der Fußballstar Ali Karimi etwa stellte sich auf die Seite der Demonstranten. Der Ex-Profi erhielt dafür Zuspruch vieler Iranerinnen und Iraner. "Hab keine Angst vor starken Frauen. Vielleicht kommt der Tag, an dem sie deine einzige Armee sind", schrieb der Ex-Profi, der in der Vergangenheit auch für den FC Bayern und Schalke 04 spielte, auf Twitter.

Das Kopftuch als Symbol der Unterdrückung

Bei den Prostesten nahmen Frauen aus Solidarität mit Amini ihre Kopftücher ab. Auf Videos in den sozialen Netzwerken sind Frauen zu sehen, die sich das Kopftuch abstreifen, es durch die Luft wirbeln und sich mitunter demonstrativ die Haare abschneiden.

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"Die überwiegende Mehrheit der Iraner heute will die Islamische Republik abschaffen", sagte der iranischstämmige FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Dass aber das Regime einen drohenden Machtverlust hinnehmen werde, halte er für ausgeschlossen. "Die Revolutionswächter werden nicht einfach von der Bühne verschwinden", sagte er. "Die werden erheblichen Widerstand leisten, und die scheuen auch nicht davor zurück, ein Blutbad in der eigenen Bevölkerung anzurichten."

Iranische Regierung unter Druck

Eine Straße ist voll mit Menschen, Autos und Feuer

Proteste im Iran nehmen zu

Die Polizei und auch die Regierung von Präsident Ebrahim Raisi sind seit dem Tod Aminis und der landesweiten Kritik in Erklärungsnot. Raisi kündigte an, den Fall gründlich zu überprüfen. Ob diese Überprüfung letztlich ein Gericht beschäftigt, bleibt abzuwarten. Die Proteste selbst bezeichnete Raisi am Rande der UN-Generalversammlung in New York als "inakzeptabel" und als "Akte des Chaos".

Raisi sorgte im Rahmen der UN-Vollversammlung für Irritationen, als er nicht zu einem verabredeten Interview mit der CNN-Journalistin Christiane Amanpour erschienen war. Laut Amanpour soll er über einen Sprecher verlangt haben, dass sie beim Gespräch ein Kopftuch trage. Amanpour lehnte ab, das Interview wurde darauf abgesagt.

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Deutschland will den Fall Mahsa Amini vor den UN-Menschenrechtsrat bringen. Das kündigte Außenministerin Annalena Baerbock in New York an. Wenn Frauen nicht sicher seien, dann sei keine Gesellschaft auf dieser Welt sicher, sagte die Grünen-Politikerin. Die Bundesregierung hat am Freitag den Iran aufgefordert, die Umstände von Aminis Tod schnell aufzuklären. Die Bundesregierung sei "gleichermaßen bestürzt darüber, dass bei den landesweiten Protesten wegen des Todes von Frau Amini offenbar zahlreiche weitere Menschen ums Leben gekommen sind", sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.

Kleidungsvorschriften werden immer öfter umgangen

Seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 gelten im Iran strenge Kleidungsvorschriften. Insbesondere in den Metropolen und reicheren Vierteln sehen viele Frauen die Regeln inzwischen eher locker - zum Ärger erzkonservativer Politiker. Die Regierung Raisis und Hardliner im Parlament versuchen seit Monaten, die islamischen Gesetze strenger umzusetzen. Die Sittenpolizei setzt die Kleidungsvorschriften teils auch mit Gewalt durch.

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