KOLUMNE

Zukunftsangst: Die Sorgen beim Gedanken an morgen

Stand: 17.06.2022, 07:00 Uhr

"Wir leben in so unsicheren Zeiten!" Das ist keine bloße Phrase, findet Caro Wißing. An die eigene gute Zukunft zu glauben, fällt da manchmal schwer.

Von Caro Wißing

Bis ich 26 war, lag der Weg immer klar vor mir. Ich wusste, wo ich hin wollte und wie ich dorthin kommen würde. Der nächste Schritt in meinem Kopf schon geplant. Aber dann näherte sich das Ende meines Studiums. Die nächste Windung meines Weges lag plötzlich im dichten Nebel. Werde ich einen Job im Journalismus finden? Was, wenn ich in eine Stadt ziehen muss, weit weg von meiner Familie, meinen Freunden? Werde ich genug verdienen, um auf eigenen Füßen zu stehen? An dieses Gefühl erinnere ich mich noch sehr gut: Es war Angst - Zukunftsangst.

"Ich habe den Eindruck, dass die Zukunftsangst bei vielen in meinem Umfeld, in meiner Generation, nicht mehr nur ab und zu hochkommt, sondern zum ständigen Begleiter geworden ist." Caro Wißing

Die meisten Menschen haben Zukunftsangst genau in solchen Übergangsphasen ihres Lebens schon gespürt - am Ende der Schulzeit, der Ausbildung, wenn sie eine Familie gründen oder beim Übergang in die Rente. Es stellen sich plötzlich existenzielle Fragen. Fragen nach dem Wohnort, dem finanziellen Auskommen, nach Absicherung und nach den Möglichkeiten, die eigenen Vorstellungen von einem guten Leben zu verwirklichen. Das ist normal. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Zukunftsangst bei vielen in meinem Umfeld, in meiner Generation, nicht mehr nur ab und zu hochkommt, sondern zum ständigen Begleiter geworden ist.

Dinge, die für die Generation meiner Eltern noch planbar waren, auf die man hinarbeiten konnte, sind heute ungewiss. Am stärksten fällt mir das auf beim Thema Wohneigentum. Für meine Eltern und die meiner Freunde gab es nie einen Zweifel daran, dass sie irgendwann im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung leben würden. Als meine Eltern in den 80ern ein Haus bauten, war mein Vater gerade arbeitssuchend. Aber da war irgendwie diese Gewissheit, so erzählen sie mir, dass das schon klappen würde, dass sich der Kredit schon abbezahlen lässt.

"Dinge, die für die Generation meiner Eltern noch planbar waren, auf die man hinarbeiten konnte, sind heute ungewiss." Caro Wißing

Die eigenen vier Wände: Ein ferner Traum

Die wenigsten aus meinem Freundkreis wohnen jetzt mit Mitte 30 in den eigenen vier Wänden - erst recht nicht die in den Großstädten. Ein befreundetes Ehepaar, das gerade das erste Kind erwartet, würde sich gerne ein kleines Haus irgendwo in der Nähe von Köln kaufen. Gar nicht mal in der Stadt, nicht einmal im Speckgürtel. Und obwohl sie beide ein gutes Gehalt bekommen, ist das wahrscheinlich nicht drin. Nicht mit ihrem Ersparten und auch nicht mit einem Kredit. Denn die Zinsen ziehen gerade gewaltig an.

Und während für unsere Eltern das Eigenheim auch Teil der Altersvorsorge ist, sind wir also doppelt gekniffen. Auf meinem Rentenbescheid steht zwar eine errechnete Summe, aber ob ich die wirklich erreichen werde? Voraussetzung ist, dass alles so weiter geht, dass der Weg schnurgerade verläuft, keine Windungen, keine Abzweigungen nimmt. Aber ehrlich gesagt: Ich weiß nicht, ob mein Berufsweg so verlaufen wird. Ich weiß nicht einmal, ob es meinen Beruf in 20 Jahren so noch geben wird. Digitalisierung, Künstliche Intelligenz - die Wetten stehen eher dagegen. Ich habe zwar die Zuversicht, dass es für mich immer etwas zu tun geben wird. Aber was das sein wird, wie das bezahlt wird? Keine Ahnung.

Also muss ich noch anders vorsorgen. Sparen hätte man früher gesagt. Wie verrückt es mir mittlerweile vorkommt, dass ich als Kind mit der Spardose zur Bank gegangen bin, um am Weltspartag voller Stolz den Münzbetrag auf mein Sparbuch einzuzahlen. Und wie von Zauberhand ist der Betrag von Jahr zu Jahr dank Zinsen gewachsen. Wer heute spart, verliert Geld. Anlegen ist anscheinend das neue Sparen und Begriffe wie ETFs und Kryptowährungen wabern umher. Dass es schwer ist, sich da einen Überblick zu verschaffen und die Anlageformen zu verstehen, schafft auch nicht gerade Vertrauen und Sicherheit.

Geldsorgen verschlimmern die Zukunftsangst

Viele Menschen sind außerdem nicht mehr in der Lage überhaupt etwas Geld zur Seite zu legen. Und was sind die Rücklagen bald eigentlich noch wert? Wir haben eine Inflation von fast acht Prozent gerade. Tanken ist unfassbar teuer geworden. Wenn im Supermarkt der Fünfzig-Euro-Schein in die Kasse wandert, ist der Einkaufswagen gefühlt nur noch halb so voll. Es ist nicht die Frage, ob der nächste Urlaub finanzierbar ist, sondern die Stromnachzahlung, die neue Waschmaschine, wenn die alte kaputt gegangen ist - grundlegende, elementare Dinge.  

Zukunftsängste und Geldsorgen - da gibt es einen Zusammenhang. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat gezeigt, dass fast 69 Prozent aller 15- bis 30-Jährigen Zukunftsängste haben. Insbesondere aber spüren diejenigen eine psychische Belastung beim Gedanken an das Morgen, bei denen es familiäre oder eigene finanzielle Schwierigkeiten gibt. Und trotzdem verschwinden die Ängste nicht, wenn der Kontostand stimmt. Denn es gibt noch eine zweite Ebene: eine Weltangst.

Corona, Klimawandel, Krieg machen Weltangst

Die letzten paar Jahre haben in der Hinsicht so viel verändert. Während mir früher Krisen oft weit weg erschienen, rücken sie gerade verdammt nah an uns heran, werden plötzlich in ihren Auswirkungen ganz deutlich spürbar. 2019 hat Greta Thunberg beim Weltwirtschafsforum in Davos gesagt: "Ich will, dass ihr in Panik geratet, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre."

"I want you to panic!" Klimaaktivistin Greta Thunberg beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2019

Bei ihr hat die Vorstellung an das gereicht, was der Klimawandel mit der Welt und unseren Leben machen kann. Für die Menschen in der Eifel und im Ahrtal ist das keine Vorstellung mehr. Sie haben erlebt, und wir haben gesehen, was Wetterextreme vor unserer Haustür anrichten.

Ganz aktuell ist da natürlich auch der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine. Mitten in Europa. Ich habe zwar nicht akut die Sorge, dass Russland noch viel weiter gehen wird, den Vormarsch ins Baltikum wagt, in Polen einmarschiert und plötzlich auch uns in Deutschland direkt mit Waffen bedroht. Aber auch angesichts der Tatsache, dass Russland Atommacht ist, kann ich zumindest nachvollziehen, dass Menschen hier Angst bekommen.

Der Krieg lässt die Preise steigen, schafft Unsicherheit, ob wir im kommenden Winter genug Gas zum Heizen und für die Industrie haben. Mir aber bereitet viel mehr Sorge, was der Krieg für unsere Weltordnung bedeutet. Das klingt vielleicht total abstrakt. Aber ist da nicht die Gefahr, dass sich andere Autokratien an Russland ein Beispiel nehmen? Dass sie Länder überfallen und versuchen, ihnen Werte wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus auszutreiben? Haben wir dann bald einen Kampf der Autokratien versus offenen Gesellschaften? Wenn ich den Gedanken weiterspinne, macht mir das Angst.

Rückzug ins Schneckenhaus vs. Aktionismus im Kleinen

Und dann ist da noch Corona. Die Pandemie hat mit mir und meinem Sicherheitsgefühl in der Welt wohl am meisten gemacht. Wer hätte vor 2020 daran geglaubt, dass ein Virus in der heutigen Zeit noch die Welt aus den Angeln heben würde? Ich jedenfalls nicht. Zu sehen, dass weder erfahrenste Menschen aus der Wissenschaft noch Politikerinnen und Politiker Lösungen finden konnten, hat in mir ein Gefühl von Ohnmacht ausgelöst. Wir haben vielleicht gelernt die Pandemie zu managen, aber sie nicht beendet. Was heißt das für die nächste Krise?

Corona, Klimawandel, Katastrophen - sie kommen on-top auf die individuellen Zukunftsängste um Wohnen, Job und Altersvorsorge und verstärken diese sogar noch. Das belegen Untersuchungen wie die Zukunfts-Studie des Rheingold-Instituts. Aber wie jetzt weiter? Einige - das zeigt die Studie - igeln sich ein, blenden Zukunftsfragen aus. Andere wiederum spüren den Willen anzupacken und etwas zu verändern. Wenn auch erstmal nur im Kleinen, in der eigenen Lebenswelt. Zukunftsmacht statt Zukunftsangst.

Haben Sie auch schon Zukunftsangst gespürt? Was macht Ihnen Sorge und wie gehen Sie damit um? Berichten Sie uns davon - egal, ob es die Angst vor der nächsten Gasrechnung oder vor großen Krisen wie Krieg oder Klimawandel ist.

Lassen Sie uns diskutieren. Schreiben Sie uns - in den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.

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Kommentare zum Thema

  • Ü60 22.06.2022, 15:46 Uhr

    Das sind ja merkwürdige Ideen die da Herr Scherwitz von sich gegeben hat. Sicher es ist eine schlechte Zeit im Moment,aber es gibt einige Dinge die ich so nicht nachvollziehen kann, und ehrlich gesagt auch nicht in Betracht ziehen werde.Ich werde in meiner neuen schönen Wohnung die ich allein bewohne keinem Flüchtling ein Zimmer geben, ich würde auch keinem Verwandten von mir aufnehmen. Das kommt nicht in Frage. ich habe viele Jahre beengt gelebt und über viele Jahre meine Angehörigen bis zu ihrem Tode gepflegt, habe mir alles verkniffen, habe keine Freizeit gehabt, nun will ich diese Freizeit genießen in meinen letzten Jahren. Also werde ich mich weder bei Parteien noch in freiwilligen Diensten engagieren. Ebenso wenig werde von meiner kleinen Rente etwas abgeben, und ich werde auch nicht aus Auto verzichten, egal wie teuer der Sprit ist, jetzt wo ich Zeit habe und mir einige Ausflugsziele anschauen kann, die ich immer schon mal sehen wollte.Im Moment bin ich mir selbst der nächste.

  • Anonym 21.06.2022, 09:29 Uhr

    Wenn die äußeren Ressourcen unverfügbarer werden, werden die inneren Ressourcen ein Thema und damit das sog. (psycho)soziale Kapital unserer Gesellschaft. Hirnforscher wie Gerald Hüther, Neurowissenschaftler wie Joachim Bauer und Historiker wie Rudger Bregmann "Im Grunde gut" weisen auf unsere Potentiale hin, die größer sind als wir bisher geglaubt haben. Das bietet uns die Chance, an der Entfaltung von Fantasie und Kreativität, Kooperationsfähigkeit und der Courage, etwas zu wagen, mitzuwirken, indem wir uns gegenseitig zuhören (ohne sofort, "ja,aber" zu sagen), einzuladen, zu ermutigen und zu inspirieren. Gelingen kann das da, wo wir uns halbwegs auskennen, wo wir gemeinsam herausfinden können, was sinnvoll zu tun ist und gemeinsam etwas bewirken können: hier vor Ort, "wo nicht egal ist, dass es dich gibt" (H.Welzer über Heimat). Diese Erfahrungen von Verständnis, Sinn und Selbstwirksamkeit brauchen wir für unsere Gesundheit, so die sog. Salutogenese. Und wir blühen auf dabei!

  • Bernd 19.06.2022, 07:27 Uhr

    Der Artikel malt die Welt schwärzer als sie ist. Natürlich gibt es Probleme. Die meisten davon werden allerdings von der Politik gemacht. Das Menschen die Sparen enteignet werden ist die Schuld der Sozialisten, die mit aller Gewalt an den Lohn anderer Menschen ran wollen. Der Lockdown, die viele Existenzen zerstört hat wäre auch nicht nötig, wenn es Politiker gäbe, die klar definieren würden, daß Geld Verdienen wichtiger für unser Leben ist als Freunde treffen. Und für den Klimawandel gäbe es auch Lösungen, wenn SPD und Grüne den Klimawandel nicht für Verteilungskämpfe missbrauchen würden. Das Leben ist teuer. Ein Grund mehr sich vom sozial, sozial, sozial zu verabschieden und den Menschen wieder mehr abzuverlangen. Manche müssen mehr Arbeiten und manche weniger um ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten. Gerechtigkeit bedeutet eben auch Ungleichheit. Die Umfairteilung ist die größte Ungerechtigkeit.