Kein "Beziehungsdrama" - Femizide sind gezielte Tötungen von Frauen | MEINUNG

Stand: 12.04.2024, 06:00 Uhr

Sie müssen sterben, weil sie Frauen sind. Mehr als hundert Frauen werden jedes Jahr in Deutschland von ihren (Ex-)Partnern getötet. Doch noch immer tun wir so, als sei das kein strukturelles Problem.

Von Caro Wißing

Fast jeden Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner zu töten versucht. Bei etwa jedem dritten Mal gelingt das auch. Ich bin mir sehr sicher, dass jede und jeder genau diese Fakten schon einmal - nein, sogar mehrmals gelesen hat. Seit einigen Jahren versuchen Initiativen und Aktivisten, die sich gegen Gewalt an Frauen einsetzen, mit diesen Zahlen aufzurütteln. Aber was hat sich geändert, frag ich mich?

Gerade erst ist die neueste polizeiliche Kriminalstatistik des Bundes für das Jahr 2023 erschienen. Ich habe sie mir genau angeguckt. Da steht: In 146 Fällen sind Frauen getötet worden, in 185 Fällen versucht worden zu töten und die Partner oder Ex-Partner sind nach Abschluss der Ermittlungen die Tatverdächtigen. Das ist der höchste Stand seit 2017.

Kaum Aufmerksamkeit für Femizide

Und die Tatsache, dass ich diese Zahlen aus Excel-Tabellen heraussuchen muss, dass sie nicht auftauchen in den Zusammenfassungen über die wichtigsten Erkenntnisse aus der Kriminalstatistik, dass sowohl die Macher als auch die Verantwortlichen in der Politik oder die Medien sie kein bisschen herausstellen, zeigt: Femizide empören nicht. Jedenfalls nicht genug. Nicht in Deutschland und kaum anderswo. In Österreich gab es zuletzt eine Protestwelle - aber auch nur, weil mehrere Femizide innerhalb weniger Tage passierten und öffentlich wurden.

Stellen wir uns doch mal vor, die Schlagzeile würde anders lauten: Jeden dritten Tag in Deutschland wird eine queere Person getötet. Oder eine Person mit Migrationshintergrund. Oder ein Mensch mit Behinderung. Der Aufschrei wäre sicherlich riesig - zurecht! Es würde benannt werden, dass es explizit um Gewalt gegen Personen aufgrund eines bestimmten Merkmals geht. Bei Femiziden ist das nicht anders. Trotzdem wird noch allzu oft von einem "Familiendrama", einer "Beziehungstragödie" gesprochen und geschrieben. Das verkennt den Zusammenhang und bagatellisiert. Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind. Und das von Männern.

Wir sprechen hier von einem extremen Verhalten und Denken gegenüber Frauen, das unterfüttert wird von einer weiterhin größtenteils patriarchal geprägten Gesellschaft. Der Mann ist dominierend, hat die Macht, das Sagen in Staat, Wirtschaft, Familie, Partnerschaft. Die Frau steht nicht auf gleicher Ebene mit dem Mann. Das mag auf Papier, in Gesetzestexten, in manchen Kontexten so sein, aber nicht allgemeingültig in der Realität. In manchen männlichen Köpfen ist es deswegen folgerichtig, Frauen zu erniedrigen, zu beleidigen, zu sexualisieren, zu schlagen und - wenn sich so die Vormachtstellung des Mannes gegenüber der Frau nicht durchsetzen lässt - auch zu töten. Das ist das Muster.

Täter aus allen gesellschaftlichen Gruppen

Und bevor irgendjemand auf die Idee kommt, dieses Muster sei möglicherweise "importiert" oder komme nur in bestimmten Milieus vor. Alle Forschenden und Praktiker in dem Bereich wiederholen immer wieder: Die Täter kommen aus allen Schichten und gesellschaftlichen Gruppen. Kultur und Religion spielen genauso wenig eine Rolle wie die Tatsache, ob der Täter arbeitslos ist oder ein angesehener Professor.

So und jetzt? Es gibt zwei Wege, das Problem anzugehen. Man kann Lösungen vom Opfer oder vom Täter her denken. Ersteres heißt: Frauen müssen besser geschützt, aufgefangen, empowered werden. Die Tötung steht meist am Ende einer langen Gewaltbeziehung. Der müssten sich Frauen früh genug entziehen können. Frauenhäuser sind das, was in dem Zusammenhang oft als erstes genannt wird. Aus verschiedenen Gründen ist das aber keine einfache Lösung.

Für viele betroffene Frauen ist es wahnsinnig schwierig, sich allein aus einer gewalttätigen Partnerschaft zu lösen. Vor einiger Zeit habe ich für einen Fernsehbeitrag eine Frau getroffen, die es geschafft hat. Doch über zehn Jahre lang war sie in der Beziehung mit dem Täter. "Er hat zu mir gesagt: Du bist eine Frau, du hast eh nichts zu sagen." Von ihren Freundinnen hat er sie isoliert. Sie durfte sich nicht mehr mit ihnen treffen. Und so konnte er sie manipulieren.

Er fand immer wieder banale "Gründe", sie zu schlagen und sagte ihr, er würde sie umbringen, falls sie anderen davon erzählt. Die Schuld suchte sie bei sich. "Ich war nicht so, wie er es gern hätte", sagte sie mir. Die Kontrolle durch den Partner lähmte sie. Niemand sonst war mehr da, dem sie sich anvertrauen konnte. Als sie endlich den Entschluss fassen konnte, zu gehen, kam die nächste Tortur. Einen Platz in einem Frauenhaus zu finden, ist schwierig.

Frauen müssen Frauenhausplätze selbst bezahlen

680 Schutzplätze gibt es in NRW. Doch die sind fast immer belegt, vor allem in Großstädten. Die Frauen müssen dann oft lange Wege auf sich nehmen, um irgendwo einen Frauenhausplatz zu finden. Und was viele nicht wissen: Die Frauen müssen für ihren Aufenthalt dort zahlen. Fast alle Frauenhäuser in NRW stellen Tagessätze in Rechnung. Das sind zwischen 20 und 100 Euro. Es braucht da dringend eine gesicherte Finanzierung durch Kommunen, Land und Bund und mehr Plätze.

Und was ist mit den Tätern? Abgesehen von Geld- oder Freiheitsstrafen - wenn es denn überhaupt zu einem Gerichtsverfahren kommt - wie kann man an die Einstellungen der Täter ran? Wer in einer Partnerschaft schon einmal Gewalt ausgeübt hat, kann an speziellen Programmen teilnehmen. In der Regel werden die Täter vom Gericht dorthin geschickt, in seltenen Fällen kommen sie freiwillig. Sie arbeiten mit Psychologen und Sozialarbeitern ihr Gewaltverhalten auf. Der Erfolg der Maßnahme aber wird nicht kontrolliert. Es gibt keine Garantie, dass der Täter danach nicht mehr zuschlägt, manipuliert oder irgendwann sogar tötet.

Eigentlich müssen Maßnahmen doch viel größer, gesamtgesellschaftlicher gedacht werden und viel früher ansetzen, finde ich. Nicht erst dann, wenn ein Täter schon sein Frauenbild gefestigt hat oder die Frau Gewalt erfahren musste.

Femizide verhindern: Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Spanien geht einen sehr konsequenten Weg, wie ich gesehen habe, und setzt Standards. Dort steht Prävention und Aufklärungsarbeit bereits auf dem Lehrplan an Schulen - schon bei den Jüngsten. Das Ministerium für Gleichstellung hat viele Milliarden Euro investiert, denn das sei schließlich eine "Staatsaufgabe mit hoher Priorität". Das Land gibt staatliche Hilfe für Opfer, man hat mehr Frauenhäuser errichtet, und spezielle Staatsanwaltschaften und Gerichte eingesetzt, die Anzeigen zu Gewalt an Frauen bearbeiten. Und tatsächlich sinken die Femizidzahlen in Spanien seit Jahren. Ehrlicherweise würde ich mir so eine Aufmerksamkeit und Konsequenz beim Thema Femizid auch in Deutschland wünschen.  

Hinweis für Betroffene

Hilfe und Unterstützung finden Frauen in Not jederzeit beim Hilfetelefon unter 116 016 und im Chat unter www.hilfetelefon.de.

Kommentare zum Thema

  • Anonym 19.04.2024, 03:41 Uhr

    Der 24jährige Mann aus Somalia, der seine Schwester an Ihrem Geburtstag in Bremen mit dem Küchenmesser erstach schrieb doch laut aktuellen Berichten tatsächlich selbst auf, dass er ohne Zukunft leben könne, aber nicht ohne Ehre. Das macht doch nur noch fassungslos. Ehrverletzung ganz ohne Partnerschaft. Wie soll Frau sich da schützen, wenn der eigene Bruder im Verborgenen denkt, dass der Lebensstil nicht den traditionellen Werten entspricht?

  • 18.04.2024, 07:54 Uhr

    Name und Kommentar wg. Netiquette-Verstoßes gesperrt. (die Redaktion)

  • M. Lechmann 17.04.2024, 12:30 Uhr

    Wie oft sind dabei Kinder betroffen? Quasi als Kollateralschaden? Gibts da ne kollektive Verantwortung?