Mehr Work-Life-Balance für alle, bitte! | MEINUNG

Stand: 27.03.2024, 06:00 Uhr

Immer mehr Menschen wünschen sich mehr Zeit für Familie, Eltern, Ehrenamt und Hobbys. Politik und Arbeitgeber müssen zeigen, wie das gelingen kann, meint Liz Shoo.

Von Liz Shoo

Im Jahr 1930 prognostizierte der renommierte britische Ökonom John Maynard Keynes, dass wir im Jahr 2030 nur noch 15 Stunden pro Woche arbeiten müssten, um gut leben zu können. Vor allem, weil es Technologien geben würde, die uns einen großen Teil der Arbeit abnehmen. Ich muss zugeben, dass ich mir manchmal so eine Welt wünsche. Nicht, weil ich faul rumliegen will. Sondern, weil ich aktuell als berufstätige Mutter immer das Gefühl habe, nie genug Zeit zu haben.

Heute Nachmittag kann ich nicht an einem Meeting teilnehmen, weil ich die Kinder aus der Kita abholen muss. Morgen kann ich nicht mit den Kindern zum Schwimmen, weil ich im Büro sein werde. Und obwohl ich möchte, traue ich mich nicht, mich als Freiwillige bei uns im Stadtteil zu engagieren. Wann soll ich das denn auch noch erledigen?

Work-Life-Balance - mehr als ein Trend

Immer wieder demonstrieren verschiedene Berufsgruppen für weniger Arbeit | Bildquelle: Fabian Sommer / dpa

Immer mehr Menschen in Deutschland wünschen sich, dass sie weniger arbeiten müssen, trotzdem noch genug verdienen und dadurch Zeit für das Leben außerhalb der Arbeitsstätte haben. Eine Studie der arbeitnehmernahen Hans-Böckler-Stiftung zeigt: Mehr als 80 Prozent der Vollbeschäftigten hätten gerne eine Vier-Tage-Woche. Ich weiß, der Ruf nach mehr Work-Life-Balance wird oft abgetan als elitäre Forderung von denen, die sowieso gut bezahlte Bürojobs haben. Oder von der Generation Z, die angeblich zu faul ist, um alles dem Beruf unterzuordnen. Halt wie Opa damals.

Dieser Ruf kommt aber nicht nur von "Büromenschen" wie mir, sondern zunehmend auch aus anderen Branchen. Bestes Beispiel sind die Lokführer der GDL, die wochenlang dafür gekämpft haben, nur noch 35 Stunden pro Woche arbeiten zu müssen - und das bei vollem Lohnausgleich. Deutsche Unternehmen sind übrigens offen für weniger Work und dafür mehr Life: Aktuell laufen mehrere Pilotprojekte, die eine Vier-Tage-Woche testen. 

"Aber wir müssen doch eigentlich mehr arbeiten. Für unseren Wohlstand, für die Rente", höre ich da Gegner sagen. Selbst der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, hat eine kalte Dusche für Work-Life-Balance-Fans wie mich: Wir bräuchten eine 42-Stunden-Woche in Deutschland, um den demografischen Wandel und den Fachkräftemangel zu kompensieren, sagt er. Ich traue mich gar nicht es auszusprechen, aber vielleicht wären wir bereit, ein bisschen von unserem Wohlstand zu opfern, wenn wir dadurch in vielen anderen Bereichen etwas dazu gewinnen.

Ein Gewinn für die ganze Gesellschaft

Wenn wir mehr Zeit in unser soziales Umfeld investieren könnten, ohne Sorge haben zu müssen, dafür Gehalt oder Karrierechancen zu opfern, hätte das viele Vorteile. Nicht nur für Arbeitnehmer oder nur für Arbeitgeber, sondern für alle, und zwar langfristig. Viele Unternehmen haben das bereits begriffen. Schon seit Jahren schaffen sie ihren Mitarbeitenden ein Arbeitsumfeld, das es ihnen ermöglicht, ihre Arbeit gut zu machen aber auch noch was vom "echten Leben" zu haben. Denn sie wissen: Das macht sie als Arbeitgeber attraktiv und bindet das Personal ans Unternehmen.

Neue Arbeitsmodelle für eine bessere Work-Life-Balance | Bildquelle: WDR

Die Praxis zeigt auch, dass Menschen glücklicher sind, weniger aus Krankheitsgründen fehlen und sogar produktiver arbeiten, wenn sie nicht für die Arbeit allein leben. Als Arbeitnehmerin habe ich wiederum die Gewissheit, dass ich mich nicht komplett für die Arbeit verausgabe und völlig erschöpft oder gar mit Burn-Out zu Hause ankomme. Das wirkt sich ja auch positiv auf meine Familie, Nachbarn und Freunde aus und am nächsten Tag habe ich wieder Bock, bei der Arbeit Vollgas zu geben.

Was paradiesisch klingt, ist bisher eher die Ausnahme und noch längst nicht Standard in allen Unternehmen und Branchen. Denn natürlich stellt sich die Frage: Wer soll das alles finanzieren? Wie soll das funktionieren? Wenn ich eine konkrete, erfolgversprechende Lösung dafür hätte, wäre ich höchstwahrscheinlich nicht Journalistin, sondern bestimmt Ökonomin mit Nobelpreis in der Tasche. Aber ich kann ja Vorschläge machen.

So könnte es gelingen

Erstens sollten wir neue Technologien als Chance für neue Arbeitsmodelle und nicht als Bedrohung sehen. Wenn eine KI mir als Journalistin hilft zu recherchieren, Audios zu verschriftlichen, Videos herzustellen und ich dadurch meine Arbeit in sechs statt acht Stunden erledige, dann habe ich zwei Stunden gewonnen, die ich für das Gemeinwohl investieren könnte. Wenn ich diese Zeit nutze, um Essen bei der Tafel zu verteilen oder Kindern in der öffentlichen Bibliothek Bücher vorzulesen, könnte mir diese Leistung doch auch als Arbeitsleistung anerkannt und angerechnet werden. Klingt utopisch, wird nicht für jede Branche funktionieren, aber man könnte es ja mal ausprobieren.

Zweitens muss die Politik den Fachkräftemangel mit voller Kraft angehen. Wenn es überall genug Personal gäbe, wären Mitarbeiter weniger gestresst und könnten Teilzeit machen - ohne schlechtes Gewissen zu haben, dass die Arbeit liegen bleibt. Übrigens wären reduzierte Arbeitszeiten doch auch ein super Aushängeschild für Deutschland als Arbeitsort! Ich bin mir sicher, dass mehr ausländische Fachkräfte nach Deutschland kommen würden, wenn sie wüssten, dass sie hier von den Arbeitsstunden her ein besseres Angebot bekommen als in anderen Ländern.

Und zuletzt muss es eine bessere Betreuung für Kinder und auch für ältere Menschen geben. Womit wir wieder bei den Fachkräften wären. Wenn junge Eltern wüssten, dass ihre Kinder auch am späten Nachmittag gut betreut werden und die eigenen Eltern pflegemäßig gut versorgt sind, dann wäre es für sie leichter, ihre Tage und Wochen so zu gestalten, dass der Spagat zwischen Arbeit und Aufgaben zu Hause gelingt.

Seitdem ich Kinder habe, versuche ich, mehr Zeit für Soziales einzuplanen. Das klappt nicht immer. Und wenn es klappt, dann auch nur, weil wir uns das als Familie leisten können.

Ich wünsche mir aber, dass es für alle möglich wird, mehr Zeit in alles Wichtige und Schöne zu investieren, was das Leben neben der Arbeit noch zu bieten hat.

Was denken Sie? Wünschen Sie sich auch weniger Arbeit, um mehr Zeit für Familie, Freunde oder Ehrenamt aufbringen zu können? Oder arbeiten Sie vielleicht sogar schon flexibler und weniger und haben dadurch an Lebensqualität gewonnen? Lassen Sie uns darüber diskutieren! In den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.

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Kommentare zum Thema

  • QWERTZDENKER 02.04.2024, 18:57 Uhr

    Hallo Frau Shoo. Die im Artikel humorvoll dargestellte zu erwartende kalte Dusche des Instituts der deutschen Wirtschaft, möge lediglich Ihr Immunsystem stimulieren. Erfrischt und gestärkt möge die Sonne Ihr journalistisches Herz wieder erwärmen.Sie haben den Faktor Arbeit mit Lebensqualität kombiniert und somit in meinem Dafürhalten umfänglicher und größer gedacht. Die 42 Stunden-These ist ja auch die Theorie verschiedener Lobbyverbände, die über das IW vertreten sind u. deren Eigeninteressen durch personelle Mitgliedschaften loyal bedient werden wollen. Sozial abgestimmte Interessenausgleiche zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer finden dort leider nur wenig Heimat. Die Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral von Heinrich Böll könnte dort als Pflichtlektüre den Horizont verhimmeln.

  • Anonym 02.04.2024, 07:14 Uhr

    Die Forderung vonRotgrün nach Work-life-balance ohne work , der Tarifab- schluß der DB mit 35-Stundenwoche bei vollenLohnausgleich, Bürgergeld,Kindergrundsicherung die historisch höchste Überschuldung der Staatskassen sind charakteristisch für eine Nation. die nicht nur heftig im Bildungsnotstand , sondern auch ebenso im Faulenzernotstand steckt, D ist träge,satt geworden ,lebt nur noch auf Pump,ist müde und träge geworden, ist schon lange nicht mehr das Land der Dichter und Denker ,wird künftig auch noch bekifft wahnaft sein. D steht mit dem Bundes-Olaf als Häuptling vorneweg an der Klippe und schaut in den Abgrund und wird untergehen , wie das alte Römische Reich. Die Schurken weltweit kreisen bereits über, besonders von der Ampel doppeltwummstverdummten D.

  • Fuselfräsenpullunder 02.04.2024, 01:06 Uhr

    Ihren Artikel finde ich inspirierend. Die bisherigen Bedingungen in der abhängigen Erwerbsarbeit habenhauptsächlich den Wohlstand derjenigen vermehrt, die heute, die von ihnen geschaffenen Missstände im Personalstand durch gesellschaftlichen Wandel am meisten beklagen. Mehr Lebensglück und menschliches Wohlbefinden könnte Deutschland gut stehen und keine Sorge liebe Wirtschaft- v.g. sind ja auch vernunftgeleitete Konjunkturpakete u. im Wettbewerb wichtige Standortfaktoren.