MEINUNG

Putin blufft nicht!

Stand: 01.10.2022, 07:27 Uhr

Die Angst vor einem Dritten Weltkrieg wächst. Putin gibt dazu allen Anlass. Zur Panik besteht aber kein Grund. Wir können Frieden schaffen - mit mehr deutschen Panzern und Drohnen für die Ukraine.

"Hier Wahnsinn! 3. Weltkrieg möglich!", schreibt mir ein Freund aus Russland. Der mir da schreibt ist ein Russland-Liebhaber, Putin-Kenner und kühler Analytiker. Wir beide beobachten Putin, seit er an die Macht kam. Mein Freund aus Moskau und ich als WDR-Korrespondent aus Washington und Brüssel. Die Angst meines Freundes vor einem dritten Weltkrieg kann ich nachvollziehen. Aber ich teile sie nicht!

Eines hat sich allerdings auch bei mir verändert: Zum ersten Mal seit Beginn des Ukraine-Krieges schließe ich einen atomaren Erstschlag Putins nicht mehr völlig aus. Bisher hielt ich seine nukleare Erpressung für reinen Psycho-Terror.

Atomwaffen sind politische Waffen

Der Angriffskrieger Putin des Februar 2022 hat geradezu inflationär mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht, um den Westen zu verunsichern und zu spalten. Ob es um den Beitritt Finnlands und Schwedens in die Nato ging oder um die Lieferung schwerer westlicher Waffen: Der russische Präsident drohte geradezu routinemäßig mit der Nuklear-Option. Bereits am 24. Februar - dem Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine - drohte Putin, wer sich einmische, müsse "mit nie dagewesenen Konsequenzen" rechnen.

Wie gesagt: Nukleare Erpressung als purer Psycho-Terror. Putin war bisher durchaus klar, dass sie militärisch nutzlos sind und den Selbstmord bedeuten. Vor allem in der Ukraine, deren Armee dezentral kämpft und nicht mit riesigen Panzerverbänden.

Putins Propaganda bekommt Risse

Doch aus dem kühl kalkulierenden Ukraine-Angriffskrieger Putin ist mittlerweile ein zu allem entschlossener Russland-Angreifer geworden. Putin führt mit der Teilmobilisierung aggressiver denn je einen Krieg gegen das eigene Volk. Nicht nur in entlegenen Provinzen wie Dagestan mit ihren ethnischen Minderheiten, sondern auch in der Hauptstadt Moskau müssen sich alle Männer bis 35 registrieren lassen.

Zum ersten Mal schlägt dem russischen Kriegspräsidenten im eigenen Land Protest und Widerstand entgegen. Zum ersten Mal verliert die russische Propagandamaschine an Effizienz. Putins Erzählung "Wir befreien die Ukraine vom Faschismus" gerät ins Wanken.

Zum ersten Mal sind viele russische Eltern nicht mehr bereit hinzunehmen, dass ihr eigener Sohn umgebracht oder zum Mörder gemacht werden soll. Viele russische Männer versuchen über Finnland in den Schengen-Raum zu kommen.

"Die neuen Zweifel sind nicht mehr aus der Welt zu räumen. Und deshalb gefährlich für Putin" twittert ARD-Moskau-Korrespondentin Ina Ruck.

Putin ist militärisch in der Ukraine zunehmend in der Defensive. Und seit der Teilmobilisierung politisch auch im eigenen Land. Doppelt geschwächt ist der Befehlshaber über das größte Nukleararsenal der Welt unberechenbar. Alles ist möglich. Putins Atom-Drohung ("Das ist kein Bluff") wird mit der russischen Vereinnahmung von vier ukrainischen Regionen gefährlicher denn je.

Was passiert, wenn die Ukraine versucht diese Regionen zurück zu erobern und zu befreien? Und zum Beispiel auch der deutsche Bundesnachrichtendienst ihr mit Geheimdienstinformationen dabei hilft?

Hiroshima in der Ukraine?

Aus Putins terroristischer Sicht ist die Rückeroberung ukrainischer Gebiete durch Kiew ein Angriff auf "Russlands Integrität". Zur sogenannten russischen Selbstverteidigung schließt der Kriegsverbrecher den Einsatz von Atomwaffen nicht aus. Dabei geht es nicht um Interkontinentalraketen oder atomar bestückte Mittelstreckenraketen. Für ein Hiroshima in der Ukraine würden Putin sogenannte "taktische Atomwaffen" reichen. Ihr elektromagnetischer Impuls würde die gesamte ukrainische Militär-Kommunikation ausschalten. US-Aufklärungssatelliten wären "blind". Sie könnten keine Zielerfassungsdaten mehr an die ukrainische Armee liefern.

Dass mittlerweile der Bundeskanzler und der US-Präsident sehr eindringlich Putin vor einem atomaren Erstschlag warnen, zeigt, wie außergewöhnlich die Lage ist. Doch Angststarre ist fehl am Platz! Putin ist gefährlich geschwächt. Aber selbst wenn das eigentlich Unvorstellbare geschehen würde, ist damit kein Atomkrieg zwischen Russland und dem Westen programmiert.

Meine Antwort auf Weltkriegsängste

Der ehemalige Kommandeur der US-Landstreitkräfte in Europa Ben Hodges ist sich sicher, dass die USA nach einem Nuklearschlag Putins mit konventionellen Waffen alles tun würden, um den Krieg schnell zugunsten der Ukraine zu entscheiden.

Wohlgemerkt: Nicht mit atomaren, sondern mit konventionellen Waffen. Putin muss in einem solchen Fall angesichts der offenkundigen Schwäche seines Militärs und der massiven konventionell-militärischen Überlegenheit der Amerikaner mit dem endgültigen Scheitern seines Angriffskrieges rechnen. Wir sollten uns also von Putins Atom-Politik nicht panisch machen lassen.

Das Gerede, wir (wer ist eigentlich "wir"?) müssten wegen der Atom-Gefahr möglichst schnell zu Friedensverhandlungen kommen, ist in meinen Augen Unfug. Wer jetzt die Ukraine zu Verhandlungen mit dem Angreifer drängt, der macht sich zum Handlanger des russischen Tyrannen.   Ralph Sina

Eine zerstückelte Ukraine darf nicht am Ende des russischen Angriff-Krieges stehen. Eine zerstückelte Ukraine schwächt Europa, spaltet die EU und stärkt den Atom-Despoten Putin. Der dann "sein Gesicht wahren" und den nächsten Angriff vorbereiten kann.

Ich hoffe, dass die ukrainischen Streitkräfte in diesem Jahr, auch dank deutscher Waffenlieferungen, die russischen Invasions-Truppen auf die Stellungen vom 23. Februar zurückdrängen. Und im kommenden Jahr auf die Krim vorrücken.

Meinem Freund aus Russland, der Angst vor einem dritten Weltkrieg hat, antworte ich: Kleine Länder können Kriege gegen viel größere Atommächte gewinnen!

Die USA haben das in Vietnam erlebt. Die Sowjetunion in Afghanistan. Putin erlebt es hoffentlich in der Ukraine.

Was meinen Sie? Wie muss der Westen auf Putins verschärfte Atom-Drohungen reagieren? Sehen Sie den Einsatz von Atomwaffen als reale Gefahr? Kein Bluff? Lassen Sie uns darüber diskutieren! Hier in den Kommentaren und auf Social Media.

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Kommentare zum Thema

  • Guido 07.10.2022, 16:31 Uhr

    Wie sagte einst Voltaire.Mir mag deine Meinung ansiedeln aber ich werde mich dafür einsetzen ,das du sie sagen darfst.Stimmts N D R?

  • Guido 07.10.2022, 16:02 Uhr

    Warum habt ihr meinen Kommentar zensiert

  • Guido 07.10.2022, 15:27 Uhr

    Indem man keine einzige Waffe mehr der Ukraine liefert und Selensky den Geldmangel zurech.Am ferbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine trägt die Nato die Schuld.14 MAL HAT SIE IHR Wort gebrochen.Jede weitere Waffenlieferung trägt zur Eskalation des Konfliktes bei.Die Ukraine versucht die Nato immer tiefer in den Konflikt hereinzuziehen.Das trägt zur Vernichtung der Menschheit bei.