Das Bild zeigt ein Mädchen und ihren Vater beim Homescooling.

Besser Bauen und Wohnen in NRW: Ideen gegen die Wohnungsnot

Stand: 12.10.2022, 18:30 Uhr

51.000 neue Wohnungen wollte das Land NRW in diesem Jahr bauen - doch zur Umsetzung fehlte es an allem: Baufläche, Handwerker und Geld. So könnten alternative Bau- und Wohnformen aussehen.

Von Nina Magoley

Auch die Bundesregierung hatte sich mit 400.000 neuen Wohnungen in diesem Jahr ein strammes Ziel gesetzt - und auch das ist nicht mehr zu schaffen. Andere Lösungen müssen also her, um neuen Wohnraum zu schaffen. Umdenken ist gefragt: ungewöhnliche Orte finden, neue Bau- und Wohnformen denken.

Umnutzen statt neu bauen

Ehemaliger Luftschutzbunker in Köln: heute Wohnanlage

Ehemaliger Luftschutzbunker in Köln: heute Wohnanlage

Wenn der Wohnungsneubau stockt, wenn Baumaterial, Handwerker und Baufläche fehlen und sich Baugenehmigungen endlos hinziehen - dann liegt es nahe, die vorhandenen Gebäude in den Fokus zu nehmen: Würden nicht mehr genutzte Büro- und Verwaltungsflächen in Wohnraum umgewandelt oder auf solche Gebäude aufgestockt, könnten deutschlandweit etwa 4,3 Millionen neue Wohnungen entstehen, sagt der Architekt Dietmar Walberg von der Kieler "Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen".

Materialengpässe und steigende Kosten ließen sich zwar nicht wegreden, aber die Kosten für eine Modernisierung von bestehendem Wohnraum könnten bis zu einem Drittel günstiger sein als ein Neubau, sagt Walberg. "Denn das Haus steht ja schon und viele der Materialien, die jetzt knapp sind, sind bereits vorhanden" - etwa Bauteile wie Treppenhaus, Aufzugsschacht oder Tiefgarage.

In Berlin seien in den vergangenen zehn Jahren fast 10.000 Wohnungen durch Umnutzung entstanden, auch andere Städte, wie Frankfurt oder Bremen "machen sich auf den Weg". In einer Studie hat die Arbeitsgemeinschaft zeitgemäßes Bauen festgestellt, dass es in Deutschland zurzeit rund 350 Millionen Quadratmeter Büros und Verwaltungsgebäude gibt. 20 Prozent davon seien mit mittlerem, 30 Prozent sogar mit einfachem baulichen Aufwand für den Umbau zu Wohnungen geeignet.

Auf das Nötigste reduzieren: Tiny-Houses

Wieviel Platz braucht eigentlich ein Mensch, eine Familie? Dieser Gedanke steht hinter den sogenannten Tiny-Houses. Tiny ist englisch und bedeutet klein. Gerade groß genug sind diese Mini-Häuser, die auch mal Single- oder Kleinhäuser heißen. Es gibt sie mobil - auf Rädern - oder auf ein festes Fundament gebaut.

Beim Bedürfnis nach einem eigenen Dach über dem Kopf und gleichzeitig knappem Budget kann ein Tiny-House die Lösung sein. Die Wohnfläche ist gering, dennoch ist alles Nötige vorhanden, was man zum Wohnen braucht: ein Wohnbereich mit Kochnische, ein Bad und ein Schlafbereich. In den USA gibt es Tiny-Häuser schon lange, in Deutschland erwacht diese Bewegung gerade erst.

Einige Hersteller - auch in NRW - bieten fertige Häuschen oder bauen nach Wunsch, es gibt Fertigbausätze zum Selberbauen, aber auch Architekturbüros, die sich auf die Minihäuser spezialisiert haben. Tiny-Häuser auf Rädern müssen in Deutschland der Straßenverkehrsordnung entsprechen und dürfen nicht höher als vier Meter und maximal 2,55 Meter breit sein. Daraus ergibt sich eine Wohnfläche von etwa 15 Quadratmetern plus sechs Quadratmeter Schlafebene.

Wer an einem festen Platz im Tiny-House leben möchte, braucht ein Grundstück, eine offizielle Baugenehmigung - und muss sich bei der Gestaltung an den geltenden Bebauungsplan halten. Für die Grundstückserschließung und Versicherung fallen Extrakosten an.

Einige Kommunen in NRW planen bereits Stellflächen oder sogar Tiny-House-Dörfer. So sollen beispielsweise Siedlungen in Dortmund, Jülich und Hamm entstehen. Unter dem Stichwort "Tiny House" finden sich im Internetseiten viele Seiten mit Informationen zu Haustypen, Kosten, Anbietern und weiteren Fragen.

Raus auf's Land: Projekte wie Summer of Pioneers

Um dem Wohnungsmangel entgegenzutreten, muss ganz neu gedacht werden. Dazu gehört auch die Frage, ob es wirklich die Stadt oder der Ort sein muss, an dem man bisher gelebt hat. Spätestens nach zwei Jahren Homeoffice in der Pandemie haben viele Menschen festgestellt, dass Wohnort und Arbeitsplatz nicht zwingend nah beieinander sein müssen. Heißt: Wer in der Stadt arbeitet, kann dabei durchaus auch auf dem Land oder in einer kleineren Gemeinde wohnen, wo Wohnraum vorhanden und Mieten bezahlbar sind.

Stadtzentrum und Burg Altena

Leben und arbeiten im idyllischen Altena?

Das Projekt "Summer of Pioneers" testet diesen Gedanken in der Praxis. Und er geht noch weiter: Wer erst einmal auf dem Land lebt, kann sich dort vielleicht mit anderen zusammentun, um zum Beispiel in "Coworking Spaces" Räume gemeinsam zur Arbeit zu nutzen.

Menschen sitzen an Bürotischen in einem großen Raum

Summer of Pioneers: Co Working Space

Einzelne Kommunen in Deutschland unterstützen diese Idee. In NRW war das 2021 die Stadt Altena im Sauerland. 15 Menschen, die vor allem digital arbeiten, testeten das Leben und Arbeiten im Sauerland. Sie bekamen vergünstigte möblierte Wohnungen und konnten einen eigens eingerichteten Coworking Space nutzen. Im Gegenzug sollten sich die Pioniere "mit ihren Ideen in der Stadt einbringen", heißt es. Corona und Hochwasser erschwerten das Projekt. Die Pioniere hätten aber viele Altenaer mit ihren ungewöhnlichen Ideen und Anregungen überraschen können, sagt Bürgermeister Kober - zum Beispiel mit einem Weinberg mitten in der Stadt.

Das Projekt "Summer of Pioneers" startete 2019 im brandenburgischen Wittenberge. Die Hälfte der Teilnehmer blieb nach Ablauf der Testphase in der Stadt.

Nachverdichtung und Aufstockung

Aufstockung eines Wohnhauses

Aufstockung eines Wohnhauses

Wenn der Wohnungsbau stockt, weil Bauland fehlt, kann Nachverdichtung eine Lösung sein: Forscher der TU Darmstadt errechneten, dass durch Nachverdichtung bis zu 2,7 Millionen Wohnungen in Deutschland geschaffen werden könnten. Dazu zählt die Schließung von Baulücken, aber auch die Aufstockung vorhandener Gebäude durch neue Wohnungen. Vor allem durch die Aufstockung eingeschossiger Supermärkte könnten bis zu 420.000 Wohnungen entstehen, aber auch Parkhäuser und Bürogebäude könnten als Sockel für neue Wohnungen dienen. Die Discounterkette Aldi Süd hat bereits Kitas oder ein Studentenwohnheim auf ihre Märkte aufgesetzt. Auch andere Supermarktketten prüfen diese Option.

Vorteile bei der Aufstockung: Es müssen keine neuen Flächen versiegelt werden, nötige Infrastruktur wie Wasser- und Stromanschlüsse sind bereits vorhanden. In den überbauten Gebäuden reduziert sich zudem der Energiebedarf, da der Aufbau wie eine Wärmedämmung nach oben wirkt. Bei den eingeschossigen Supermarktbauten reicht allerdings oft die Statik nicht, um Aufbauten zu tragen.

Problematisch bei solchen Aufstockungen und Nachverdichtungen ist oft auch, dass sich die Anwohner nicht damit abfinden wollen, durch mehr Baumasse weniger Aussicht, Licht oder Privatsphäre zu haben. Auch Bedenken in Bezug auf zusätzlichen Verkehr und Auslastung von Kindergärten und Schulen führen immer öfter zu Konflikten zwischen Anwohnern und Projektentwicklern.