Betrunken Autofahren - nach der Party auf dem Land ganz normal?
Stand: 04.10.2024, 10:31 Uhr
Hunderte junge Leute feiern am Wochenende in der Großraumdiscothek Himmerich im Kreis Heinsberg. Viele kommen mit dem Auto. "60 Prozent der Leute, die mit dem Auto da sind, fahren später besoffen", mutmaßt ein junger Mann im lila Pullover. Ist das wirklich so normal?
Von Tom Schachtsiek
Drei Uhr morgens, drei junge Männer laufen in Schlangenlinien über den Parkplatz vor der Discothek Himmerich. Der in der Mitte, im schwarzen Anzug, scheint besonders tief ins Glas geblickt zu haben und kann gerade so noch gehen. Sein Kumpel verrät: "Der hat eine ganze Flasche Wodka weggeext, und jetzt will der fahren."
Die Großraumdisco Himmerich ist die einzige größere Feier-Location im Umkreis.
Er und sein Freund versuchen noch, ihn davon abzuhalten. "Ich rufe die Polizei, hör auf damit", ruft einer ihm zu. Aber kurze Zeit schafft es der Betrunkene tatsächlich sich in seinen SUV zu setzen und den Motor zu starten. Fährt er gleich wirklich los?
"Drink and Drive kann man schon machen"
Ein paar Stunden vorher: Der Parkplatz füllt sich langsam, immer mehr Gruppen kommen mit Autos an. Heute ist Oktoberfestparty im Himmerich, vereinzelt steigen Leute in Dirndl und Lederhosen aus den Autos. "Ich bin heute Fahrerin, ich trinke nichts. Wirklich gar nichts", erklärt eine junge Frau und erntet Jubel aus der Gruppe: "Sie bleibt nüchtern, ich werde mir ordentlich einen reintrinken", tönt einer.
Er schätzt: "60 Prozent der Leute, die mit dem Auto da sind, fahren später besoffen".
Aber es gibt auch viele, die das Fahren unter Alkoholeinfluss hier völlig normal finden: "Drink and Drive kann man schon machen!" hört man hier, oder: "Man kann ja auch trinken und Auto fahren". Dazu erzählen die meisten, die wir in dieser Nacht fragen, dass sie schon mal bei jemandem mitgefahren sind, der besser nicht mehr hätte fahren sollen. "Hier ist halt auch nichts, man kommt hier halt auch nicht anders weg".
"Drink and Drive kann man schon machen", finden diese Discobesucher.
Der Discobus wird nicht gut angenommen
Immerhin: Es gibt einen sogenannten Discobus, der am Freitag extra für die Feiernden zweimal von der Diskothek bis nach Jülich fährt. Das erste Mal allerdings schon um Viertel nach Zwölf.
Nicht besonders beliebt: der Discobus.
So früh steht nur ein 16-Jähriger an der Bushaltestelle: "Die meisten Leute fahren mit dem Auto, aber der Discobus ist auch cool", sagt er und steigt ein. Ein paar Sekunden später steigt er aber wieder aus: "Die sagen, das kostet 3,50 Euro und ich kann nicht mit Karte zahlen. Und ich hab nicht so viel Kleingeld. Aber ich hab das Deutschlandticket, und das ist doch hier Deutschland." Er organisiert sich aber schnell das Geld und kann mit dem leeren Bus nach Hause fahren.
Auch wenn um zwei Uhr mehr Leute mit dem Discobus fahren, gut angenommen wird das Angebot nicht. "Das ist zu früh!", ruft eine Frau im Dirndl durch die Musik, "wäre besser, wenn der häufiger und später fahren würde."
Häufiger und später müsste der Discobus fahren, finden diese Partygänger.
100 Kilometer im Elterntaxi
Die meisten feiern und trinken noch deutlich länger. Ein Vater und eine Mutter in einem grauen Kastenwagen erklären uns um kurz vor drei Uhr, dass sie mitten in der Nacht insgesamt 100 Kilometer fahren, um ihre Tochter und ihre Freunde hier abzuholen. Vorbildlich.
Das Gegenteil: Der junge Mann im schwarzen Anzug. Noch immer sitzt er in seinem Auto. Inzwischen ist das Security-Team der Disco alarmiert. Auch sie reden auf ihn ein. Wenig später parkt er sein Auto wieder.
Seine Freunde versuchen, den jungen Mann vom Losfahren abzuhalten.
"Wir haben ihm gesagt, dass er nicht mehr glücklich wird, wenn da was passiert", erklären die Sicherheitsmänner ruhig, während sich der Fahrer auf dem Parkplatz übergibt. Doch 20 Minuten später schafft er es, wieder an seinen Schlüssel zu kommen. Er will erneut wegfahren.
Mehr als jeden zweiten Tag ein Toter
Wie sehr er sich und andere gefährden würde, macht Frank Meuffels von der Polizei Heinsberg klar, den wir am Tag zuvor treffen: "Bäume ziehen diese Fahrer magisch an. Es sind zu viele Unfälle im Kreis Heinsberg. Wir wollen es nicht mehr!" Als Verkehrsunfall-Opferschutzbeauftragter begleitet er Familien jahrelang, die Tochter oder Sohn bei einem Unfall verloren haben.
Frank Meuffels von der Polizei Heinsberg
In Deutschland gab es 2023 insgesamt knapp 19.000 Unfälle durch Alkohol am Steuer, 189 Menschen starben. Mehr als jeden zweiten Tag ein Toter. Auch wenn die Zahl seit den 70er-Jahren stetig sinkt – es sind immer noch zu viele.
Der Mann im Anzug fährt trotz aller Warnung am Ende wirklich los. Seine Kumpel rufen die Polizei, die ihn wenig später erwischt. Er darf nicht weiterfahren.
Eine ausführliche Reportage aus dem Kreis Heinsberg gibt es auf dem Youtube-Kanal "Die andere Frage":
Unsere Quelle:
- WDR-Reporter vor Ort