Amoktat in Hamburg bei den Zeugen Jehovas: Was bislang bekannt ist

Stand: 11.03.2023, 09:42 Uhr

Donnerstagabend hat ein Mann sieben Menschen in einem Gebetshaus der Zeugen Jehovas in Hamburg erschossen. Danach tötete er offenbar sich selbst. Der Hamburger Innensenator und die Polizei sprechen von einer Amoktat. Die Polizei konnte wohl noch Schlimmeres verhindern. Was wir bisher wissen.

Von Uli Spinrath und Andreas Poulakos

Wie war die Ausgangslage am Donnerstagabend?

Gegen 21:04 Uhr am Donnerstagabend ist die Polizei zu einem Einsatz im Hamburger Stadtteil Großborstel gerufen worden, zu einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas mit rund 36 Teilnehmenden. Handyvideos von Augenzeugen zeigen eine Person, die vor einem Gebäude steht und durch ein Fenster ins Innere schießt. Man hört zahlreiche Schusssalven und sieht auch das Mündungsfeuer der Waffe. Anschließend steigt die Person in das Gebäude ein, dann sind weitere Schüsse zu hören. Diese Darstellung ist inzwischen auch von der Polizei bestätigt worden.

Wie sah der Polizeieinsatz aus?

Die Polizei war bereits um 21.08 Uhr mit vielen Beamten am Ort, auch mit Spezialkräften, die zufällig in der Nähe waren. Auf weiteren Videos ist zu sehen, wie schwer bewaffnete Einsatzkräfte das Gebäude durchsuchen und Personen heraus bringen. Außerdem sieht man blutende Menschen auf dem Boden liegen. Polizisten tragen Menschen, die offensichtlich verletzt sind, zu Rettungswagen. Andere haben sich in das Häuschen einer Bushaltestelle gerettet und werden dort versorgt.

"Eine Amoktat dieser Dimension - das kannten wir bislang nicht." Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD)
Peter Tschentscher spricht mit den Medien

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher

Der Polizei zufolge konnten etwa 20 Personen unverletzt aus dem Gebäude gerettet werden. Dass dies gelang, sei dem schnellen Eingreifen der Beamten zu verdanken, erläuterte Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Freitagabend. Die Polizisten seien "sehr schnell" vor Ort gewesen und hätten den Täter in seiner Amoktat gestoppt: "So wie die Dinge sich ereignet haben, ist davon auszugehen, dass der Amokläufer eine Reihe weiterer Menschen ermordet hätte."

Wie viele Opfer gibt es?

Nach Angaben eines Polizeisprechers kamen bei der Attacke vier Männer und zwei Frauen im Alter zwischen 33 und 60 Jahren ums Leben - außerdem ein ungeborenes Kind. Zusammen mit dem Täter starben acht Menschen in dem Gebäude. Der 35-Jährige war vor der Polizei in den ersten Stock des Gebäudes geflüchtet und hatte sich dann selbst getötet. Außerdem wurden acht Menschen verletzt, davon vier lebensgefährlich. Die Verletzten erlitten teilweise "multiple" Schusswunden.

Der Täter verschoss bei dem Verbrechen laut Polizei insgesamt neun Magazine mit mehr als 130 Schuss, bei sich trug er darüber hinaus weitere 22 Magazine.

Wer ist der Tatverdächtige?

Es handelt sich um den 35-jährigen Deutschen Philipp F. Er stammt laut dpa-Informationen aus dem bayerischen Memmingen, hat in München studiert, ist aber seit 2015 in Hamburg gemeldet. Aufgewachsen ist er in einem streng gläubigen Haushalt, wie der "Spiegel" berichtet. Dies soll er einst von sich selbst behauptet haben. Philipp F. war selbst Mitglied der Zeugen Jehovas, hat die Gemeinde aber vor eineinhalb Jahren im Streit verlassen. Er soll ihr aus eigenem Willen, "aber nicht im Guten" den Rücken gekehrt haben, hieß es am Freitagnachmittag.

Der Schütze habe eine Banklehre absolviert und anschließend Betriebswirtschaftslehre studiert. Im Internet habe er eine Tätigkeit als Berater in Bereichen von "Controlling" bis "Theologie" angeboten.

Warum hatte der Mann Zugriff auf Waffen?

Den Informationen zufolge hatte der Verdächtige im vergangenen Jahr in Hamburg als Sportschütze eine Waffenbesitzkarte beantragt. Die Erlaubnis wurde erteilt. Der Mann war nach Informationen aus Sicherheitskreisen nicht als Extremist bekannt gewesen.

Dass sein Name dennoch in den Datenbanken der Sicherheitsbehörden auftauchte, hat dem Vernehmen nach keinen kriminellen Hintergrund, sondern liegt an dem erwähnten Antrag einer waffenrechtlichen Erlaubnis. Dafür ist immer auch eine Abfrage der Zuverlässigkeit nötig, bei der Bezüge zu Straftaten und Extremismus geprüft werden.

Bei der Durchsuchung der Wohnung des Verdächtigen wurden laut Staatsanwaltschaft größere Mengen Munition gefunden. Auch Laptops und andere Datenträger wurden beschlagnahmt.

Gab es Vorzeichen für die Tat?

Ein anonymes Schreiben hatte die Behörden im Februar erreicht. Darin stand, dass der Tatverdächtige psychisch krank sein könnte. Er habe seine "Wut" auf die Zeugen Jehovas und seinen Arbeitgeber mehrmals zum Ausdruck gebracht. Ein unangemeldeter Besuch von Mitarbeitern der Waffenbehörde bei dem 35-Jährigen hatte aber keine Hinweise für die Richtigkeit der Vorwürfe erbracht. Er habe sich "kooperativ" gezeigt, erklärte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. Hinweise auf eine psychische Auffälligkeit habe es nicht gegeben. Damit hätten die Beamten keine rechtlichen Möglichkeiten für ein Eingreifen gehabt.

Welche Reaktionen gibt es?

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will im Zusammenhang mit der Tat noch einmal an den Entwurf zur Änderung des Waffenrechts ran - um zu sehen, ob es noch Lücken gibt, wie sie den ARD-"Tagesthemen" sagte.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich betroffen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, schrieb bei Twitter, er sei "erschüttert" über die "menschenverachtende Gewalttat in Hamburg".

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Wo sind Hinweise und Zeugenaussagen möglich?

Die Polizei hat ein Hinweisportal eingerichtet, auf dem Zeugen Bilder und Videos rund um das Tatgeschehen hochladen können.

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