Die terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober wurden quasi in Echtzeit in die Sozialen Medien übertragen. Und auch drei Wochen später ist das Internet voll mit Videos, die oft die Perspektive der Hamas teilen. Gerade für Kinder und Jugendliche stellt diese Progaganda eine Gefahr dar, sagt Burak Yilmaz. Er ist Pädagoge, Autor und Dozent. Unter anderem unterrichtete er an der Polizeihochschule Duisburg, arbeitete mit Strafgefangenen in verschiedenen JVA und am Zentrum für Erinnerungskultur in Duisburg. Yilmaz berät den Bundesbeauftragten gegen Antisemitismus und ist Träger des Bundesverdienstkreuzes.
WDR: Wie genau informieren sich Jugendliche in den Sozialen Medien über den Konflikt zwischen Israel und der Hamas?
Burak Yilmaz: Viele sehen sich Videos auf TikTok und Instagram an. Das sind oft hoch emotionale Filme, die der Propaganda der Hamas dienen. Diese Propaganda hat zwei Wege: Erstens wird das Feindbild Israel aufgebaut, Israel wird verteufelt und als übermächtiges System dargestellt, um die eigene Ohnmacht zu inszenieren. Da wird krass mit der Opferrolle gespielt, indem zum Beispiel Aufnahmen von toten Kindern und Babys gezeigt werden, und das Ganze ist dann mit mystischer, islamistischer Musik unterlegt. Das Bild, das gezeichnet wird, entspricht der Hamas-Strategie: Wir werden angegriffen, dabei kämpfen wir doch für das Gute. Diese Propaganda in den Sozialen Medien funktioniert leider sehr gut.
WDR: Das heißt, dass viele muslimische Jugendliche diese Videos für bare Münze nehmen?
Yilmaz: Nicht nur die muslimischen Jugendlichen. Solche Narrative sind generell in der Jugendkultur verbreitet, so dockt auch eine Bewegung wie "Fridays For Future" sehr stark an dieses Bild von Ohnmacht und Macht an. Leider sind diese Erzählungen derzeit sehr mehrheitsfähig. Diese Hamas-Videos sind sehr emotional, dadurch sind die Menschen sehr bewegt und ergriffen. Und dazu kommt hier der Algorithmus der Sozialen Medien: Wenn ich ein solches Bild like, kommt direkt das nächste. So gerät man in eine Maschinerie hinein, in der man mit dem absoluten Horror konfrontiert wird. Da geht es dann nicht mehr um Fakten oder um die Wahrheit, sondern nur noch um pure Emotion.
WDR: Wie professionell setzt die Hamas ihre Propaganda-Strategie um?
Yilmaz: In den Sozialen Medien ist das sehr professionell. Viele Angreifer bei den Anschlägen am 7. Oktober hatten Bodycams, es gab schnelle Bilder aus vielen Perspektiven, mit dramatischer Musik unterlegt. Das hat leider fast schon Hollywood-Charakter: Man schaut sich diese Filme an und wird in den Bann gezogen. Die Emotionen der Menschen werden abgeholt mit dem Narrativ: Wir kämpfen für das Gute, kommt und schließt Euch diesem Kampf an!
WDR: Wie kann man da gegensteuern, wer könnte hier ansetzen: Die Familie? Die Schule? Der Freundeskreis?
Yilmaz: Zuerst einmal müssten Tik Tok und Instagram etwas unternehmen. Es kann nicht sein, dass dort überall Gewaltaufrufe und antisemitische Vernichtungsfantasien verbreitet werden. Die müssten direkt in den Unternehmen gelöscht werden, man bräuchte Task Forces, um das anzugehen. Denn die Hamas nutzt die Sozialen Medien vor allem dazu, um global viele Anhängerinnen und Anhänger zu finden. Und auf der anderen Seite müsste das natürlich auch in den Schulen viel stärker thematisiert werden, wenn wir beispielsweise über Medienkompetenzen reden, über die Mechanismen dieser Propaganda oder generell über die Hamas als Organisation. Man müsste viel mehr aufklären, dass das kein Widerstand ist und keine Befreiung, sondern schlicht und einfach Terror. Da könnten die Schulen viel mehr tun, es bräuchte aber auch in den Medien noch viel mehr Aufarbeitung zu dem Thema.
WDR: Das Thema wird ja nicht nur in den Sozialen Medien behandelt. Wie groß ist der Einfluss von Islamisten auf Jugendliche vor Ort in NRW?
Yilmaz: Leider sehr groß. Der Nahostkonflikt ist ein gefundenes Fressen für solche Leute, weil sie ihre Reichweite ausbauen können. Es gibt Accounts, die haben ihre Follower-Anzahl in den vergangenen drei Wochen um 300 Prozent gesteigert. Die machen dann Videos, in denen sie sagen: "Leute, wenn Ihr echte Muslime seid, kommt ihr jetzt auf die Straße!" Da wird Druck auf Jugendliche ausgeübt, da geht es direkt um deren Identität. Viele haben Angst, von ihrer Peer Group gemobbt oder ausgegrenzt zu werden, wenn sie nicht zu diesen Demos mitkommen. Den Einfluss, den hier die islamistischen Prediger ausüben, darf man nicht unterschätzen.
Das Interview führte Andrea Oster im WDR 5-"Morgenecho". Zur besseren Verständlichkeit wurden Passagen des Gesprächs gekürzt und bearbeitet, ohne den Sinn zu verändern.