Flüchtlinge arbeiten in der Übungswerkstatt für Handwerksausbildung der Initiative Arrivo der Handwerkskammer Berlin.

Geflüchtete sollen schneller arbeiten dürfen: Was bringt das?

Stand: 02.11.2023, 16:04 Uhr

Manche Asylbewerber sollen in Zukunft schneller eine Arbeitserlaubnis bekommen. Gut für die Wirtschaft und das Sozialsystem? Oder nur ein neuer Anreiz für irreguläre Migration?

Das Bundeskabinett hat am Mittwoch neue Regeln auf den Weg gebracht, die Geflüchteten unter bestimmten Bedingungen den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Damit soll der Arbeits- und Fachkräftemangel gelindert werden. Gleichzeitig erhofft sich die Regierung dadurch eine Entlastung der Sozialkassen und eine bessere Integration.

Wer soll von der Liberalisierung profitieren? Und wer nicht? Könnten die neuen Regeln die irreguläre Migration nach Deutschland noch befeuern? Fragen und Antworten.

Welche Geflüchteten sollen künftig arbeiten dürfen?

  • Nach drei Monaten dürfen Asylbewerber künftig eine Arbeit aufnehmen, wenn sie nicht in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben. Bisher sind es sechs Monate.
  • Geflüchtete, die in Erstaufnahmeeinrichtungen leben, sollen künftig schon nach sechs Monaten arbeiten dürfen. Das durften bisher nur Eltern mit Kindern. Für Alleinstehende galt eine Frist von neun Monaten.
  • Geflüchteten mit Duldungsstatus soll im Regelfall eine Beschäftigungserlaubnis erteilt werden. Bisher lag die Entscheidung darüber meist bei den Kommunen. Geduldete sind Menschen, die zwar ausreisepflichtig sind, aber aus bestimmten Gründen nicht abgeschoben werden können, zum Beispiel wegen Krankheit.
  • Mehr Asylbewerber, die bereits heute in einem festen Arbeitsverhältnis sind, sollen eine dauerhafte "Beschäftigungsduldung" erhalten. Bisher kann diese Möglichkeit nur nutzen, wer vor dem 1. August 2018 nach Deutschland gekommen ist. Künftig sollen alle, die bis Ende 2022 nach Deutschland eingereist sind, diese Chance auf eine langfristige Bleibeperspektive nutzen können.

Wer soll nicht profitieren?

  • Menschen aus "sicheren Herkunftsländern" - also Staaten, bei denen angenommen wird, dass dort keine Verfolgung im Sinne des Asylrechts stattfindet. Dazu gehören Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien. Demnächst sollen auch Moldau und Georgien hinzukommen.
  • Geduldete, deren Identität und Herkunftsland nicht sicher festgestellt werden konnte.
  • Wer eine "Beschäftigungsduldung" anstrebt, muss Deutsch sprechen, den eigenen Lebensunterhalt bestreiten können, darf keinen Bezug zu extremistischen Organisationen und keine Vorstrafen haben.

Wie viele Arbeitserlaubnisse gibt es aktuell?

Nicht viele: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hatten knapp 35.000 Geduldete eine Arbeitserlaubnis, von denen rund 3.100 im ersten Halbjahr erteilt wurden. In 237 Fällen wurde der Antrag abgelehnt. Das geht aus Zahlen der Bundesregierung hervor. Bei den Asylsuchenden gab es zum 30. Juni 2023 rund 21.000 mit einer Arbeitserlaubnis, von denen gut 9.000 allein im ersten Halbjahr erteilt wurden. 563 wurden abgelehnt. Mitte 2023 hatten außerdem 2.406 Personen eine Beschäftigungsduldung.

Zum Vergleich: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lebten Ende 2022 etwa 3,1 Millionen Geflüchtete in Deutschland, wobei der Großteil (2,25 Millionen) über einen anerkannten Schutzstatus verfügte. Seit Anfang 2023 wurden außerdem rund 200.000 weitere Asylanträge gestellt.

Was sagt die Opposition?

Im Interview mit dem WDR am Donnerstag äußerte CDU-Chef Friedrich Merz große Zweifel an den neuen Regeln. Die Liberalisierung könne neue Anreize schaffen, nach Deutschland zu kommen. Ob der leichtere Zugang zum Arbeitsmarkt überhaupt einen positiven Effekt haben werde, sei unwahrscheinlich. "Der große Teil der in Deutschland heute lebenden Asylbewerber arbeitet nicht und steht auch für gemeinnützige Tätigkeiten offensichtlich nicht zur Verfügung." Häufig fehlten einfachste Sprachkenntnisse oder auch die Bereitschaft, etwas zu tun.

Als Beispiel nannte Merz Statistiken der Bundesagentur für Arbeit, nach denen Syrer, die in den Jahren 2017 und 2018 nach Deutschland gekommen sind, noch im Jahr 2022 zu rund 60 Prozent von Sozialleistungen lebten. Eine WDR-Nachfrage an das Büro von Friedrich Merz, auf welchen Quellen die Einschätzung beruht, dass es Asylbewerbern oft an Arbeitsbereitschaft mangelt, blieb unbeantwortet.

Führt die Liberalisierung zu noch mehr Asylanträgen?

Prof. Panu Poutvaara Ph.D.

Panu Poutvaara

Das komme darauf an, sagt Migrationsforscher Panu Poutvaara vom ifo Institut (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Uni München). Insgesamt müsse man aber die Restriktionen gegenüber Menschen mit geringer Bleibeperspektive aufrecht erhalten oder sogar verschärfen, wenn man die Flüchtlingszahlen auf Dauer senken wolle. Gleichzeitig brauche es aber auch mehr Angebote an jene Geflüchteten, die aller Voraussicht nach dauerhaft in Deutschland bleiben werden. Vor allem in der Gesundheits- und Baubranche würden dringend Arbeitskräfte gebraucht, erklärte Poutvaara dem WDR am Donnerstag. Dieses Potenzial sollten sich die Arbeitgeber unbedingt sichern - selbst wenn noch keine guten Deutschkenntnisse vorhanden sind.

Wie reagieren Vertreter der Wirtschaft?

Vorsichtig positiv. "Die Regelungen sind in Zeiten von Fach- und Arbeitskräftemangel grundsätzlich sinnvoll", sagte der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands BDA, Steffen Kampeter. Allerdings seien die Hürden nach wie vor hoch. Grund: "Die Integration von Geflüchteten wird vor allem von der Geschwindigkeit der Asylverfahren beeinflusst." Schnellere Verfahren seien vorerst nicht in Sicht, meint Kampeter. Denn die Ausländerbehörden seien überlastet.

Gibt es Rückhalt in der Bevölkerung für die neuen Regeln?

Grundsätzlich ja, zumindest lautet so das Ergebnis einer aktuellen Umfrage von RTL und ntv: Demnach sind 87 Prozent der Befragten für eine schnellere Arbeitserlaubnis für Geflüchtete - allerdings nur für jene, die eine gute Bleibeperspektive haben. Viel Zustimmung gab es auch für den Vorschlag, Geflüchtete ohne Aussicht auf Duldung zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten. Eine solche Regel ist allerdings - vorerst - nicht in Sicht.

Quellen:

  • Deutsche Presse-Agentur
  • Agence France-Presse
  • Interview mit Friedrich Merz im WDR5 Morgenecho
  • Interview mit Panu Poutvaara im WDR5 Morgenecho