Flucht ins Männerhaus - Wenn die Partnerin gewalttätig wird
Stand: 10.12.2022, 06:21 Uhr
Die anstehenden Feiertage bedeuten für viele Familien nicht nur Harmonie, in einigen kommt es zu Stress, in manchen sogar zu Gewalt. Meist sind Frauen die Opfer, doch auch Männer erleben psychische oder körperliche Übergriffe durch ihre Partnerinnen.
Von Dorothea Schluttig
Sie ist wütend, so wütend, dass sie aus der Schublade ein Messer nimmt. Dann geht sie auf ihn los, verletzt Can M. (Name von der Redaktion geändert) am Arm. Es ist nur eine kleine Wunde, doch der 45-Jährige hat Angst - um sein Kind, das auch im Raum ist und wie das alles enden wird: "Mir kam es vor, als ob sie mich irgendwann auf brutalere Weise noch verletzten würde. Dass es soweit kommt, hätte ich nie gedacht."
Es ist der tragische Tiefpunkt einer Liebe, die doch so rosig begonnen hatte. Bei Freunden lernen sie sich kennen, auf den ersten Blick finden sie sich anziehend und kommen schnell zusammen. Immer schon wollte sie ein Kind, er ist zwar noch nicht bereit, aber dann ist sie auf einmal schwanger. Als das Baby da ist, verändert das alles. Immer häufiger wird sie Can gegenüber laut und aggressiv: "Sie war der Meinung, dass ich eine andere Frau habe, was gar nicht so war. Sie hat meine Familie beleidigt, meinen Glauben und gesagt, ich wäre behindert. Sie hat die Türen geschlagen. Da war man psychisch wirklich unten."
Frauengewalt: Verletzung mit Worten und Messer
Es ist ein anderes Gesicht, das sie ihm jetzt zeigt, so kommt ihm das vor. Aber er nimmt es hin, denn da ist ja auch das Kind, das er längst liebt und nicht verlieren will: "Ich habe gehofft, dass es besser wird, aber im Gegenteil - es wurde immer schlimmer." Denn irgendwann reichen ihr die Worte nicht mehr, sie geht auch körperlich auf ihn los, sagt er. Immer öfter schubst und stößt sie ihn vor die Brust und irgendwann das mit dem Messer. Zweimal attackiert sie ihn damit, zur Anzeige bringt er es nicht. Und wie es ihm geht, merkt keiner in seinem Umfeld, alles macht er mit sich allein aus: "Als Mann erzählst du ja nicht, was abgeht zu Hause, normalerweise."
Tabuthema: Gewalt gegen Männer
Michael Zeihen, Männerberater und Sozialpädagoge vom Sozialdienst katholischer Männer in Köln
Es ist tatsächlich noch immer ein Tabuthema, wenn Männer von der Partnerin geschlagen oder drangsaliert werden. Dabei sind gut 21 Prozent aller Personen, die wegen Gewalt in der Partnerschaft angezeigt werden, Frauen - 25.000 waren es laut Bundeskriminalamt im Berichtsjahr 2021 in Deutschland. Und die Dunkelziffer ist womöglich weit höher, denn viele Männer leiden still, sagt Michael Zeihen vom Sozialdienst katholischer Männer in Köln. Seit vierzehn Jahren berät der Sozialpädagoge Betroffene in Not.
Rollenbilder und Scham: Männer leiden still
Nicht nur die Angst, die Kinder zu verlieren, sondern vor allem die Scham sei es, die Männer davon abhalte, sich Hilfe zu suchen: "Ich als Mann bin in der Gesellschaft immer noch der Starke, auch wenn ein kleiner Wandel mittlerweile vollzogen wird. Aber als Starker kann ich nirgendwo hingehen und sagen, ich bin eigentlich der Schwache in der Beziehung, der vermeintlich Schwache, ich bin ein Opfer, ich werde geschlagen." Gerade um die Feiertage herum eskaliere die Situation häufiger, wenn man sich nicht ausweichen könne. Das sei eine besonders sensible Phase und für die Opfer oft stark belastend.
Im Notfall ins Männerhaus: Fünf Schutzwohnungen im Westen
Dabei gibt es für betroffene Männer Hilfe - nicht nur in Form von Beratung, sondern auch spezielle Schutzwohnungen, gefördert vom Land NRW. Fünf sind es im Westen. Insgesamt zwanzig von häuslicher Gewalt betroffene Männer können dort unterkommen: in Düsseldorf, Bielefeld, Köln, Warendorf und im Raum Mönchengladbach.
Auch Can findet in so einer Einrichtung Hilfe. Beim letzten Streit, als sie ihn wieder attackiert, wehrt er sich gegen seine Frau, schubst zurück - sie zeigt ihn sofort an. Weil er der Mann ist, muss er die Wohnung verlassen. Nur einen Rucksack hat er und keine Ahnung, wohin - bis er in einem Männerhaus unterkommt. Ein Zimmer ist es nur, aber für ihn allein und hier findet er Ruhe.
"Wenn man nichts tut, passiert auch nichts."
Über das, was passiert ist, wagt er nun auch zu sprechen: "Letztlich hat mir diese Schutzeinrichtung Mut gegeben. Ich konnte dort überlegen, wie es weitergeht, wie ich die Zukunft angehen kann", sagt er heute, ein Jahr danach. Inzwischen hat er eine eigene Wohnung, sein Kind lebt bei ihm. Und auch, wenn längst nicht alle seelischen Wunden verheilt sind: Er ist froh, sich Hilfe geholt zu haben. Denn, so sagt er: "Wenn man nichts tut, ändert sich auch nichts."
Über dieses Thema berichtet auch das WDR Fernsehen in der Aktuellen Stunde.