Gesetz für früheren Mutterschutz nach Fehlgeburt geplant
Stand: 20.12.2024, 14:45 Uhr
Direkt nach einer Fehlgeburt arbeiten müssen? Das soll sich zukünftig für viele Frauen ändern. Angeregt wurde das mögliche neue Gesetz von einer Betroffenen.
Von Ingo Neumayer
Jede dritte Frau erleidet in ihrem Leben eine Fehlgeburt - das geht aus Schätzungen des Berufsverband der Frauenärzte hervor. Eine Situation, die körperlich und psychisch schwer belastet. "Für die meisten Frauen ist eine Fehlgeburt ein totaler Schock und ein geplatzter Lebenstraum", sagt Psychologin Kathryn Eichhorn, die die psychischen Folgen von Fehlgeburten untersucht. Hinzu komme häufig das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben.
Eine Betroffene ist Natascha Sagorski aus Unterföhring. Sie erlebte 2019 die Situation, vor der sich wohl jede Schwangere fürchtet. Bei der zweiten Ultraschallkontrolle hieß es auf einmal: Kein Herzschlag mehr zu sehen. "Dann ging alles ganz schnell: Ab in die Klinik, Ausschabung unter Vollnarkose. Ich war sprachlos, ich habe geweint, ich habe geblutet, ich hatte Schmerzen", berichtete sie dem WDR. Die behandelnde Ärztin verzichtete jedoch auf eine Krankschreibung. "Das brauchen Sie nicht, Sie können morgen wieder ins Büro gehen" - so soll sich die Ärztin geäußert haben.
"Du musst funktionieren, stell dich nicht so an"
Natascha Sagorski: Ihre Petition hatte Erfolg
Sagorski war perplex. "Normalerweise hätte ich geantwortet: 'Sie haben Sie wohl nicht mehr alle, natürlich kann ich nicht ins Büro gehen!' Aber in diesem Moment hatte ich diese Kraft nicht. Ich hatte gerade mein Baby verloren, ich hatte Schmerzen, ich war wund" - so beschreibt sie ihren damaligen Zustand. Du musst funktionieren, stell dich nicht so an – dieses Gefühl habe sie vermittelt bekommen. "Das war hart", erinnert sich Sagorski.
Sagorski ist Autorin, und das Thema ließ sie nicht mehr los. Sie recherchierte über Fehlgeburten und stellte schnell fest, dass das, was sie erlebt hat, kein Einzelfall ist. Die Geschichten ähnelten sich, viele Frauen hätten ihr erzählt, wie schwierig es für sie war, krankgeschrieben zu werden.
Das bestätigen auch viele Krankenkassen. So berichtete die IKK Südwest im Frühjahr, dass über 60 Prozent der dort versicherten Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten, danach psychisch erkrankten und länger ausfielen.
Mutterschutz bei Fehlgeburt derzeit erst ab der 24. Woche
Krankschreiben? "Es gibt Gynäkologen, die das nicht machen"
Derzeit sieht die Regelung vor: Nach einer Fehlgeburt hat eine Frau nur dann Anspruch auf Mutterschutz, wenn sie die 24. Schwangerschaftswoche erreicht hat oder wenn das Kind mindestens 500 Gramm wiegt. "Wiegt mein Baby 490 Gramm, kann es gut sein, dass ich genauso lange schwanger war wie eine Frau, die ein 500 Gramm schweres Baby bekommen hat. Ich kriege aber im Gegensatz zu ihr keinen Tag Mutterschutz" - beklagt Sagorski. Es gebe tolle Gynäkologinnen und Gynäkologen, die einen krankschrieben in einer solchen Situation. "Es gibt aber auch welche, die das nicht machen. Und deswegen müssen wir dringend die Gesetze ändern."
Umgang mit dem "Tabuthema" wird offener
Allerdings sei es anfangs schwer gewesen, auf das Thema aufmerksam zu machen. "Weil Fehlgeburten ein so großes Tabuthema sind, ist das Thema in den vergangenen Jahren nicht so laut geworden", sagt Sagorski. Das hat sich allerdings zuletzt geändert. Hollywood-Superstars wie Jennifer Lawrence, Chrissy Teigen oder Megan Fox sprachen in Interviews offen über ihre Fehlgeburten, zuletzt berichtete die amerikanische Sängerin Jax auf Instagram von ihren Erlebnissen. Auch die Hamburger Hebamme Zohre Ceylan setzt in den Sozialen Medien das Thema und geht offen mit ihren eigenen Fehlgeburten um.
Petition von Betroffener führt zu Gesetzesentwurf
Natascha Sagorski ging ebenfalls in die Offensive. Sie startete 2022 eine Petition mit dem Titel "Gestaffelter Mutterschutz nach Fehlgeburten". die erforderlichen 50.000 Unterschriften waren schnell erreicht, seitdem treibt sie das Thema auf politischer Ebene voran. Und zwar mit Erfolg: Am Donnerstag beriet der Bundestag über einen entsprechenden Gesetzentwurf, der im Januar beschlossen werden soll.
Der SPD-Politiker Erik von Malottki verwies im Bundestag auf die Initiatiorin des Gesetzes: "Ohne Natascha Sagorski gäbe es diesen Tagesordnungspunkt nicht" - so seine einleitenden Worte. Weiter apellierte er an die Männer im Bundestag: "Weniger Anspruchsdenken und große Egos, Schluss mit dem Gerede von Frauenpolitik als 'unwichtig', schnell den Weg freimachen für Lösungen. Jetzt ist die Zeit, vielen tausenden Frauen, die in einer unfassbaren Ausnahmesituation sind, endlich mehr Hilfe und Unterstützung zu geben. Ergreifen wir diese Chance!" Der Entwurf sieht gestaffelte Schutzfristen bei einer Fehlgeburt vor - und zwar ab der 15. bzw. 13. Schwangerschaftswoche statt wie bislang ab der 24. Woche.
Dass in der Diskussion immer wieder zwei verschiedene Daten genannt werden, die aber im Grunde dasselbe meinen, liegt daran, dass es verschiedene Zählweisen gibt: Die einen berechnen die Schwangerschaft ab der Empfängnis, die anderen ab der letzten Menstruation, die zwei Wochen vorher stattfindet. Am Ende soll die neue Regelung in beiden Fällen aber auf einen Mutterschutz ab dem zweiten Trimester hinauslaufen.
Die meisten Fehlgeburten passieren im ersten Schwangerschaftsdrittel
Bange Momente bei der Ultraschalluntersuchung
Allerdings: Studien zufolge passieren rund 80 Prozent der Fehlgeburten im ersten Trimester, also in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft. Darunter fallen zwar auch unbemerkte Aborte in der Frühschwangerschaft, in denen sich Frauen womöglich noch gar nicht bewusst sind, dass sie ein Kind erwarten. Dennoch empfindet jede Frau eine solche Situation anders, und auch in der frühen Phase der Schwangerschaft kann eine Fehlgeburt physisch und psychisch belastend sein.
"Mutterschutz ab 13. Woche wäre großer Meilenstein"
Daher ist auch Natascha Sagorski dafür, dass der Mutterschutz so früh wie möglich beginnt. Allerdings gebe es für einen Beginn vor der 13. Woche derzeit keine politische Mehrheit. "Aber selbst ein Mutterschutz ab der 13. Woche wäre ein großer Meilenstein", findet sie. "Das würde vielen Frauen das Leben in Zukunft ein bisschen einfacher machen in einer Situation, die alles andere als leicht ist."
Auch finanziell würde ein erweiterter Mutterschutz nicht schwer ins Gewicht fallen, rechnen die Krankenkassen vor. So geht IKK Südwest-Vorstand Jörg Loth von einer jährlichen Mehrbelastung in Höhe von 21 Millionen Euro aus, wenn 70 Prozent der Frauen den gestaffelten Mutterschutz in Anspruch nehmen würden.
Denn die neue Regelung soll nur ein Angebot sein - ob sie es annimmt, soll jede Frau individuell entscheiden. "Schließlich weiß jede Frau, was für sie am besten ist", glaubt Natascha Sagorski. Die Psychologin Kathryn Eichhorn pflichtet ihr bei: "Es gibt auch Frauen, die Arbeit in so einer Situation als stützend empfinden. Sie lenkt ab und stärkt die Selbstwirksamkeit, die gegen das Ohnmachtsgefühl hilft, das viele haben." Zudem wolle auch nicht jede Frau offenbaren, dass sie schwanger gewesen sei und das Kind verloren habe.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagenturen KNA, dpa
- Interview mit Natascha Sagorski im "Morgenecho" auf WDR 5
- Dokumentenservice Deutscher Bundestag
- Instagram-Accounts von Jax und Zohre Ceylan
- Pressemitteilung IKK Südwest
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
- Bundesverband der Frauenärzte
Über dieses Thema berichten wir am 20.12.2024 auch im WDR-Fernsehen: in der Aktuellen Stunde, ab 18.45 Uhr.