Selbst in Metropolen wie Peking oder Schanghai kommen die Krankenhäuser in China bereits an ihre Grenzen: Teils stundenlang müssen Menschen auf Hilfe warten. Auch Medikamente sind knapp. Der massive Anstieg von Corona-Fällen folgt auf eine Kehrtwende in der Null-Covid-Politik des Landes. "Chinas Strategie scheint krachend gescheitert zu sein," sagt der Virologe Martin Stürmer dem WDR.
Infektionswelle in China könnte neue Corona-Variante hervorbringen
Mit den Infektionszahlen in China wächst auch die Angst vor Auswirkungen auf den Rest der Welt. Wegen der hohen Zahlen als solches müsse man sich aber keine Sorgen machen, meint Stürmer. Die Situation vor knapp drei Jahren sei eine neue, andere gewesen, Chinas erste Welle habe uns unvorbereitet getroffen. Aktuell seien die Menschen in Deutschland gut durchgeimpft.
Auch der Kölner Infektiologe Jan Rybniker ist überzeugt, dass es aktuell hierzulande nur deshalb weniger schwere Verläufe gibt, weil die meisten Patienten geschützt seien. "Man kann sagen, dass man langsam einen Immunschutz über einen gewissen Zeitraum in der Bevölkerung aufbauen muss, damit man dann zum Schluss auch die Maßnahmen reduzieren, etwa die Maskenpflicht weglassen kann", sagte er dem WDR. Man sollte dies auf keinen Fall abrupt machen - also von heute auf morgen - so wie das momentan offenbar in China der Fall sei.
Was laut Stürmer allerdings problematisch werden könne: "Dass ganz neue Varianten in China entstehen, weil Corona dort auf eine Bevölkerung trifft, die bislang wenig Kontakt zum Virus gehabt hat - sei es durch Impfungen oder Infektionen." Daher könne das Virus neue Pfade in der Evolution einschlagen.
Unions-Politiker Jürgen Hardt fordert Flug-Stopp
Aus der Politik kommen deshalb erste Forderungen nach schnellen Maßnahmen. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, fordert einen Stopp der Flugverbindungen mit der Volksrepublik. "Wir sehen in China, dass das Problem nicht im Griff ist", sagte Hardt im WDR.
"Das Land steht momentan etwa dort, wo wir vor zweieinhalb Jahren standen." Die Folge seien ein explosionsartiger Anstieg der Corona-Infektionen und eine Überlastung des Gesundheitssystems. Man wisse, so Hardt, dass eine hohe Ansteckungszahl dazu führen könne, dass neue Mutationen aufträten.
Bis man sicher sein könne, dass China das Problem in den Griff bekommt und keine neuen, gefährlichen Corona-Infektionen nach Europa kommen. Ansonsten könnte dies die deutsche Corona-Politik "massiv zurückwerfen".
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit einer neuen Variante?
Alex Cook, Experte für öffentliche Gesundheit an der National University of Singapore, warnte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters vor Gefahren der Öffnung für die Weltgemeinschaft. "Jede neue Epidemiewelle in einem anderen Land birgt das Risiko neuer Varianten, und dieses Risiko ist umso höher, je größer der Ausbruch ist." Und die derzeitige Welle in China habe "das Zeug dazu, groß zu werden." Allerdings müsse China unweigerlich eine große Corona-Welle durchmachen, wenn es einen endemischen Zustand seiner Bevölkerung und eine Zukunft ohne Abriegelungen bei Corona-Ausbrüchen erreichen wolle.
Der britische Mediziner Paul Hunter hingegen sieht derzeit keine zusätzliche Gefahr für andere Länder. "Schließlich hat der größte Rest der Welt hybride Immunität", sagte der Medizinprofessor von der University of East Anglia in Norwich und verwies damit auf den Schutz sowohl durch Impfungen als auch Ansteckungen.
Auch Virologe Martin Stürmer hält es nicht für allzu wahrscheinlich, dass in China eine neue Variante entsteht, die uns "klinisch härter treffen wird". Ausschließen könne man dies aber nicht.
Um die mögliche Entwicklung neuer Varianten im Blick zu behalten, haben Chinas Gesundheitsämter die Provinzen nach eigenen Angaben angewiesen, regelmäßig Proben von unterschiedlich stark erkrankten Menschen und Verstorbenen zu sammeln. Innerhalb von einer Woche sollen die Proben analysiert und mögliche Hinweise auf eine neue Variante erkannt werden.
Höhepunkte der Infektionswelle in China im Januar und März erwartet
Nach Modellrechnungen des in London ansässigen Forschungsinstituts Airfinity hat die laufende Infektionswelle in China aber noch nicht einmal ihren Höhepunkt erreicht. Das Institut rechnet mit zwei Höhepunkten im Januar und im März mit möglicherweise 3,7 Millionen beziehungsweise 4,2 Millionen Fällen am Tag.
Gegenwärtig schätzt der Datenverarbeiter die Zahl der Neuinfektionen in China auf wahrscheinlich mehr als eine Million und die Zahl der Toten auf mehr als 5.000 am Tag, wie aus einer Mitteilung hervorgeht.
Nach fast drei Jahren mit Lockdowns, Zwangsquarantäne, Massentests und Kontaktverfolgung hatte das bevölkerungsreichste Land am 7. Dezember seine harte Null-Covid-Politik abrupt aufgehoben. Die Kehrtwende wurde damit begründet, dass die Infektionen mit den neuen Omikron-Varianten nicht mehr so schwer verliefen.
Doch sahen Experten den Grund vor allem darin, dass die strikten Maßnahmen angesichts der explosionsartigen Ausbreitung nicht mehr durchgehalten werden konnten. Auch hatten die rigorosen Beschränkungen die zweitgrößte Volkswirtschaft zunehmend belastet.
Über dieses Thema berichtete der WDR am 23.12.2022 unter anderem um 12.45 Uhr im Fernsehen.