"Wir haben keine Lust mehr, wir haben zu viele Interviews gegeben", winkt Jaqueline Peeters ab. Fragen zu damals und zu Corona nerven. Die Frau mit den langen roten Haaren steht in ihrem Blumenladen mitten in Gangelt.
Die Medien seien ja damals regelrecht in den Ort eingefallen - ins "verseuchte Gebiet", auf der Suche nach Sensationen, erzählt sie. Journalisten hätten auf der Lauer gelegen, ungefragt Fotos gemacht und sogar Kranke interviewen wollen. "Das war nicht schön", erinnert sich Jaqueline Peeters.
Von der Kappensitzung zum Superspreader-Event
Es gab eine Zeit, da kannte fast jeder in Deutschland den kleinen Ort Gangelt. Eine Gemeinde mit rund 13.000 Einwohnern, ganz dicht an der niederländischen Grenze. Im Februar 2020 blickt die Bundesrepublik auf den Ort im Kreis Heinsberg – nicht wegen der mittelalterlichen Festungsmauer, sondern wegen eines Virus, das man so noch nicht kannte.
Alles beginnt am 15. Februar mit der Kappensitzung des Karnevalsvereins "Langbröker Dicke Flaa". Unter den Karnevalisten sitzen ahnungslos zwei Jecken, die mit Corona infiziert sind, das aber nicht wissen. Zwölf Tage später sind es bereits 20 bestätigte Covid-19-Fälle, etwa 1.000 Menschen müssen sicherheitshalber in Quarantäne. Dann geht alles rasend schnell. Plötzlich werden Schulen und Geschäfte im Ort dichtgemacht, und Gangelt ist einer der ersten Corona-Hotspots in Deutschland.
Existenzängste und Klopapier
"Corona war kein Witz", sagt Jaqueline Peeters, die damals am eigenen Leib erfahren muss, wie es sich anfühlt, aus so einem Hotspot zu kommen. Als Blumenhändlerin muss sie regelmäßig über die niederländische Grenze zum Großmarkt. Dort geht man plötzlich auf Abstand, wenn sie auftaucht. "Natürlich hatte ich Existenzängste!"
Haben die Menschen etwas gelernt aus der Krise, die erst den kleinen Ort und dann das ganze Land erschütterte? - Peeters ist skeptisch. "Ich glaube, wir Menschen lernen nicht." Bei der nächsten Pandemie gäbe es dieselbe Hysterie. Auch ums Klopapier.
Besondere Auto-Kennzeichen und ein berühmter Kölsch-Kranz
"Das war schon eine verrückte Zeit", erinnert sich ein paar Häuser weiter auch die Mitarbeiterin in einer Apotheke. Manche Handwerker aus Gangelt, so erzählt sie, hätten plötzlich keine Aufträge mehr bekommen. "Man hat uns auch geraten, nicht außerhalb einkaufen zu gehen." Das Kennzeichen HS für den Kreis Heinsberg löst plötzlich Unbehagen bei Ortsfremden aus.
Der Karnevalsverein muss damals seine Internetseite vom Netz nehmen. Die Jecken werden von Anfragen überrollt und schweigen dann lieber. Ein Kölsch-Kranz der Karnevalsfeier landet später sogar im Bonner Haus der Geschichte.
Ein Landrat als erster Corona-Krisenmanager
Landrat Stephan Pusch muss jetzt ständig vor die Pressemikrofone treten. Er wird als erster kommunaler Corona-Krisenmanager im Westen bekannt. Er kommuniziert offen, produziert Hunderte von Videobotschaften an die Bürger, in denen er Corona-Updates liefert und Klartext redet.
"Wir standen ziemlich unter Druck", sagt Stephan Pusch heute. Denn: Erst habe man ja noch geglaubt, der Corona-Ausbruch sei ein Heinsberger Problem. Doch die Krise stärkte auch den Zusammenhalt. "Es gab ein bestimmtes Wir-Gefühl der Heinsberger, dass wir das so gewuppt haben." Diese große Anerkennung für die Arbeit der Verwaltung werde man so wohl nie mehr erfahren.
Den großen Zusammenhalt hat auch Manfred Schulz erlebt. Er betreibt in Gangelt ein Café. "Die Leute hatten Geduld und Verständnis." Man habe sich geholfen. Schulz selbst habe kranken Stammkunden das Brot bis an die Tür gebracht. Bei heutigen Problemen dagegen bemerke er statt Solidarität eine wachsende Unzufriedenheit der Menschen. In Deutschland werde auf hohem Niveau geklagt. "Dabei wird hier doch niemand allein gelassen."
"Ein Stück Geschichte"
"Es war eine ganz große Herausforderung für unsere Behörde, alles konzentrierte sich auf die Abwicklung des Virus, damit waren wir von morgens bis abends beschäftigt", erinnert sich Bürgermeister Guido Willems, seit Herbst 2020 im Amt. Aber man habe eben auch eine Situation gemeistert, die man sich nicht im Entferntesten vorstellen konnte. "Ich wusste einfach nur, wenn wir das gut machen, erledigt sich das von allein. Für mich ist das einfach ein Stück Geschichte." Was nimmt er mit aus dieser Krise?
Gerade wurde in Gangelt übrigens wieder ausgelassen Karneval gefeiert - inklusive Kappensitzung. Alle Gruppen, die 2020 auf der Bühne standen, waren auch diesmal wieder dabei, erzählt Stefan Keulen, Sprecher jener Karnevals-Gesellschaft "Langbröker Dicke Flaa", die auch 2020 die schicksalhafte Party feierte. "Unser Leben hat sich komplett normalisiert."