Eine Woche nach der Messerattacke von Aschaffenburg hat die Union mit Stimmen der AfD einen Antrag im Bundestag für einen härteren Migrationskurs durchgesetzt. Die Reaktionen darauf sind gespalten. Die einen sagen, damit sei die Brandmauer zur AfD gefallen. Die anderen bestreiten das vehement.
Um welchen Antrag geht es?
Die Union hatte am Mittwoch ihren Fünf-Punkte-Plan für eine schärfere Migrationspolitik knapp mit Stimmen von AfD, FDP und Fraktionslosen durch den Bundestag gebracht. Die fünf Punkte sind folgende:
- Dauerhafte Grenzkontrollen
- Keine Einreise ohne Dokumente
- Abschiebehaft
- Unterstützung durch Bundespolizei
- Unbefristeter Ausreisearrest
Erstmals beschaffte die AfD dabei im Bundestag eine Mehrheit. Allerdings ist der Antrag rechtlich nicht bindend. Die Regierungsparteien SPD und Grüne müssen den Beschluss nicht umsetzen. Das BSW hatte seine Enthaltung erklärt.
Wie kommentieren Merz und Scholz den Beschluss?
Während der Debatte: Scholz und Merz
Der 29. Januar 2025 sei "wahrscheinlich ein ganz bedeutender Tag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" gewesen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwochabend in der ARD-Sendung "Maischberger". Die Union habe einen Konsens aufgekündigt, den es die ganze Nachkriegsgeschichte über unter den Demokraten in Deutschland gegeben habe. "Den Konsens, nämlich, dass es keine Zusammenarbeit der demokratischen Parteien mit der extremen Rechten gibt. Heute ist das passiert."
CDU-Chef Friedrich Merz habe "bewusst kalkuliert hingenommen", dass die AfD seinem Antrag zustimmt, obwohl er lange das Gegenteil versichert habe, sagte Scholz in der ARD. "Und deshalb, finde ich, kann ich ihm nicht mehr trauen." Für ihn gehe es bei der Bundestagswahl nun darum, eine Mehrheit von Union und AfD zu verhindern.
Nach dem Beschluss: Freude bei der AfD
Unions-Kanzlerkandidat Merz hingegen verteidigte in den ARD-"Tagesthemen" sein Vorgehen: "Wir haben mit der AfD nicht gesprochen, wir diskutieren mit denen nicht, wir gleichen keine Texte ab, sondern wir bringen das ein, was wir in der Sache für richtig halten." Etwas zur Abstimmung zu stellen, heiße nicht, mit einer Partei zusammenzuarbeiten. "Es gibt keine Zusammenarbeit zwischen Union und AfD. Und da können jetzt AfD-Leute triumphieren, wie sie wollen."
Zu der von vielen Unionspolitikern beschworenen Brandmauer zur AfD sagte Merz: "Das Wort Brandmauer - das wird Ihnen möglicherweise aufgefallen sein - wird von mir nicht verwendet. Brandmauer ist das falsche Bild. Ich möchte, dass der Brand hinter der Mauer nicht zum Flächenbrand in ganz Deutschland wird", so der Unions-Kanzlerkandidat.
Welche Reaktionen gibt es außerdem auf den Beschluss?
Tino Chrupalla
Nach der Zustimmung der AfD zu einem CDU/CSU-Antrag im Bundestag erwartet der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla einen "Politik- und Migrationswandel". Damit knüpfte er in einem RBB-Interview an Aussagen des parlamentarischen AfD-Geschäftsführers Bernd Baumann über "neue Zeiten" in der Migrationspolitik und der politischen Zusammenarbeit an.
Angela Merkel
Kritik am Vorgehen der Union kommt hingegen von Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU). In einer Erklärung verweist sie auf eine frühere Aussage von Fraktionschef Friedrich Merz (CDU), nur mit SPD und Grünen zuvor vereinbarte Entscheidungen auf die Tagesordnung zu setzen, damit keine Mehrheit mit der AfD zustande komme. "Dieser Vorschlag und die mit ihm verbundene Haltung waren Ausdruck großer staatspolitischer Verantwortung, die ich vollumfänglich unterstütze."
Merkel fügte hinzu: "Für falsch halte ich es, sich nicht mehr an diesen Vorschlag gebunden zu fühlen und dadurch am 29. Januar 2025 sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen."
Josef Schuster
Kritik übte auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster: "Ich finde es enttäuschend, dass die demokratischen politischen Kräfte in unserem Land - auch in Zeiten des Wahlkampfs - nicht in der Lage waren, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen und damit der AfD diese Bühne bereitet haben", sagte Schuster der "Jüdischen Allgemeinen".
Irme Stetter-Karp
Auch die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, übte scharfe Kritik am Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz (CDU). "Friedrich Merz verlässt wissentlich in der Frage des Asylrechts den Boden des Grundgesetzes", sagte Stetter-Karp der "Augsburger Allgemeinen".
Der Sozialethiker und katholische Theologe Elmar Nass verteidigte jedoch die Union: "Solche Diskussionen und auch kontroversen Vorschläge gehören zu einer funktionierenden Demokratie dazu. Wer das unterbinden möchte, schadet der Demokratie", sagte der Priester und Prorektor der Kölner Hochschule für Katholische Theologie, Elmar Nass, dem kirchlichen Internetportal domradio.de.
Ursula Münch
Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch hält den restriktiven Kurs der Unions-Parteien in der Asylpolitik ebenfalls für richtig. Es brauche bei der inneren Sicherheit und der Flüchtlingspolitik zwingend einen "Politikwechsel", sagte die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing dem Evangelischen Pressedienst. Die aktuelle Asylpolitik werde von einem Großteil der Bevölkerung nicht mehr mitgetragen.
Christoph Heubner
Christoph Heubner, der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, sprach hingegen von einem "Tag eines fatalen Irrtums" aus Sicht der Überlebenden des Holocaust: "Schon einmal hat man in Deutschland geglaubt, Rechtsextreme einhegen, zähmen und benutzen zu können. Die Folgen sind bekannt."
Was passiert am Freitag im Bundestag?
An diesem Freitag wird erneut abgestimmt. Dann stehen im Plenum des Bundestages nicht nur Anträge mit appellativem Charakter zur Abstimmung an, sondern ein Gesetzentwurf, der - wenn er auch den Bundesrat passieren sollte - von der Bundesregierung umgesetzt werden müsste.
Das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz der Union sieht unter anderem vor, dass der aktuell auf 1.000 Personen pro Monat beschränkte Familiennachzug zu Ausländern mit eingeschränktem Schutzstatus bis auf Weiteres beendet wird.
Neben der Union wollen auch FDP, AfD und BSW zustimmen. Es könnte also wieder eine Mehrheit jenseits der Regierungskoalition und mit der AfD geben. Ob sich dafür eine Mehrheit im Bundesrat findet, ist allerdings fraglich.
Unsere Quellen:
- Nachrichtenagenturen DPA, EPD und KNA
- tagesschau.de
- Erklärung von Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU)