Möglicherweise waren Push-Backs der Küstenwache Schuld am Bootsunglück in Griechenland
Stand: 17.06.2023, 09:46 Uhr
Es gibt Vorwürfe, dass das Boot mit Geflüchteten vor Griechenland wegen Push-Backs der griechischen Küstenwache gesunken ist. WDR-Journalist Bamdad Esmaili berichtet im Interview, was Überlebende des Unglücks erzählen.
Nach dem Bootsunglück vor Griechenland mit hunderten Toten gibt es schwere Vorwürfe gegen die griechische Küstenwache, das Unglück verursacht zu haben. Die Rede ist von so genannten Push-Backs. Darunter versteht man Maßnahmen, mit denen flüchtende Menschen daran gehindert werden, die Grenze zu übertreten und einen Asylantrag zu stellen. In der EU-Grundrechte-Charta wird das Recht auf Asyl gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention allerdings garantiert.
Die Küstenwache weist den Vorwurf von Push-Backs zurück - jetzt soll die europäische Polizeibehörde Europol ermitteln. WDR-Journalist Bamdad Esmaili ist in Griechenland und hat mit seinem Team mit Überlebenden sprechen können.
WDR: Es gibt Vorwürfe gegen die griechische Küstenwache. Worum geht es da?
WDR-Journalist Bamdad Esmaili berichtet aus Griechenland.
Bamdad Esmaili: Es geht darum, dass es Vorwürfe gibt, dass die griechische Küstenwache dieses Boot in die Richtung von italienischem Gewässer gezogen hat - dass sie es sozusagen gepushbackt hat. Diesen Vorwurf hatten wir bislang nur gehört, gestern Abend gelang es meinem Kollegen Falah Elias, der arabisch spricht, dann mit ungefähr zehn überlebenden Geflüchteten zu sprechen. Sie haben unabhängig voneinander berichtet, dass dieses Boot tatsächlich gezogen wurde - nicht nur einmal, nicht nur zweimal, sondern insgesamt dreimal. Und dabei ist das Schiff dann ins Wanken gekommen und ist gesunken.
WDR: Das heißt, das Ziehen dieses Bootes, der Versuch es nach Italien zu ziehen und damit aus der Zuständigkeit Griechenlands herauszuholen, ist für dieses Unglück - so scheint es zumindest im Moment - verantwortlich?
Esmaili: Das ist der Vorwurf, der im Raum steht. Das muss natürlich erstmal bewiesen werden. Die Griechen lehnen das vehement ab und dementieren das. Sie sagen nach wie vor immer noch, dass sie Hilfe angeboten haben und das Schiff habe diese Hilfe nicht gewollt, weil sie demnach nach Italien wollten.
WDR: Wir können davon ausgehen, dass es jetzt eine größere Untersuchung geben wird. Wie wird in Griechenland darüber diskutiert, was hören Sie da?
Esmaili: Das ist zum Politikum geworden, weil nächste Woche Parlamentswahlen in Griechenland sind. Vor allem die Opposition nutzt dieses Thema jetzt aus und kritisiert die Regierung. Und es ist für drei Tage eine Staatstrauer angeordnet worden. Es gibt auch Proteste, Kundgebungen, es gab einen Trauermarsch in Athen, also das ist ein Riesenthema hier in Griechenland.
WDR: Sie haben erwähnt, dass Sie mit Überlebenden sprechen konnten. Wie haben diese denn die Situation auf dem Schiff beschrieben? Abgesehen von der Frage, ob sie gezogen wurden und damit das Unglück ausgelöst wurde.
Esmaili: Man muss sich das so vorstellen: Ein Schiff, das 30 Meter lang ist, war völlig überfüllt. Die Überlebenden erzählen uns, dass sie von den Schleppern gehört haben, dass 747 Personen auf diesem Schiff waren. Deswegen ist auch immer von knapp 750 Personen die Rede und die waren überall: Unten, oben auf dem Deck, seit Tagen unterwegs, ohne Nahrung, ohne Wasser. Da kann man sich vorstellen, wie die Stimmung auf dem Schiff war.
WDR: Das heißt, man muss davon ausgehen, dass das Unglück zu hunderten Toten geführt hat. Was geschieht jetzt mit den Menschen, die gerettet wurden - auch mit denen, mit denen Sie gesprochen haben?
Esmaili: Wir sind jetzt in Malakasa in der Nähe von Athen und dort sind 71 Personen untergebracht, die kommen ganz normal ins Asylverfahren. Knapp 30 Personen sind noch in Kalamata im Krankenhaus, die werden behandelt und dann kommen sie vermutlich auch ins ganz normale Asylverfahren.
WDR: Ganz normale Asylverfahren nach dem, was sie erlebt haben, das ist sicherlich auch eine schwierige Situation. Wurde die Suche nach Überlebenden denn inzwischen eingestellt?
Esmaili: Das kann ich so nicht bestätigen. Wir haben gestern Abend noch gehört, dass noch weiter gesucht wird, aber natürlich kann man nach so vielen Tagen und bei so vielen Menschen davon ausgehen, dass man kaum noch Überlebende aus dem Meer retten kann. Rund 100 Kinder sollen auch mit an Bord gewesen sein.
Die Fragen stellte Judith Schulte-Loh.